Bundeskanzlerin Angela Merkel (l, CDU) und Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Bundesvorsitzende, unterhalten sich zu Beginn der Unions-Fraktionssitzung im Bundestag.
Annegret Kramp-Karrenbauer machte klar: Unter ihr wiederholt sich eine Situation wie 2015 unter Angela Merkel nicht / picture alliance

Werkstattgespräche und Zukunfts-Workshops - Zitterpartys für die Angstparteien

Es tut sich was in der deutschen Politik: CDU und SPD gehen in Werkstattgesprächen und Workshops ihre Vergangenheit an. Beide Parteien sehen diese Wurzelsuche bereits als Erneuerung an. Aber: Zukunft lässt sich nicht von oben verordnen, sie entsteht in der realen Welt

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Es tut sich was. Die deutsche Politik geht in sich. Die großen Parteien reflektieren sich und veranstalten Werkstatt-Gespräche und Zukunfts-Workshops, sie karren Experten, Lokalpolitiker und handverlesene Bürger in die Vorstandsetagen, um mit ihnen Versäumnisse aufzuarbeiten und neue Strategien zu entwickeln. Dass es künftig in den Apparaten lebhafter wird, hoffen viele. Nicht umsonst haben sowohl CDU als auch SPD Parteiführer installiert, die nicht gemeinsam mit der künftigen Alt-Kanzlerin Angela Merkel am Kabinettstisch sitzen. Die Grundlagen für eine stärkere Profilierung der Parteien scheinen also gelegt zu sein.

Bewegung ohne Ortswechsel nennt man Zittern

Man braucht keine große Hoffnungen mehr auf eine Erneuerung der Parteien haben, um in der zur Schau gestellten Aufbruchsstimmung dennoch etwas Positives zu erkennen: Denn zumindest zeigt sich, dass die Abschottung der Politik von der Stimmung im Land nicht vollständig gelingt. Trotz aller Versuche, disruptive Wahlergebnisse als Resultate massenhafter Wählerverführung und -manipulation zu entwerten, hält in der Politik nun doch langsam der Gedanke Einzug, dass „es“ so nicht weitergehen könne wie bisher. Die erste von zwei Fragen, die nun in den Parteizentralen gewälzt werden, lautet: Was ist dieses „es“, das so nicht weitergehen kann? Schon die Frage ist unangenehm, denn sie bedeutet nichts Geringeres als das Ende des mehr als 20 Jahre alten politischen Dogmas der Alternativlosigkeit. Die zweite Frage „Wie soll es weitergehen?“ ist jedoch noch unangenehmer, denn sie fordert politische Fantasie jenseits von dem, was eben noch als alternativlos und unumkehrbar galt.

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Henriette Schmitt | So., 17. Februar 2019 - 11:21

Standing ovations anstelle von schweigendem Verharren einer Regierungsperson gegenüber,die alles andere als Gemeinsamkeit zum Prinzip ihres Regierens gemacht hat: keine Absprache mit ihren Regierungsmitgliedern, wie jetzt De Maizieres Bericht klarmacht, keine Absprache mit der Europäischen Union und schon gar keine mit ihren Bürgern. Ihre Rede und auch ihre Mimik und Gestik kommen mir vor wie: Die werden vielleicht gucken, Mami, was ich alles kann, Mami!

Christa Wallau | So., 17. Februar 2019 - 12:17

Die leicht durchschaubaren Theaterstücke. welche die beiden ehemaligen Volksparteien jetzt aufführen, würden in jedem anderen Land Europas mit schrillen Tönen ausgepfiffen.
Nicht so bei uns.
Hier glaubt eine obrigkeitshörige Mehrheit a l l e s.
Man muß es nur oft genug wiederholen. Aber dazu hat die Politik ja die öffentlich-rechtlichen Medien direkt an der Hand.
Die "tatsächlich Verdrossenen" (s. oben) werden natürlich nicht wieder eingefangen.
Doch selbst von diesen Leuten wagt allenfalls die Hälfte, die Alternativpartei AfD oder die Linken zu wählen. Die andere Hälfte zieht sich ins Lager der Nichtwähler zurück oder geht sogar den grünen Heilslehrern auf den Leim , wenn sie CDU/CSU oder SPD nicht mehr vertraut.
Auf absehbare Zeit kann und wird sich daher in D gar nichts grundlegend ändern. Das Elend setzt sich weiter fort ...
Bis zum bitteren Ende.

Und das ist, wenn man den letzten Nachrichten aus Frankreich glauben darf, auch gut so. Scheinbar haben sich dort jetzt endgültig die extremen Kräfte durchgesetzt, antisemitische Töne werden laut, und der ehemalige Rothschild-Banker Macron wird als "Judenhure" diffamiert.
Im gleichen Atemzug tönt es - Pegida lässt grüssen - "man sei das Volk". Auf der Strecke bleiben mal wieder die Bürger, die ein gerechtes Anliegen haben, und mit den Radikalen in einen Topf geworfen werden.

Auch bei uns gab und gibt es Versuche von Rechtsaussen (AfD)und Linksaussen (Linke) die ursprünglich gerechte Idee der Gelbwesten - auf soziale Schieflage hinzuweisen - für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

"Auf der Strecke bleiben mal wieder die Bürger, die ein gerechtes Anliegen haben und mit den Radikalen in einen Topf geworfen werden."

Falsch, Herr Lenz!
Genau diese Bürger mit ihren gerechten Anliegen sind dank der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich eben n i c h t auf der Strecke geblieben!
Herr Macron mußte sich längst mit ihnen zusammensetzen, und er hat geplante
Maßnahmen zurücknehmen müssen, weil die Bürger ihn auf der Straße gestoppt haben.

Aus der Angst heraus, daß Bürgerprotest von Radikalen ausgenützt werden könnte,
erst gar keinen Protest zu organisieren, das halte ich für feige und eines Demokraten unwürdig.
Es ist ein Freibrief für alle Politiker, sich ungestraft vom Volk und seinem Wohl zu entfernen, wie dies in Deutschland leider seit langem der Fall ist.

was sorgt Sie denn so. Sollen Mutbürger durch Berlin rennen und alles kurz und klein schlagen?
Fahren Sie einfach nach Frankreich und erleben Sie das Drama mal am eigenen Leib. Reisen bildet.

Michaela Diederichs | So., 17. Februar 2019 - 12:28

Donnerwetter! Da ist Ihnen ein toller Beitrag zu unserer politischen Kaste gelungen. Es reicht eben nicht, Bob den Baumeister zu geben. Weder Zukunft noch Vertrauen lässt sich von oben verordnen. Und beides ist m. E. verspielt.

Ernst-Günther Konrad | So., 17. Februar 2019 - 12:39

Die beiden Parteien müssten eine Kernsanierung vornehmen. Nur, das tun sie eben nicht. Sie streichen das alte marode Gemäuer und legen den Garten neu an. Die Bausubstanz, die tragenden Elemente des Gebäudes, da trauen sie sich nicht heran, es müsste ja ein Stützpfeiler entfernt und ausgetauscht werden. Zu sehr haben sich die Parteien - das haben sie sehr gut beschrieben - einem Personenkult -und ohne das sie es bemerken wollten, sich einem ständigen Fortschreiten von Realitätsverlust hingegeben. Flügelpositionen innerhalb einer Partei wurden unterdrückt. Die CDU folgte bedingungslos Kohl und seinen schwarzen Kassen, was nie richtig aufgearbeitet wurde. Die SPD rannte Schröder hinterher ohne das sie einen Gegegnpart zu ihm parteiintern zuließen. Bei allem haben alle den "dummen" Wähler vergessen. Die Politiker haben im Suff der Selbstversorgung geglaubt, die Menschen sehen die Fäden ihres Marionettenspiels nicht. Es ist alles Blendwerk. Ohne Ehrlichkeit geht gar nichts. So nicht.

Markus Michaelis | So., 17. Februar 2019 - 13:38

"von denen, die bis eben noch das Gesetz mit Klauen und Zähnen verteidigt haben und dies für Politik hielten."

Wenn etwas Neues und Großes kommt, ist es Zeit für Politik (d.h. Gestaltung, Diskussion) und passende neue Gesetze. Das nicht in Erwägung zu ziehen, sondern Ansprüche in dieser Richtung als undemokratisch abzuwehren, fand ich ab 2015 bei vielen Politikern, Bürgern, Medien erschreckend. Ich würde von einem Demokraten erwarten, dass er bei Punkten, die ihm am Herzen liegen und die groß und neu sind, auch gegen ein Verfassungsgericht kämpft. Auch das Verfassungsgericht interpretiert nur den Verfassungstext anhand der aktuellen Volksstimmung. Es ist ein Organ der Gewaltenteilung und wenn es da ein Primat gibt, dann hat es die gesellschaftliche Diskussion und die Entscheidung im Parlament.

Die jetzige Politik machte oft den Eindruck als gebe es DIE wahre Lösung, die von Politikern verwaltet und von Gerichten abgesegnet wird.

Gisela Fimiani | So., 17. Februar 2019 - 14:27

Seit Jahrzehnten züchtet man Parteisoldaten heran, die weder den Souverän, noch selbstdenkend, die freiheitliche bürgerliche Demokratie, vertreten. Entsprechend feige, opportunistisch und denkschwach wurden die „Volksvertreter“. Darüberhinaus zeichnen sich viele durch ein erschreckendes Maß an kultur-historischer Un-Bildung, sowie Berufslosigkeit aus. Sie sollen ja auch zuvorderst Partei Knecht sein. Nun werden wir mit Theaterstücken unterhalten und abgelenkt, die alle die Titel: „Wasch mir den Pelz, doch mach mich nicht nass“, oder „Wie suggerieren wir das Gelingen der Quadratur des Kreises?“ tragen. Nur wer das Denken noch beherrscht wird es erneuern können. Wer sich vor seinen Resultaten fürchtet, wird das „sapere aude“, so er davon je gehört hat, unter allen Umständen verleumden.

ein hervorragender Beitrag! Hundertprozentige Zustimmung.
Besser kann man das nicht formulieren.
Mir fällt noch ein Vergleich ein, der in einem anderen Zusammenhang von Herrn Westerwelle einst gemacht wurde und wofür er viel Prügel einstecken musste.

Auf den Zustand unserer Republik in dieser Zeit passt er aber umso besser:
Spätrömische Dekadenz.

Wolf-Dieter Hohe | So., 17. Februar 2019 - 16:37

Sehr geehrter Herr Heitmann,

Perfekt illustriert.

Grüße aus einer Sandburg.
W.D. Hohe

Heidemarie Heim | Di., 19. Februar 2019 - 10:50

Das Beste was ich bisher zum Zustand der oben genannten Parteien gelesen habe! "Diskurssimulation" und "Bewegung ohne Ortswechsel nennt man Zittern". Genial!
"You save my day Cicero!";-)