israel-frieden-abkommen-vereinigte-arabische-emirate-tuerkei-kalifat-seyran-ates
In Palästina gibt es wütende Proteste gegen das geplante Friedensabkommen / dpa

Abkommen: Israel und Vereinigte Arabische Emirate - Schluss mit der Dolchstoßlegende!

Die Vereinigten Arabischen Emirate wollen ihr Kriegsbeil mit Israel begraben. Aus der Sicht religiöser Muslime ist das Verrat. Dabei, schreibt Seyran Ates, könnte das Abkommen den Islam mit dem Westen versöhnen. Und gerade für die Türkei sei das ein wichtiges Signal.

Seyran Ates, Mitbegründerin und Ideengeberin der liberalen Moschee

Autoreninfo

Seyran Ateş arbeitet als Anwältin und Publizistin. Sie ist Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.

So erreichen Sie Seyran Ateş:

Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate haben beschlossen, mit einem Friedensabkommen, dem Abraham Accord, den Reset-Knopf zu drücken. Das Abkommen würde die formelle Aufnahme diplomatischer, politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Ländern ermöglichen und dadurch den geopolitischen Raum in der Region neu ordnen. 

Nach Jordanien und Ägypten sind die Vereinigten Arabischen Emiraten das dritte Land, dass das Kriegsbeil mit seinem ehemaligen regionalen Feind begräbt und damit eine klare Linie zwischen sich und seiner bisherigen politischen Ausrichtung im palästinensisch-israelischen Konflikt zieht. Dieses neue Kapitel ist jedoch sowohl dem Iran als auch der Türkei ein Dorn im Auge. Solch eine unerwartete Entente macht Platz für die Errichtung einer neuen Machtbasis, die in direkter Opposition zu der von Tayyip Recep Erdogan definierten Agenda der Muslimbruderschaft steht.

Erdogan schenkt den Fanatikern Gehör

Die Muslimbruderschaft nahe Hamas repräsentiert einen strategisch wichtigen Partner für die Türkei, zwar nicht aus militärischer Sicht oder als wirtschaftliche Stütze, doch als Antrieb für den immer stärker werdenden Islam im Landesinneren. Die Forderungen nach einer Befreiung der Al-Aqsa-Moschee aus den Händen der Zionisten Israels werden stets lauter, was Erdogan dazu nötigt, die entsprechenden Schritte einzuleiten.

Die Reaktionen nach der „Befreiung“ der Hagia Sophia haben diese Zeichen nur allzu deutlich verkörpert. Der Druck ist da, und es scheint, dass Erdogan anscheinend seinen Fanatikern Gehör schenkt. Nach Angaben der Welt sollen bereits im vergangenen Dezember die ersten Tranchen der finanziellen Unterstützung in Millionenhöhe für die Hamas bei einem Besuch in Istanbul übergeben worden sein. Die Hamas scheint sich auf spektakuläre Weise zu einem heißen „Foreign Investment“ entwickelt zu haben, da die Türkei nicht die einzige Partei zu sein scheint, die an der Organisation Interesse zeigt.

Der Iran sucht Kooperationspartner  

Das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei kommt mir zwar nicht wie ein großer Fan der Muslimbruderschaft vor, doch ich glaube nicht, dass er seinem türkischen Kollegen den ganzen Kuchen überlassen würde. Der Iran allerdings befindet sich in einer anderen, äußerst prekären Situation. Die immer deutlicher werdende Isolation macht sich langsam bemerkbar, was den Iran dazu bewegt, nach Kooperationspartnern zu suchen, die dem Staat ein flexibleres Handeln in der Außenpolitik ermöglichen.

Obwohl es sein mag, dass die Ideologie der Muslimbrüderschaft dem Iran nicht unbedingt entgegenkommt, drängt die Not dazu, dass der Iran und die Türkei zumindest für den jetzigen Zeitpunkt mit geballten Kräften am gleichen Strang ziehen müssen. Trotz der allgemeinen Kritik rund um den Golfstaat haben sich die Vereinigte Arabische Emirate zu einem „relativ“ verlässlichen regionalen Partner des Westens im Kampf gegen den Terrorismus entwickelt und in dieser Hinsicht nicht gezögert, ihr ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen.

Hartes Vorgehen gegen Katar

Für ihr Engagement fordern sie natürlich einen Preis. Der Beweis für diese harte Haltung war die Eskalation mit Katar im Jahr 2007. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten brachen die diplomatischen und Handelsbeziehungen mit Doha ab und verhängten eine See-, Land- und Luftblockade gegen Katar, wobei sie behaupteten, dass das Land den „Terrorismus“ unterstütze und dem Iran zu nahe stehe. Dieses harte Vorgehen war das Ergebnis der seit langem bestehenden Vermutungen, dass Katar zur Förderung von radikalen Gruppierungen die Ableger der Muslimbruderschaft einschließlich der Hamas und der terroristischen Organisation Al-Qaida finanziell unterstützt.

Diese Vermutungen haben sich im Verlauf der Jahre bewahrheitet. Katar hat der Hamas seit 2012 offenbar mehr als 1,1 Milliarden Dollar zugesagt. Dies wiederum macht die israelisch-emiratische Zusammenarbeit im Hinblick auf die geopolitische Kontrolle der Region umso wichtiger. Eine enge Zusammenarbeit, die die militaristische und wirtschaftliche Überwachung der Muslimbruderschaft, der türkischen Ambitionen und generell die Begrenzung der Terrorismusfinanzierung durch den Iran einschließt, wird von wesentlichem Wert im Kampf gegen die Verbreitung einer Ideologie sein, die die Stabilität der Region bedroht. 

Ein Stoppschild für Hegemonialpläne der Türkei?

Was ich aber besonders interessant finde, ist die Reaktion von Erdogan. Sobald bekannt wurde, dass die beiden Länder ihre Beziehungen normalisieren werden, erwog die Türkei, die diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten auszusetzen und ihren Botschafter abzuberufen. Die Situation ist für mich ziemlich paradox, da Israel und die Türkei seit langem eine Übereinkunft haben und es zumindest geschafft haben, eine neutrale Haltung gegenüber einander aufrechtzuerhalten, die eine militärische Zusammenarbeit auf beiden Seiten einschließt.

In dieser Beziehung gibt es keine eindeutige Trennlinie wie im Falle der israeli-iranischen Beziehung. Dort beispielsweise deklarierte der iranische Brigadier Nasirzadeh nach einer erneuten Eskalation im Januar 2019, dass „die jungen Leute in der (iranischen) Luftwaffe völlig bereit und ungeduldig sind, dem zionistischen Regime entgegenzutreten und es von der Erde zu beseitigen“. Die türkisch-israelische Beziehung war nie schwarz-weiß  definierbar.

Die Folgen für die türkisch-israelischen Beziehungen 

Faktisch umfasst ihre bisherige Übereinkunft oder Kooperation die Ausbildung der israelischen Luftwaffe auf türkischem Hoheitsgebiet und im Gegenzug die Modernisierung der türkischen Panzer in Israel. Ihre Geheimdienste arbeiten schon längst Hand in Hand, und israelische Gelder fließen in das regionale Entwicklungsprojekt Südost-Anatoliens. Daher scheint es unerklärlich, dass die Entwicklung einer Israelisch-emiratischen Kooperationsplattform eine so drastische Reaktion hervorrufen könnte. 

Es sei denn, es gibt einen anderen, unter der Oberfläche brodelnden Grund. Meiner Meinung nach bedroht dieser neue Friedensvertrag die ganz und gar nicht subtilen Ambitionen Erdogans. Ihm geht es um die Schaffung eines überregionalen islamischen Kalifats. Die Zusammenarbeit zwischen Israel und den Emiraten wird sicherlich die Möglichkeiten der Türkei behindern, gemeinsame Strategien mit Katar zur Unterstützung der Hamas und ihrer Bestrebungen zu koordinieren.

Die Mär von der Dolchstoßlegende  

Der Ideologische Fluss wird durch diese Allianz unterbunden, was für Erdogan besonders frustrierend sein muss. Tatsache ist, dass dieser drastische Schritt der VAE der Beginn einer großen geopolitischen Verschiebung der Beziehungen zwischen den Golfstaaten in Richtung Israel sein könnte. Eine Verschiebung, die sich in meinen Augen positiv auf die regionalen Bemühungen zur Bekämpfung der terroristischen Ideologie und auf Erdogans Taktiken und Interventionen wie in Syrien und Libyen auswirkt.

Jetzt muss man nur darauf hoffen, dass die restlichen Golfstaaten der wirklichen Gefahr ins Auge blicken und den wahren Feind eines friedlichen Zusammenlebens in der Region als solchen erkennen. Zu hoffen ist auch, dass die Mehrzahl der Muslime in diesem Pakt einen Schritt zum Frieden und zur Normalisierung der Beziehungen zwischen islamischen Ländern und „westlichen Demokratien“ sehen – eine Chance auf Öffnung zu Demokratie im eigenen Land.

Dem Ausspruch aus dem Iran, dass diese Annäherung ein Dolchstoß für alle Muslime sei, kann ich nur vehement widersprechen. Es sind viele Muslime um mich herum, mich eingeschlossen, die keinen Dolchstoß gespürt haben. Den Verrat am Islam und den Muslimen begehen eher die sogenannten Staatsmänner und Machthaber islamischer Staaten wie die Türkei und der Iran. Bitte mehr Friedensabkommen und Schluss mit dem Hass!

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Ernst-Günther Konrad | Do., 20. August 2020 - 17:09

Alles was in dieser Welt Frieden schafft ist zu begrüßen. Ihr letzter Satz im Artikel ist auch meine Botschaft. "Bitte mehr Friedensabkommen und Schluss mit dem Hass!"
Der politisierte und fanatisch gelebte Islamismus will keinen Frieden, will keine Akzeptanz, will einzig und allein die Vorherrschaft. Ich nehme Ihnen sofort ab, dass diese immer mit Krieg Leid verbundenen Ambitionen nicht von allen Muslimen getragen wird. Dennoch scheint die Mehrheit der friedlichen Muslime nicht laut genug zu sein und sich eben auch in den Islamdiktaturen nicht durchsetzen zu können. Es ist ein Verdienst der beiden Staaten und von Trump, der hinter den Kulissen seinen Part beigetragen haben dürfte. Dazu schreiben Sie leider nichts. Der allseits verhasste Trump hat die beiden Parteien wieder miteinander ins Gespräch gebracht und somit, eine Versöhnung von Trumps "best Buddies" mit forciert.
Es gab allerdings auch in den letzten Jahren viel Enttäuschung, deshalb bleibt abzuwarten, ob der Frieden hält.

Hoffentlich wird das Kriegsbeil ganz tief begraben, damit die "Fanatiker & Ereiferer" in ihren Dogma alleine bleiben.
Krieg, egal auch welcher Ebene & an welchen Ort & welche Sippe hat nur Verlierer, nie Sieger!

Christoph Kuhlmann | Do., 20. August 2020 - 19:22

in der Region klar, dass ein Kalifat wieder einen oder mehrere failed States bedeutet, mit den entsprechenden Konsequenzen für die soziale Situation der Bevölkerung und die Stabilität in der Region. Das nun die Araber stabilisieren, während Erdogan mit seinen Milizen das Gegenteil tut, etwa in Lybien, ist für einen Natopartner völlig unangemessen. Bedauerlich ist ebenfalls, dass durch diese Politik den Sunniten immer mehr der Ruf des muslimischen Fundamentalismus anhaftet, obwohl sie selbst am meisten durch radikale Kräfte leiden, die zwar einen Guerillakrieg führen können, mit der Errichtung eines Staates jedoch überfordert sind.

Tomas Poth | Do., 20. August 2020 - 22:06

Nichts wäre mehr zu wünschen als eine Befriedung dieser Region.
Es könnte ein Vorläufer auch für die Befriedung der Konflikte Islam vs Westen werden?
Schaun mer mal.

gabriele bondzio | Fr., 21. August 2020 - 08:18

Es ist zu wünschen, dass im nahen Osten das Dynamit aus den Beziehungen genommen wird.
"Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." (Goethe)
Iran als auch der Türkei sind die Quertreiber, was ich mir schon gedacht habe. Die religiöse Dominanz lässt keinen anderen Schluss zu. Teheran betrachtet Israel als seinen Erzfeind und hat mehrmals mit der Vernichtung gedroht. Und die Türkei sieht ihre Hegemonialpläne in Gefahr , die Ausbreitungdes islamischen Kalifats. Welches auch die Muslimbrüder verfolgen.
Die Emirate und Israel verbindet vor allem ihre Feindschaft zum schiitischen Iran. Das die Hamas im Gazastreifen ebenfalls querschießen ist auch keine Überraschung, sie fühlen sich und ihre Ideologie (welche gleichzeitig ihre Daseinsberechtigung ist) betrogen.

Wenn Deutschland und die EU den Friedensprozess unterstützen wollte, sollte man endlich aufhören, die Hamas weiter zu finanzieren.

liebe Frau Bondzio, lassen Sie uns den Faden doch weiter spinnen, wie auch Sie, misstraue ich dem Friedensgesäusel der arabischen Wüstensöhne grundsätzlich. Schauen wir doch auf die geostrategische Komponente: Die VAE und Saudiarabien als Sunniten (Wahabiten) sind den persischen Schiiten spinnefeind und umgekehrt auch. Der Stellvertreterkrieg im Jemen ist nur das Vorspiel zum Showdown entweder in Persien oder auf der arabischen Halbinsel. Dafür rüsten sich die Kombatanden schon seit Jahren sowohl bei den Amerikanern als auch bei den Russen massiv auf. Deren Währungsreserven schmelzen wie Butter in der Sonne, weil der Dreck aus der Erde (ÖL) keinen Gewinn mehr bringt. Vor der eigenen Pleite macht man sich beizeiten aus dem Staube, ohne aber den Erzfeind vorher noch platt zu machen. Logische Gründe dafür sind keine zu finden, ausser man hat geklärt, wer der rechtmässige Nachfolger vom Propheten ist. Der Schwachsinn hat Methode.
ich grüsse Sie.
rolf schneider

Manfred Sonntag | Fr., 21. August 2020 - 11:23

Ein sehr interessanter Beitrag. Ich hoffe inständig, dass die neuen Entwicklungen zur Befriedung des Nahen Ostens beitragen. Die Artikel im ÖR und im restlichen Mainstream sind sehr mager. Ich habe den Eindruck, dass hier etwas abläuft was der linken und linksliberalen Ideologie vollkommen zuwiderläuft. Wieder hat Trump und seine Regierung den Boden für eine friedliche Entwicklung bereitet. Vielleicht wird Israel auch mal ein föderativer Bundesstaat für Juden und Araber. Die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem war da sicher ein kleiner, aber wertvoller Baustein. Mit einem föderativer Staat Israel könnten die VAE und die anderen muslimischen Staaten der arabischen Halbinsel friedlich zusammenleben. Die EU-Staaten sollten sich überlegen ob sie weiter einem seit Jahrzehnten verkorksten Projekt mit 2 Staaten hinterherlaufen wollen.
Ich wünsche allen Cicero Mitarbeitern und Foristen
ein schönes Wochenende
MfG
Manfred Sonntag