Aktivist mit Fahne von attack
Den Aktivisten von „attac“ spricht der Bundesfinanzhof die Gemeinnützigkeit ab / picture alliance

Gericht spricht „attac“ Gemeinnützigkeit ab - Schlechte News für Politaktivisten

Oberste Richter sprechen den globalisierungskritischen Aktivisten von „attac“ die Gemeinnützigkeit ab. Das war längst überfällig. Aber was bedeutet das Urteil für Organisationen wie die Bertelsmann-Stiftung?

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es ist ein Urteil, das in seiner Tragweite kaum überschätzt werden kann. Denn was der Bundesfinanzhof in München jetzt mit Blick auf den Trägerverein von „attac“ entschieden hat, dürfte weit über den steuerrechtlichen Umgang mit dieser sogenannten globalisierungskritischen Organisation hinausreichen. Es geht vielmehr darum, wo grundsätzlich die Grenze zu ziehen ist zwischen politischem Lobbying und allgemeiner Bildungsarbeit – und inwieweit der Staat in Form von steuerlichen Vergünstigungen weltanschauliche Partikularinteressen fördern sollte. Wer das gestern veröffentlichte Urteil als Schuss vor den Bug eines „linken“ Vereins wertet und daraus eine Art Verschwörung ableitet, um angeblich „politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen“ (so ein Vorstandsmitglied von „attac“), hat in der Sache wenig begriffen. Die Frage handelt im Kern nämlich von demokratischer Legitimation.

Warum „attac“ nicht gemeinnützig ist

Denn wenn „attac“ nach Meinung der Bundesfinanzrichter jetzt die Gemeinnützigkeit abgesprochen werden soll, dann nicht wegen der „Missliebigkeit“ von Aktionen etwa gegen den G-20-Gipfel in Hamburg (einschließlich des Aufrufs zu „zivilem Ungehorsam“). Sondern schlicht und ergreifend wegen der Definition von Gemeinnützigkeit laut Paragraph 52 der Abgabenordnung. Dort heißt es: „Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“; es werden 25 konkrete Beispiele genannt – Tierschutz, Denkmalschutz oder Sport ebenso wie „die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“. Letzteres allerdings mit folgender Einschränkung: „hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen“.

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Romuald Veselic | Mi., 27. Februar 2019 - 18:51

ist es notwendig, nicht nur gegen "Rechts" vorzugehen, sondern auch gegen "Links". Mich vertritt niemand, außer den Abgeordneten aus meinem Wahlkreis im Landtag/Bundestag. Davon gehe ich aus.
Abgesehen davon, bin ich für den Opferschutz und gegen den Täterschutz. Ansonsten bin ich misstrauisch. Da ich keinem glaube, werde ich meistens nicht enttäuscht.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 27. Februar 2019 - 19:37

einen Moment lang auch gewundert, dass meine Spenden für "Stop TTIP" absetzungsfähig waren.
Unabhängig davon hätte ich trotzdem gespendet.
Aber aus diesem Grunde hatte ich nunmal so für mich überlegt und sah keinen großen Unterschied zu politischen Parteien.
Entscheidend ist doch die Ausrichtung des Eigeninteresses an einem Gemeinwohl und nicht der Umstand des Eigeninteresses selbst.
Also bitte, bei allem Respekt, könnte es nicht sein, dass beim Bundesfinanzhof keine Juristen sitzen, die politische Prozesse einschätzen können?
Das Urteil wird keinen Bestand haben.
Ich denke eher in Richtung notwendige Beweise, dass explizit das Gemeinwohl ausser Acht gelassen wird, z.B. durch Verletzung von Gesetzen, Aufruf zur Gewalt etc.
Es will doch nur jeder die Demokratie, die ihm selbst passt?
So wird das nichts!

Attack verfolgt eine politische Agenda? Vielleicht. Oder genauer: Vielleicht auch. Wie immer werden solche Fragen innerhalb des vielzitierten Ermessenspielsraums entschieden - subjektiv, versteht sich, auch ein Richter handelt, wenn Paragraphen nicht eindeutig sind, durchaus meinungsorientiert.
Will eine Organisation wie Attac die Menschen über die Auswirkungen globaler Finanzwirtschaft und der Konzentration von Wohlstand informieren - Dinge, die längst unzweifelhaft existieren - ersteht daraus zwangsläufig auch eine politische Agenda.
Weiter: Wer Tiere schützen will, handelt gemeinnützig, wer Menschen vor Gewalt durch andere Menschen schützen will, wie die Antonio Amadeu Stiftung, nicht? Allzu oft verstecken sich hinter der Ablehnung gemeinnütziger Arbeit politische Ziele.
Ein Engagement gegen Mißstände führt nun mal zwangsläufig auch zu politischen Aussagen. Insofern sind viele anerkannt gemeinnützige Vereine fast zwangsläufig auch politisch aktiv, man denke nur an den ADAC.

Markus Michaelis | Mi., 27. Februar 2019 - 20:16

"geistige Beschränktheit zu subventionieren"

Ich würde Attac keine geistige Beschränktheit unterstellten, solche Arbeit braucht eine Demokratie durchaus und die Grenzen zu Tierschutz oder Sport können fließend sein (auch Attac-Mitglieder arbeiten politisch in der Regel nicht in die eigene Tasche sondern versuchen zu informieren). Trotzdem hat der Artikel im Kern Recht, dass Attac eine politische Agenda verfolgt und daher nicht unter diese Förderung fallen sollte.

Die Bertelsmann-Stiftung (und wahrscheinlich viele andere) sollte dementsprechend auch nicht mehr steuerlich gefördert sein.

Michaela Diederichs | Mi., 27. Februar 2019 - 20:27

Herrlich geschrieben! Die fangen tatsächlich an zu piepen, wenn es keine Spendenbescheinigungen mehr gibt. Damit kann ja nicht die 5 Euro-Spende gemeint sein! Denn die fällt in Summe wohl kaum in Gewicht. Da schimpft offensichtlich der Großspender wie ein Rohrspatz und der hat bekanntlich seine ganz eigenen Interessen, die nach meiner Kenntnis nicht unter gemeinnützig fallen. Am eigenen Futtertrog hört der Spaß bekanntlich auf.
Eine Frage: ist Herr Wißmann auf Kinderlandverschickung oder so etwas? Ich lese so gar nichts mehr von ihm. Schade! Na, vielleicht im Mai wieder?

Christa Wallau | Mi., 27. Februar 2019 - 22:09

Richtig, lieber Herr Marguier.
Was die sog. "Stiftung" (Klingt so schön nach purem Gemeinwohl!) mit dem Namen Bertelsmann seit Jahrzehnten betreibt, das ist vom Steuerzahler betriebene Lobbyarbeit für Regierung und Wirtschaft,
und nichts anderes!

Es wird allerhöchste Zeit, dieser "Stiftung" endlich
das Handwerk zu legen.

Mein Vater pflegte angesichts solch skandalös
verdummender Eingriffe in die Meinungsbildung der Bürger, wie sie die Bertelsmann-Stiftung betreibt, zu sagen: "Verar...en kann ich mich selbst!"

Ernst-Günther Konrad | Do., 28. Februar 2019 - 06:49

hört die Freundschaft auf, sagt ein altes Sprichwort. Ich denke, wir dürfen gespannt sein, wie sich die Handlanger der politischen Parteien, welche sich in Stiftungen und Vereinen oder sog. Hilfeeinrichtungen lobbyistisch oder parteiideologisch verhalten haben, jetzt finanzieren werden. Schon den Mafioso Al Capone hatten letztlich die Steuervergehen ins Gefägnis gebracht und nicht seine vielen ruchlosen Taten. Konsequenterweise müssten aufgrund dieses Urteils die Finanzämter sämtliche in Frage kommenden Vereine und wie sie sich sonst noch nennnen, gründlich prüfen und deren Gemeinnützigkeit entziehen. Nicht nur Bertelsmann, auch die Umwelthilfe und Amadeo und andere fallen für mich darunter. Mal sehen ob die Parteien und andere Lobbyisten weiterhin so spendenfreudig sind. Ich habe nur die Befürchtung, dass die Regierung versuchen wird, mittels Gesetzesveränderungen ihren "Lieblingskindern" wieder zu Geld zu verhelfen.
Denn ohne finanziellen Vorteil will keiner Aktivist sein.

Jürgen Herrmann | Do., 28. Februar 2019 - 09:15

schon lange frage ich mich, wie die Gemeinnützigkeit knallharter Lobbyorganisationen wie z.B. DUH, BUND, Greenpeace usw. gerechtfertigt werden kann. Schließlich verfolgen diese Lobbyorganisationen knallhart ihre Ziele, die m.E. sicher nicht den Interessen und dem Willen der gesamten Deutschen Bevölkerung entsprechen. Im Gegenteil, oft verfolgen sie m.E., und das noch auf Kosten aller Deutschen, Ziele, die man im Sinne politischer Lobbyarbeit verstehen kann, aber sicher nicht mit Steuermitteln bezahlen muss.
Dem wurde jetzt durch ein Gericht ein Ende bereitet. Hoffentlich gilt das in Zukunft möglichst schnell nicht nur für "attac".

Wolfgang Henning | Do., 28. Februar 2019 - 10:03

Mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs gehören noch andere Organisationen auf den Prüfstand.
Die Amadeus-Antonio-Stiftung mischt sich ebenfalls in die Tagespolitik ein und versucht, die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Bernd Schiebener | Do., 28. Februar 2019 - 10:35

Ich denke es gibt noch viel,viel mehr dieser "gemeinnützigen Prüf -Fälle" die ihre Suppe unter diesem Siegel kochen.

Juliana Keppelen | Do., 28. Februar 2019 - 11:14

wo fängt man an wo hört man auf. Ich denke aber, dass die heutige Regierung in Bayern den damaligen "Aktivisten" gegen Wackersdorf (Wiederaufbereitungsanlage für Atombrennstäbe) auf Knien danken kann und insgeheim auch wird, dass diese "Aktivisten" dieses Bauwerk verhindert haben, Desgleichen gilt für Wyhl (Atomkraftwerk am Kaiserstuhl). Und die heutige Regierung in Baden-Württemberg wäre bestimmt glücklicher wenn sich die S21 Gegner durchgesetzt hätten. Also ich bewundere den Mut und die Ausdauer bei Menschen die es wagen trotz der vorgegebenen Linie kriltisch zu hinterfragen was dieses und jenes geplante Vorhaben soll und wem nützt es oder ist es nur ein Prestigeprojekt oder wer ist der Nutznießer der geplanten Projekten.

Ernst-Günther Konrad | Do., 28. Februar 2019 - 17:44

Antwort auf von Juliana Keppelen

Ich stimme Ihnen durchaus zu, liebe Frau Keppelen. Nur hat Protest ohne Gewalt zu erfolgen und muss in erster Linie von den Menschen ausgehen, die unmittelbar betroffen sind. Die allseits bekannten Krawall-Chaoten braucht es nicht. Vor allem aber müssen die politischen Verantwortlichkeiten klar benannt werden. Es kann nicht sein, wie im Fall des Hambacher Forstes, dass eine rot-grüne Regierung dessen Rodung beschließt und schwupps, nachdem man aus der Regierungsverantwortung abgewählt wurde, ist man plötzlich dagegen. Auch diese Scheinheiligkeit gehört von Protestlern klar benannt.
Es ist nur erstaunlich, das diese Regierung ein kritisches Hinterfragen bei Umweltthemen offenbar anders händelt, als kritisches Nachfragen beispielsweise in der Migrationspolitik.
Ich bin auch für saubere Umwelt und alternative Energien. Nur ein Wechsel vom einen zum anderen muss wirtschaftlich vernünftig und überlegt passieren und darf vor allem nicht auf Lügen aufgebaut sein.

Hans Möller | Do., 28. Februar 2019 - 12:54

Rechtssystematisch kann ich dem Artikel durchaus zustimmen.
Jedoch glaubt doch kein politisch halbwegs verständiger Mensch daran, dass ausgerechnet der der neoliberalen Kaderorganisation Bertelsmann Stiftung jetzt die Gemeinnützigkeit entzogen wird

gerhard hellriegel | Do., 28. Februar 2019 - 13:01

Lieber Herr Marguier, kann es sein, dass es "Politaktivisten" waren, die die DDR zu Fall brachten? Nicht gemeinnützig?
Ist der BUND oder Greenpeace "demokratisch legitimiert"? Die Konrad-Adenauer- oder Friedrich-Ebert-Stiftung? Verfolgen die Eben-Genannten nicht auch "Einzelinteressen"? Bitte teilen Sie mir die richtige Haltung zu "Sparpaketen der Bundesregierung, der Finanztransaktionssteuer, zum Bahnprojekt Stuttgart 21" mit, damit ich endgültig weiß, was dem Gemeinwohl dient und was nicht. Schließen sich "geistige Offenheit" und klarer Standpunkt aus? Etwa in der Klimapolitik?
Bitte nennen Sie mir die "gemeinnützigen Organisationen", die "die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung" nicht "im Sinne eigener Auffassungen beeinflussen wollen"?
Schließlich bitte noch: was sind "die Interessen des Staates" und was ist der Unterschied, ob man dafür oder dagegen "agitiert"?
Und was hat das alles mit Demokratie zu tun?

Jürgen Lehmann | Do., 28. Februar 2019 - 17:22

Es gibt auch Themen, bei denen man den Parteien wie Grünen, SPD und Die Linke recht geben muss, auch wenn sich andere Parteien bei dem Thema „politisch missliebige Organisationen“ vornehm zurückhalten.

Man muss kein Philosoph und Bildungsforscher sein, um festzustellen, dass das Wirken der Bertelsmann-Stiftung mit Gemeinnützigkeit wenig zu tun hat und sicherlich auch keine demokratische Legitimation besitzt.

Es gibt noch zahlreiche andere Stiftungen die unter die Lupe des Bundesfinanzhofes genommen werden müssten.