- Wie viel Macht der Volkskongress in Peking wirklich hat
In Peking tagt der chinesische Volkskongress. Am Donnerstag billigten die Delegierten ein sogenanntes Sicherheitsgesetz, das den halbautonomen Status von Hongkong untergräbt. Die Führung um Präsident Xi Jinping hat den Kongress fest im Griff.
Am Donnerstag letzter Woche begann in China das größte und wichtigste politische Ereignis des Jahres: die beiden aufeinanderfolgenden Sitzungen des Politischen Konsultativkongresses des chinesischen Volkes und des Nationalen Volkskongresses.
Die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes ist ein Beratungsgremium von etwa 3.000 Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen. Laut offizieller Theorie ist China eigentlich ein demokratisches Land, in dem die herrschende Kommunistische Partei die Meinungen aus verschiedenen Lebensbereichen sammelt und in ihrer Politik berücksichtigt. Die Konsultativkonferenz ist das offizielle Organ, das die Erfahrungen und Meinungen der Gesellschaft artikulieren soll. Natürlich funktioniert es in der Realität nicht so und die Konsultativkonferenz hat tatsächlich nur sehr begrenzte Einflussmöglichkeiten. Üblicherweise wird die Konsultativkonferenz als erste der beiden Kongresse eröffnet.
Demonstration der Stärke
Wichtiger ist die einen Tag später beginnende Sitzung des Nationalen Volkskongresses, die am Freitagmorgen in Peking begann und insgesamt eine Woche dauert. Der Nationale Volkskongress ist laut Verfassung das oberste Organ der Staatsmacht und fungiert als Legislative, also als Gesetzgebungsorgan. Er ist unter anderem zuständig für Verfassungsänderungen, Ausarbeitung und Änderung von grundlegenden Gesetzen, Wahl und Abberufung der wichtigsten Mitglieder der Staatsorgane sowie Prüfung und Bestätigung des Staatshaushaltes. Die ebenfalls ca. 3000 Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses werden alle fünf Jahre von den Volkskongressen auf Provinzebene bestimmt.
Seit März warteten China und die Welt auf diese „zwei Sitzungen“, wie die jährliche Veranstaltung umgangssprachlich genannt wird. Die Corona-Krise erzwang einen späteren Start. Nun aber war die Regierung zuversichtlich, die Pandemie so weit unter Kontrolle zu haben, dass das Großereignis durchgeführt werden konnte. Alleine dass das Ereignis stattfinden konnte, ist als Demonstration der Stärke zu sehen.
Mit der Tradition gebrochen
Die zwei Sitzungen sind einerseits natürlich immer eine Bühne, auf der die Führung sich feiert und sich selbst gratuliert. Dieses Mal stand vor allem der Sieg über das Coronavirus im Mittelpunkt - und auch der Triumph über die vielen Kritiker und Skeptiker im Ausland. Mit sichtlichem Stolz und Zufriedenheit berichtete die Regierung über ihre erfolgreichen Maßnahmen bei der Eindämmung des Virus in China. Implizit wurde gesagt: Seht her wie wir die Zahl der Infizierten und Toten begrenzt haben und vergleicht das mit den unkontrollierten Ausbrüchen in den USA oder Europa.
Das Treffen der zwei Kongresse ist traditionell vor allem die Gelegenheit, um die wirtschaftlichen Ziele für das kommende Jahr festzulegen. In der Grundsatzrede brach Ministerpräsident Li Keqiang allerdings mit dieser Tradition und lehnte es ab, ein spezifisches Wachstumsziel festzulegen. Er verwies auf „die große Unsicherheit hinsichtlich der Covid-19-Pandemie sowie des Weltwirtschafts- und Handelsumfelds“. Das deutet darauf hin, dass die Regierung in Bezug auf die Wirtschaft große Sorgen hat.
Bis zu 80 Millionen Chinesen arbeitslos
Die durch die Corona-Krise verursachten wirtschaftlichen Probleme sind in der Tat riesig. Zum ersten Mal seit dem Tod von Mao Zedong im Jahr 1976 schrumpfte die chinesische Wirtschaft im ersten Quartal des Jahres. Die kürzlich veröffentlichten Wirtschaftsdaten zeigten außerdem schwache Einzelhandelsumsätze und eine weit über den Erwartungen liegende Arbeitslosenquote von sechs Prozent. Die tatsächliche Arbeitslosigkeit ist vermutlich doppelt oder gar dreimal so hoch. Womöglich sind bis zu 80 Millionen Chinesen arbeitslos.
460.000 private Unternehmen mussten in den letzten Monaten ihre Türen schließen. Die inländischen Reisen gingen im April um 71 Prozent zurück. Auch im Mai kam es zu keiner merklichen Erholung, obwohl um den ersten Mai die Chinesen vier Tage Urlaub hatten. Jedoch lag die Reisetätigkeit um 60 Prozent unter der des Vorjahrs.
Sicherheitsgesetz für Hongkong
Die Erholung der Immobilienpreise lässt ebenfalls auf sich warten. Da auch in China viele im Homeoffice arbeiten, könnte es sein, dass die Preise für gewerbliche Immobilien nie mehr die früheren Höchststände erreichen. Der internationale Handel ist rückläufig. Die Autoverkäufe haben zwar etwas zugenommen, um fünf Prozent im Vergleich zum Mai letzten Jahres. Chinas Wirtschaft erholt sich also, aber es geht nur sehr langsam bergauf.
Das dritte große Thema des Kongresses ist Hongkong. Die sichtbar gestärkte Führung hat einen weitreichenden nationalen Sicherheitsplan ausgearbeitet, der den halbautonomen Status von Hongkong untergräbt. Ohne hier im Einzelnen auf die Gesetze einzugehen, handelt es sich im Grunde genommen um eine Überarbeitung oder Ergänzung des sogenannten Anhangs III des Grundgesetzes (Basic Law) von Hongkong. Es schafft für Peking die Möglichkeit, Gesetzesänderungen außerhalb der gesetzgebenden Körperschaften in Hongkong durchzusetzen. Der Volkskongress hat am Donnerstag das Gesetz gebilligt, durch das das Regime leicht mit allen Mitteln gegen sogenannten Verrat, Aufruhr und Sezession vorgehen kann.
Schwierig zu durchschauen
Die Fernsehbilder aus Peking zeigen hoch disziplinierte und minutiös inszenierte Sitzungen. Die Reden wirken hölzern, die Delegierten klatschen höflich und an den vorgesehenen Stellen. Doch sollte man sich davon nicht täuschen lassen. Was hinter den Kulissen passiert, ist viel lebendiger und weit schwieriger zu durchschauen. Insgesamt treffen hier fast 6.000 Delegierte aus allen Teilen des Landes für eine Woche zusammen. In den Treffen und kleineren Versammlungen, die über die gesamte Woche hinweg im Umfeld des Kongresses unaufhörlich stattfinden, wird eigentliche Politik gemacht. Es werden Meinungen ausgetauscht, über die Lage vor Ort berichtet, Erfahrungen verglichen und bewertet. Politische Maßnahmen werden diskutiert, oft auch kontrovers.
Ganz zentral im Einparteiensystem ist natürlich die Personalpolitik. In den Treffen abseits der offiziellen Termine werden Allianzen geschmiedet, Netzwerke gebildet und es wird um Posten gerungen. Karrieren werden begonnen und beendet. Das Ganze aber findet hinter verschlossenen Türen statt, abseits der Öffentlichkeit. Auch ausländische Beobachter und Diplomaten erfahren in der Regel wenig über Stimmungen und Entscheidungen.
Nationalismus und robustes Wirtschaftswachstum
Die Parteiführer haben sich in der Vergangenheit oft schwergetan, diese Dimension der beiden Versammlungen unter Kontrolle zu halten. Selbst die großen Führer Mao Zedong oder Deng Xiaoping hatten in bestimmten Momenten Mühe, vorhandene Widerstände unter den Delegierten gegen ihre Politik zu überwinden. In den 1990er und 2000er Jahren brachen heftige Diskussionen um Themen wie Umweltschutz, Gleichberechtigung, Arbeitsschutz oder den Dammbau am Yangzi aus, die gelegentlich sogar die Führung zum Einlenken zwangen.
Solche spontanen Meinungsäußerungen wie in der Vergangenheit sind heute aber kaum mehr vorstellbar. Deutlich wird daran, in welchem Maße die heutige Führung um Präsident Xi Jinping die Kongresse und Delegierten im Griff hat und den politischen Prozess in China dominiert. Das war nicht immer so.
Die politische Stabilität in China beruht im Wesentlichen auf zwei Säulen: Nationalismus und robustes Wirtschaftswachstum. Jetzt, wo die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, bleibt vor allem der Nationalismus. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Schwerpunktsetzung der „zwei Sitzungen“ in diesem Jahr. Das beständige Feiern der eigenen Erfolge, das harte Durchgreifen in Hongkong und der Triumph über gegen Kritiker im Ausland sollen die nationalistischen Instinkte befriedigen in einer Zeit sich verschlechternder wirtschaftlicher Perspektiven.
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3.000 Abgeordnete im Volkskongress stimmten über das Sicherheitsgesetzt für Hongkong ab. Es gab eine Gegenstimme. Na bitte, wenn das keine Domokratie ist!