- Der „Maybot“ macht immer weiter
Theresa May hält am Brexit-Deal fest, obwohl der britischen Premierministerin die Minister davonlaufen. Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass May für den Deal im Parlament noch eine Mehrheit finden kann. Welche Möglichkeiten bleiben ihr?
„Schwierige und manchmal ungemütliche Entscheidungen mussten getroffen werden, aber dieser Deal ist im nationalen Interesse und wir sollten geeint dahinter stehen“, sagte Theresa May am Donnerstag nachmittag vor versammelter Presse in Downing Street 10. Trotz des Rücktritts von zwei Ministern und einer dreistündigen Fragestunde im Parlament, die eher einem Schauprozess glich, blieb die britische Regierungschefin ungerührt. Falls noch jemand daran zweifelte, fügte die 62-jährige Konservative hinzu: „Werde ich das Vorhaben durchbringen? Ja.“
Wie lange kann May ohne Macht regieren?
Ihr „Maybot“ wird den Briten langsam unheimlich. Im November 2016 brachte der Karikaturist John Crace den Spitznamen für die britische Premierministerin in einem politischen Sketch unter und seitdem ist sie ihn nicht mehr losgeworden: Theresa Mays eckige öffentliche Auftritte erinnerten den Guardian-Kolumnisten an einen Roboter, der dringend ein Reboot braucht. Zwei Jahre später steht die Pastorentochter immer noch auf dem politischen Schlachtfeld, in das sich die britische Politbühne seit dem Brexit-Referendum verwandelt hat. Wie lange aber kann sie jetzt noch regieren, wo sie de facto die Macht verloren hat?
Der schwarze Donnerstag begann für die umkämpfte Theresa May mit dem Rücktritt ihres Brexitministers. Er könne den von ihm mit Michael Barnier in Brüssel ausgehandelten Deal nicht mittragen, schrieb Dominic Raab in seinem Abschiedsbrief: „Ich fürchte, der Deal bedroht die Integrität des Vereinigten Königreichs.“ In einem BBC-Interview gab er zu Protokoll: „Die Premierministerin muss sich einen Brexitminister suchen, der hinter ihrer Linie steht.“ Knapp danach folgte ihm die Arbeitsministerin Esther McVey nach, später kamen noch einige andere Tory-Funktionäre hinzu.
Nur sieben Abgeordnete springen May bei
Der Abgang des zweiten Brexitministers innerhalb von sechs Monaten zeigte überdeutlich, wie gespalten die britische Politszene hinsichtlich des Brexit ist. Im Juli war Raabs Vorgänger David Davis wegen Mays sanfter Verhandlungsstrategie zurückgetreten und hatte Britanniens obersten Brexitier un damaligen Außenminister Boris Johnson mit sich gerissen. Wenn eine Regierungschefin nicht einmal das eigene Kabinett von ihrem Kompromiss-Plan überzeugen kann, wie soll es ihr dann mit einem Parlament gelingen, in dem sie nur eine hauchdünne Mehrheit hat?
Im House of Commons verteidigte Theresa May am Donnerstag ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal. Nur sieben Abgeordnete wie ihre ehemalige Innenministerin Amber Rudd sprangen ihr öffentlich bei, alle anderen drohten und schimpften bloß. Die meisten Minister blickten unangenehm berührt auf ihre Schuhe. Man wartete auf weitere Rücktritte von harten Brexitieren, aber die kamen erst einmal nicht. Theresa Mays Versuch, den innerparteilichen Konkurrenten und harten Brexit-Fan Michael Gove vom Umweltminister zum Brexitverantwortlichen zu befördern, scheiterte an Goves Widerstand: Er wolle den Job nur, wenn er neu verhandeln dürfe, hieß es.
Schwierigkeiten des Brexits werden offensichtlich
Jetzt, wo der Brexit zum ersten Mal konkrete Gestalt annimmt, zeigt sich, wie schwierig es ist, die Versprechen der „Leave“-Kampagne einzulösen: Entfernt sich das Vereinigte Königreich so weit von der EU, wie es die harten Brexit-Fans wollen, dann steht der Frieden in Nordirland auf dem Spiel. Denn für eine grüne Grenze zwischen Nordirland und Irland braucht es den Verbleib in der Zollunion. Dieser wäre auch ökonomisch sinnvoll. Bleibt Großbritannien aber sehr nahe an der EU, dann ergibt der ganze Brexit keinen Sinn. Denn die Briten müssten zwar die meisten Verpflichtungen mittragen, hätten aber kein politisches Mitspracherecht.
Deshalb bäumen sich jetzt EU-Feinde und EU-Freunde gleichermaßen in letzter Minute noch einmal gegen das mäßig gut geplante Austritts-Projekt auf. Gegen die Premierministerin steht die Opposition – die Labour-Party unter Jeremy Corbyn, die schottischen Nationalisten der SNP, die Liberaldemokraten. „Kein normaler Mensch wird für diese miserable Niederlage von einem Deal stimmen“, sagt etwa Labour-Schattenbrexitminister Keir Starmer.
Hinzu kommen aber noch die nordirischen Unionisten der DUP, die bisher die Regierung von außen unterstützt haben. Schlimmer noch, auch die eurokritischen Tory-Rebellen scheinen lieber ihre eigene Regierungschefin stürzen zu wollen, als einen sanften EU-Austritt zu akzeptieren.
Corbyn oder Johnson als Nachfolger?
Die parteiinternen Europafeinde von der „European Research Group“ unter der Führung des ultrakonservativen Tory-Hinterbänklers Jacob Rees-Mogg streben einen Misstrauensantrag gegen die eigene Regierungschefin an. Dazu brauchen sie die Unterstützung von 48 Abgeordneten. „Meinen Brief habe ich abgeschickt”, sagte Rees-Mogg und wies die Idee, dass es sich um einen Staatsstreich handelte, von sich: „Soweit ich weiß, ist ein Coup eine illegale Machtübernahme.“ Kaum jemand zweifelt mehr, dass es genügend europhobe Tories gibt, die den Todesstoß jetzt wagen wollen, wo die moderate Regierungschefin ohnehin bereits angeschlagen ist.
Zählt man loyale Tory-Abgeordnete und Labour-Rebellen zusammen, dann kommt Theresa Mays Deal nur auf die Zustimmung von etwa 224 Abgeordnete. Das wäre bei einem Haus von 650 Abgeordneten nicht ausreichend. Ist aber die neue nationalistische Wut der „Brextremisten“ am Ende wirklich so heftig, dass sie in Kauf nehmen, das Land ins Chaos zu stürzen? Fallen Theresa May und ihr Deal, dann droht ein „No-Deal-Szenario“ und Großbritannien kracht am 29. März 2019 aus der EU ohne Übergangsperiode. Die Regierungschefin hofft außerdem, dass sich genügend Abgeordnete vor ihr weniger fürchten als vor ihren potentiellen Nachfolgern. Das Wettbüro William Hill setzt auf Labour-Chef Jeremy Corbyn als nächsten Premierminister (4/1), gefolgt von Boris Johnson (6/1). Beide haben zwar jeweils in ihrem Segment der Bevölkerung viele Fans, aber ob einer der beiden mehrheitsfähig ist?
Am Parlamentsplatz riefen am Donnerstagabend proeuropäische Demonstranten: „Wir wollen eine Volksabstimmung!“ Hunderte aufgebrachte Briten versammelten sich im Regierungsviertel, um den Druck der Straße auf die umkämpfte Premierministerin zu erhöhen. Weder die Regierungschefin noch der Labour-Oppositionsführer wollen davon bisher etwas hören. Wenn aber die Regierung und das Parlament handlungsunfähig sein sollten, dann werden die Stimmen lauter werden, die ein zweites Referendum fordern.
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Ich verfolge schon seit Jahrzehnten Äußerungen englischer Politiker und die Beiträge in den Printmedien und stellte immer wieder fest: Über Europa und speziell über Brüssel wird nur selten wahrheitsgemäß geredet oder geschrieben, sei es als gewollte Täuschung der englischen Öffentlichkeit oder, psychologisch betrachtet, als neurotische Leugnung der Realitäten. Rühmliche Ausnahmen sind die Liberalen und der Guardian. Aber leider wurden diese Stimmen nur von einer Minderheit in England wahrgenommen. Die derzeitige Spaltung in der Brexitfrage, ja das aktuelle Politikchaos hat so gesehen ein Gutes: Es wird in Sachen Europa vieles transparenter und ehrlicher. Krude Unwahrheiten, ja offensicht-liche Lügen werden einer breiten Öffentlichkeit endlich mal bewußter als es früher der Fall war,
und die Schicksalsfrage Europa gerade für die junge Generation wird in demokratischer Weise und mit Leidenschaft diskutiert.
Der Friedensprozess in Nordirland wird zwar immer wieder hervorgehoben. Er ist aber unabhängig von einer "Grünen Grenze" oder einer Zollgrenze. Großbritannien ist seit mehreren Jahrzehnten Mitglied der Union. Der Bürgerkrieg in Nordirland entwickelte sich während dieser Zeit. Irgendwelche Stacheldrahtbewehrte Zäune zwischen Nordirland und der Republik Irland gab es auch da nur punktuell. Die EU kann Großbritannien die gleichen Zollrechte einräumen wie den anderen Mitgliedern bzw. anderen Nichtmitgliedern - wenn sie es will. Nur sie will es nicht, weil dann relativ klar wäre, daß die EU jenseits von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum nichts weiter als ein Traumbild gefüllt mit schönen Phrasen und Absichtserklärungen bieten kann.
Sie kann einem leid tun, die Britische MP. Ich denke, sie versucht ihr Bestes. Aber eingekeilt zwischen rachsüchtigen EU-Mandarinen und krawalligen britischen Abgeordneten wird sie keinen "Deal" durchbringen. In der Finanzwelt sei das Thema schon durch, wie man hört. Aber vielleicht ist das ihre Strategie, ein neues Referendum gekoppelt an Neuwahlen in letzter Minute?
ist doch prima, da stimmt das Volk ab und will raus.
Dann merken Volk und Politiker, dass das etwas kostet und nicht so billig geht wie sie gedacht haben.
Also noch einmal abstimmen. Aber warum denn?
Mehrheit ist Mehrheit in einer Demokratie. Auch wenn sie vollkommen daneben liegt.
Was gilt denn nun?
...nennt man das, wenn dem Publikum vorgegaukelt wird, es gäbe nur entweder das Eine (Annahme des Verhandlungsergebnisses) oder das Andere (harter Brexit ohne jegliche Vereinbarung).
Tatsächlich haben aber die EU Mitgliedsstaaten ein ebenso vitales Interesse an einer tragfähigen wirtschaftspolitischen und sicherheitspolitischen Partnerschaft, wie die Briten selbst. May hat schlicht und ergreifend schlecht verhandelt und den selbstgefälligen brüsseler Apparatschiks nicht klargemacht, was für Kontinentaleuropa auf dem Spiel steht. Wenn so hart gepokert wird, muss man auch mal die Instrumente zeigen, worauf May bisher leichtfertig verzichtet hat. Neben den wirtschaftlichen Interessen wäre das z.b. der Status der EU Ausländer in GB und die gesamte Sicherheitspartnerschaft. Man könnte GB bis zur Aushandlung eines umfangreichen Freihandelsabkommens beispielsweise in der Zollunion halten und für Nordirland ließe sich auch eine Lösung finden, die ohne Schlagbäume auskommt.
sie wird bis zur letzten Minute ihres Amtes (die bald kommen könnte) kämpfen. Das muss der Frau zugestehen: Kämpfen kann sie. Aber nun stellt sich die Frage: Ein Austritt ohne Austritt, oder endlich der geplante Brexit. Langsam wird das spannend.
Frau Szyszkowitz schriebt, "Entfernt sich das Vereinigte Königreich so weit von der EU, wie es die harten Brexit-Fans wollen, dann steht der Frieden in Nordirland auf dem Spiel.". Will sie damit sagen, das Brussel bereit ist, eine "re-commissioning of arms" in Irland zu unterstützen, gar fördern?
Nach circa 20 Jahren wohnen Nachbaren in NI friedlich neben einander. Wenn der Frieden in Gefahr steht, denn nur weil die EU bereit ist, die entsprechende Kräfte in Irland dazu zu ermuntern.