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Bezichtigen sich gegenseitig der Rechtsstaatsverletzung: Polens Justizminister Ziobra (links) und Hollands Premier Mark Rutte/ dpa

Rechtsstaatlichkeit - Der polnisch-niederländische Justizkrieg

Zwischen Polen und den Niederlanden ist in den vergangenen Monaten der Streit um die Rechtsstaatlichkeit eskaliert. Der Konflikt offenbart, welchen Einfluss die umstrittene Justizreform in Polen auf das europäische Rechtssystem hat. 

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Nach Wochen mit Veto-Drohungen, Verhandlungen und einem möglichen Ausschluss Polens und Ungarns aus dem 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaupaket hat die EU im Streit um die Bindung von EU-Geldern an einen Rechtstaatsmechanismus noch einmal die Kurve gekriegt. Bei ihrem Gipfeltreffen konnten sich die Regierungschefs der 27 EU-Staaten am Donnerstag auf einen wenn auch umstrittenen Kompromiss einigen.  Dieser Sieg der Vernunft bedeutet jedoch nicht, dass der Streit um die Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Staaten der EU nun beigelegt ist.

Denn im Schatten der Diskussion über den EU-Haushalt und den Rechtsstaatmechanismus ist zwischen Polen und den Niederlanden ein Streit über die Rechtstaatlichkeit schon fast zu einem Justizkrieg eskaliert. Der sagt nicht nur viel über das Misstrauen aus, das zwischen den EU-Partnern mittlerweile herrscht. Der Konflikt offenbart auch, wie sehr sich die umstrittene Justizreform der PiS zu einer europäischen Rechtsstaatlichkeitskrise entwickelt hat. 

Hollands Regierung soll Polen verklagen

Der bisherige Höhepunkt dieses polnisch-niederländischen Justizkrieges ist eine Resolution des niederländischen Parlaments vom 1. Dezember. In dieser wird die Regierung von Mark Rutte aufgefordert, Polen wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu verklagen.

Die Abgeordneten begründen ihren Schritt mit dem politischen Einfluss bei der Ernennung von Richtern sowie mit der durch die Justizreform der Nationalkonservativen entstandene Disziplinarkammer am Obersten Gericht. „Die Nichtbeachtung der Rechtsstaatlichkeit in Polen untergräbt die Grundlagen des Funktionierens der EU“, heißt es in der Resolution, in der die Regierung auch ermuntert wird, für eine Klage gegen Polen vor dem EuGH auch andere EU-Staaten zu gewinnen.

Wie die PiS unliebsame Richter mundtot macht 

Tatsächlich haben die niederländischen Parlamentarier nicht Unrecht, wie das Beispiel der von ihnen erwähnten Disziplinarkammer am Obersten Gericht zeigt. Diese dient der PiS als einer der wichtigsten Instrumente, um unliebsame Richter mundtot zu machen. Im Oktober hat die Disziplinarkammer der Krakauer Richterin Beata Morawiec wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe nicht nur die Immunität aufgehoben, sondern sie zusätzlich suspendiert und ihre Bezüge halbiert.

Morawiec, welche die Vorwürfe bestreitet, sowie Kritiker sehen hinter der Entscheidung eine politische Motivation. Die Juristin ist auch Vorsitzende der Richtervereinigung Themis, die in den vergangenen Jahren die Justizreform kritisiert hat. Mitte November wiederum entzog die Disziplinarkammer dem in Polen bekannten Richter Igor Tuleya seine Immunität. Auch er gehört zu den bekanntesten Kritikern der nationalkonservativen Justizpolitik.  

Die Disziplinarkammer muss eigentlich aussetzen

Dabei dürfte die Disziplinarkammer eigentlich seit Monaten keine Entscheidungen mehr fällen. Bereits im Dezember vergangenen Jahr urteilte das Oberste Gericht in Polen, nachdem das EuGH die Entscheidung an dieses weitergab, dass die Disziplinarkammer kein Gericht im Sinne des europäischen und polnischen Rechts sei und begründete dies mit der Einflussnahme der Politik auf die Zusammensetzung des Landesjustizrates, der in Polen für die Wahl der Richter verantwortlich ist. Im April folgte nun der EuGH einem Antrag der EU-Kommission und entschied, dass die Disziplinarkammer bis zu einem endgültigen Urteil des Gerichtshofes ihre Arbeit aussetzen muss. 

Eine Entwicklung, die in Europa mit Sorge verfolgt wird und Auswirkungen auf die Umsetzung des europäischen Haftbefehls hat. 2018 entschied der EuGH, dass europäische Gerichte bei Prüfung der Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz die Auslieferung von mit EU-Haftbefehl gesuchten Tatverdächtigen nach Polen verweigern können. Was sie auch taten.

Holland liefert keine Tatverdächtigen mehr nach Polen aus  

So hat beispielsweise im März das Oberlandesgericht in Karlsruhe die Auslieferung eines Polen in seine Heimat abgelehnt. Besonders groß waren die Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Gerichte jedoch in den Niederlanden, wo mittlerweile fast 200.000 Polen leben. Im Januar 2019 verweigerte das Amtsgericht Amsterdam die Auslieferung von 11 Polen.

Im Juli dieses Jahres wandte sich das Amsterdamer Amtsgericht an den EuGH mit der Frage, ob die Auslieferung polnischer Tatverdächtige gestoppt werden müsse, da die Unabhängigkeit der Justiz zunehmend unter Druck gerate. Im September entschied das Gericht, dass bis zur Entscheidung des EuGHs alle Auslieferungen nach Polen gestoppt werden.

Die Retourkutsche aus Polen 

Die Entscheidung löste bei den in Polen regierenden Nationalkonservativen Empörung aus, was folgte, war eine Retourkutsche. Im September verweigerte das Bezirksgericht in Warschau die Auslieferung eines in den Niederlanden lebenden und per Europäischen Haftbefehl gesuchten australisch-russischen Ehepaares, das mit seinem an Autismus erkrankten Kind im Sommer nach Polen floh und Asyl beantragte. 2018 hat das niederländische Jugendamt das Kind aus dem Elternhaus genommen, da die Eltern es vernachlässigt haben sollen.

Sein Urteil begründete das Warschauer Bezirksgericht nicht nur mit dem Wohl des Kindes, dem nach Meinung des Gerichts laut niederländischem Recht in seiner Heimat die Euthanasie drohe. In seiner Urteilsbegründung verwies es auch auf die Weigerung des Amsterdamer Amtsgerichts, Tatverdächtige nach Polen auszuliefern, bezeichnete Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz als „politische Propaganda“ und erklärte, es seien die niederländischen Gerichte, die nicht unabhängig seien.

Der Einfluss der Solidarna Polska

Damit griff das Bezirksgericht genau die gleichen Vorwürfe auf, die seit Monaten auch wichtige Vertreter des Justizministeriums gegen die Niederlande erheben. Am 7. Dezember legte die Solidarna Polska, der kleine Koalitionspartner der PiS, an deren Spitze Justizminister Zbigniew Ziobro steht, nach und veröffentlichte einen 15-seitigen Bericht. Sein Titel: „Rechtsstaatverletzung durch die Niederlande. Steuermissbrauch in der Europäischen Union“. 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 15. Dezember 2020 - 17:09

Polen macht m.E. einen Fehler, wenn es Herr Rutte etwa als einen "Feind" sehen würde.
Ich denke, dass für Herrn Rutte zwar Polen ein Anlass ist und auch Ungarn, dass er aber strategisch weiterdenkt, wenn es einmal Assoziationen mit den in meinen Augen teils "eurasischen" Ländern wie Belarus oder der Ukraine gibt oder gar Freihandelsabkommen mit Russland.
M.E. näher an Europa dran, dann aber doch die Türkei, mit der es vlt. einmal ein privilegiertes Abkommen wie hoffentlich mit England geben wird.
Dann gibt es da noch den Mittelmeerraum, überhaupt Afrika.
Nein, ich denke, dass Rutte weit vorausschaut und das sollt Polen ganz sicher auch, als nun wirklich sehr großes Land Europas und der EU.
Herrn Dudek lese ich vlt. noch, wenn Zeit ist.
Freundlichst

Walter Bühler | Di., 15. Dezember 2020 - 17:14

... und Johnson kann froh sein, dass er da raus ist.

Wie heißt es in Lübeck so schön:

Concordia domus - foris pax.

Sehr traurig!

Tomas Poth | Di., 15. Dezember 2020 - 18:03

Nur eine weitere Bestätigung das die EU ein falsch aufgezäumter Gaul, eine Art Rosinante ist, von vielen in verschiedene Richtungen geritten. Der deutsche Beitrag ist der Hafersack für das Pferd.

Markus Michaelis | Di., 15. Dezember 2020 - 20:30

Ich bin mit Polen nicht vertraut, sehe mehr den europäischen Aspekt, aber es leuchtet mir sofort ein, dass die Suspendierung wegen Korruption wahrscheinlich unzulässig politisch ist. Wäre es eine herausragende Korruption, dann natürlich, aber selektiv wegen "üblicher" (oder gar erfundener) Vergehen zu suspendieren, ist gegen demokratische Prinzipien.

Andererseits frage ich mich, wie die politische Benennung von Richtern zu bewerten ist. Richter werden immer politisch benannt und ausgesucht - nur nicht eng parteipolitisch. Je gespaltener die Gesellschaften sind, wird das schwierig. AfD-Richter in D - wer würde sich dafür einsetzen?

Und: der EuGH ist doch auch politisch ausgesucht und treibt die Vision Europa, Menschenrechte etc. voran.

Alle hätten gerne das Gottesurteil, dass die politischen Feinde absolut unzulässige Standpunkte vertreten. Es wird aber meist beim politischen Ringen bleiben.

Alexander Mazurek | Di., 15. Dezember 2020 - 23:00

... in Schweden werden durch -die Regierung- berufen und entscheiden entsprechend, wie damals Dr. Freisler, ganz rechtsstaatlich ...
Nun verstehe ich auch Dr. Filbinger, unsere Staaten beliebigen "Rechts" sind halt so. Warum nicht auch der polnische?

Romuald Veselic | Mi., 16. Dezember 2020 - 07:20

wird weiter den Innen-EU-Konflikt anheizen u. zum EU Zerfall führen. Denn die EU-Ost-Länder werden es nie zulassen, dass bei ihnen Moscheen oder islamische Ghettos entstehen werden. Da die EU-Ost Bevölkerung ein "wenig" anders tickt, als im Westen. Woran liegt das?
Dies sollte man nicht vergessen.
Der Fall des Kommunismus ist nicht durch westliche Rechtstaatlichkeit herbeigeführt worden, sondern durch den unsensiblen Widerstand vor Ort.
Der AA Guru Heiko M kann mit lamaistischem Gebetsmühlen Wiederholung die Verteilung der Flüchtlinge an die Ost EU Ländern alle fünf Minuten posten, es wird daraus nichts. Schon deshalb nicht, weil die Ostler nicht bereit sind, den Essensgewohnheiten der Flüchtlinge entgegen zu kommen. Nach dem Motto: "Wer den Schutz sucht, sollte beim Essen nicht wählerisch sein."
Und was die PL-Justiz angeht, ist immer besser, als die islamische Rechtsprechung. Einiges hängt zusammen mit der geschichtlichen Entwicklung. Die war für PL nicht so vorteilhaft wie für NL.

würden wohl am meisten unter dem Zusammenbruch der EU leiden. Schliesslich stehen beide Länder ganz oben in der Rangliste der Mitgliedstaaten, die am meisten kassieren
Ganz besonders ein Herr Orban ist bekannt dafür, gerne von der EU geförderte Projekte zuhause als eigene Leistung anzupreisen. Andererseits spielt er mit seiner destruktiven Haltung gerne den Bremsklotz und echauffiert sich dann vor Landsleuten - Gipfel der Frechheit - darüber, dass Europa nicht funktioniere.
Die Regierenden in Polen hoffen wohl, zwar Teil der Gemeinschaft zu bleiben, gleichzeitig aber ihr Land in eine erzkatholische Autokratie umzuwandeln. Alles und jeder - auch die Rechtsprechung - sollen sich der theokratisch geprägten Gedankenwelt des Herrn Kaczynski unterwerfen.
So kann Europa nicht funktionieren. Da man die beiden Länder nicht rauswerfen kann (womit man ja auch die demokratische Opposition dort bestrafen würde) bleibt nur der mühsame, aber unausweichliche Weg durch die Instanzen.

besser zu sein, als die islamische Rechtsprechung. Es geht darum, klare Regeln einzuhalten oder auf die EU-Kohle zu verzichten. Mal sehen, ob im letzteren Fall 50% der Polen immer noch die PiS & Co. wählen würden.

Glücklicherweise gibt es Herrn Rutte und die NL et al. , Deutschland, egal ob Merkel oder dergleichen, sind zu schwach und schuldbeladen, um Polen und Ungarn zu zeigen, wo der Hammer hängt.

Allerdings, kaum sind Rechts- bzw. Nationalkonservative an der Macht, schon schrauben sie an der Verfassung, um ihre Macht zu sichern. So wäre es auch bei der AfD & Konsorten.

Ernst-Günther Konrad | Mi., 16. Dezember 2020 - 08:39

Ich kann die Vorwürfe an die suspendierten Richter in PL nicht beurteilen. Sollten die tatsächlich nur politisch begründet und die Vorwürfe konstruiert sei, lehne ich das ab. Die polnische Bevölkerung ist hier gefragt, in Wahlen klar zu sagen, dass sie das nicht wollen.
Das Totschlagsargument einer politischen Einflussnahme auf die Besetzung von höchsten Richterämtern ist schlichtweg Heuchelei. Überall auf der Welt werden solche Richter politisch gesteuert ernannt und dabei darauf geachtet, dass nur ein Richter ins Amt kommt, der der jeweiligen Regierung im Amt genehm ist.
Harbarth in DE wurde direkt aus dem BT zum Präsidenten des BVG eingesetzt. Trump ließ eine im gewogene Richterin ins höchste Richteramt. Auch in Holland sind Richter politisch vorsortiert ins Amt gekommen. Es ist ein Traum zu glauben, dass nur Eignung, Leistung und Befähigung für Justizämter und andere führende Ämter ausschlaggebend sind. Das da was faul ist, zeigt die Missachtung des Obersten Gerichtshofes.

Adam Dubiel | Do., 17. Dezember 2020 - 23:43

Noch ein überflüssiger, einseitiger und überflüssiger Beitrag des Herrn Dudek. Die polnische Justiz macht es mit einigen Urteilen wie im Falle in dem ein Richter an einer Tankstelle einer alten Frau 50 PLN Schein entwendete den Kritikern sehr leicht. Diese Richter wurde von dem Obersten Gericht mit der Begründung "Er war zerstreut und wusste nicht was er tat" entlastet und dürfte weiter über Fälle entscheiden. Der Westen hat es in den Neunzigern Jahre versäumt vor dem Beitritt Polens in die EU die Justiz in Polen auf die EU-Tauglichkeit zu überprüfen. Jetzt kommt die Quittung. In einem früheren Beitrag sorgt sich der Herr Dudek über die Übernahme der Medien von Passauer Presse durch Orlen. Es wäre vielleicht besser ich im Vorfeld sich Gedanken zu machen, Investoren zu finden und ein besseres Angebot abzugeben. Die Passauer Presse wollte mit Gewinn verkaufen und Orlen wollte kaufen. Eine normale Transaktion. Danach zu jammern und die Transaktion zu politisieren bringt nichts mehr.