Eine Frau mit Regenschirm und rotem Mantel geht am Potsdamer Platz durch den Regen
Die Frau trägt Beruf, Kinder, den Mann und mehr als die halbe Welt wie selbstverständlich mit / picture alliance

Feminismus - Die fehlende Innentasche

Ein ganzes Jahrhundert Feminismus hat viel bewirkt. Bei aller Dynamik wurde jedoch ein Detail nicht beachtet: noch immer fehlt häufig die eingenähte Mantelinnentasche für das Geld. Von Sabine Bergk

Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Sie ist zwölf Zentimeter tief, zehn Zentimeter breit und sie fehlt in vielen femininen Jacken und Mänteln. Seltsamer Weise ist ihr vorgesehener Platz über dem Herzen. Ein Mann findet an dieser prägnanten Stelle sein Portemonnaie vor. Eine Frau greift ins Leere. 

Frauen fehlt in ihrer Kleidung immer noch die eingenähte Innentasche für das Geld. Inzwischen sind sie Dirigentinnen, Unternehmerinnen und Bundeskanzlerinnen. Falls sie sich jedoch einen neuen Mantel kaufen, blitzt eine Sekunde des Ärgers auf. Wozu der ganze Feminismus, wenn nicht einmal die Kleidungsbranche es schafft, diesen kleinen Fetzen Stoff einzunähen? Da solche Sekunden schnell wieder verfliegen, verliert die Angelegenheit an Beachtung und wird als Nebenschauplatz verdrängt. 

Eine fehlende Innentasche ist keine Nebensächlichkeit. Wegen ihr beginnt ein Teufelskreis an Details, der letztendlich in einem fatalen Bild endet: Die Frau als Packesel. Das Portemonnaie muss irgendwohin. Es wird eine Handtasche benötigt. In der Handtasche landen immer mehr Sachen. Schließlich trägt die Frau Beruf, Kinder, den Mann und mehr als die halbe Welt wie selbstverständlich mit. Aus den fehlenden zwölf Zentimetern wird ein riesiges Gepäckgebirge, eine heldenhafte Weltlast.

Zwischen Dogmatismus und Zusammenbruch

Der Feminismus ist zweifelsohne eine der größten Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts. Dennoch hat er in alltäglichen Details dazu geführt, dass Frauen sich dauerhaft viel zu viel auflasten.

Lässt man allen Dogmatismus und alles Wunschdenken weg, sieht die Wirklichkeit nach wie vor dürftig aus. Frauen verdienen immer noch zu wenig Geld und das liegt auch daran, dass sie sich als Alleskönnerinnen versuchen. Nicht selten enden diese Versuche in chronischer Erschöpfung. Aus Märtyrerinnen werden Nervenbündel. Eventuell wird eine Kur verschrieben, im Mittelgebirge oder am Meer. Da sitzen sie dann auf Terrassen, reden mit Therapeuten, zählen Eichhörnchen und löffeln Aufbaukost.

Kann es nicht einen Mittelweg zwischen Dogmatismus und Zusammenbruch geben? Für mich beginnt dieser Mittelweg mit einer kleinen eingenähten Innentasche. Weniger tragen, weniger Dramatik. Die Welt lastet auf verdammt vielen Pfeilern. Kein Grund, sich zu überheben. Schön, erfolgreich, elegant, Kinder und alles im Griff? Wer kann schon alles auf einmal. Olympiagold gewinnt so mancher Athlet, wenn überhaupt, einmal im Leben. Manche Frau will jedoch jeden Tag olympisches Gold erringen. Das geht nicht und geht, falls es ständig angestrebt wird, an die Substanz. 

Beide Hände frei

Dabei wäre Outsourcing eine lebenserleichternde Alternative. Dinge abgeben und vertrauen, dass es ebenso gut klappt, die Männer auch einmal machen lassen und nicht ständig an ihnen herumkritisieren. Zu der perfekten Frau gehört nicht selten der Wunsch nach einem perfekten Mann, und da sich Männer ungern regulieren lassen, endet die Schlacht meist in dauerhaftem Fluchtverhalten. 

Kampf und Flucht, chronische Erschöpfung und dauerhafte Abwesenheit ließen sich jedoch durch etwas mehr Gelassenheit vermeiden. Die Heldinnen und Märtyrerinnen könnten sich eine Spur zurücklehnen, delegieren, Hilfe annehmen und dann, ganz gelassen, in ihre Manteltasche greifen. Dort wird in Zukunft standardmäßig eine Innentasche eingenäht sein, in die ein Portemonnaie passt. Sie brauchen nicht mehr in die Handtasche greifen oder in Weltlasten kramen. Sie sind auch keine Packesel mehr, auf denen man Etliches abladen kann. Sie pfeifen auf das Heldinnendasein. Jetzt haben sie beide Hände frei.
 

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Wolfgang Dewor | So., 6. Mai 2018 - 10:32

Sonst haben wir ja keine Probleme, oder?

Karoline Vomich | So., 6. Mai 2018 - 11:22

Ein wirklich kluge und hilfreiche Anmerkung!

Danke!

Gerhard Hellriegel | So., 6. Mai 2018 - 12:03

Eine Innentasche für Frauen ist in unserer christlich-abendländischen Kultur nicht vorgesehen. Und schon gar nicht da. Schon jetzt erregt es die Einen, wenn Frauen ihr Haupthaar zeigen, die Anderen, wenn nicht. Soll das jetzt so weitergehen? Vergessen Sie nicht Silvester! Und weniger verdienen? Ach Gott, wenn Sie verheiratet sind, dann kommt das doch eh in eine Topf. Damit gleicht es sich wieder aus. Und ja, Ihr habt es schwer. Aber dafür seid Ihr auch die Guten. Und die Reinen - hoffentlich.

Valerie Kastner | So., 6. Mai 2018 - 12:20

Bei Outdoorjacken ist eine Innentasche auch für Frauenjacken dabei. :-)

Paula Parricida | So., 6. Mai 2018 - 13:07

Ein ähnlicher Gedanke ging mir eben auf dem Rückweg von der Laufrunde durch den Kopf. Als ich an der Ampel stand, querte eine Familie auf Fahrrädern meinen Weg. Sie: Schweres "Nostalgie-Hollandrad" mit Kindersitz auf dem Gepäckträger und Kleinkind und hintendran so ein schwerer Anhänger mit einem weiteren Kind drin.
Er daneben, freihändig bummelnd auf einem sportlichen Treckingrad. Unbeladen.
Erstaunlicherweise war es mein Mann, der sagte: "Was für ein Arsch..."
Als "Ossi-Mann" wäre er nämlich nie auf die Idee gekommen, mich unseren Sohn schleppen zu lassen oder mit der Erziehung und Mühe im Haushalt allein zu lassen. Ihn schockt das bis heute (unser Sohn wird jetzt 18 und hat sein Leben lang "paritätische" Erziehung und gleiches Recht für alle erlebt), wie viel strukturelles Patriarchat und wie viel unterschwellige Frauendiskriminierung es hier bei uns im tiefen Westen gibt.
Die Manteltasche ist tatsächlich ein typisches Beispiel.

Sven Kleb | So., 6. Mai 2018 - 13:41

bis befremdlich wirkt dieser Artikel auf mich. Habe ihn meiner Frau zum Lesen gegeben und sie fand ihn "an den Haaren herbeigezogen". Mir fällt auf, dass immer mehr Frauen an der gesellschaftlichen Darstellung der Frau zerbrechen. Ihnen wird suggeriert, im Beruf zu glänzen und Karriere zu machen, gleichzeitig auch sonst perfekt und vor allen Dingen stark zu sein. Schwach und anlehnungsbedürftig sind heute nur noch die Männer. Sehen Sie sich z.B.mal Werbung unter diesem Aspekt an. Aber wahrscheinlich ist das bloß die Sichtweise eines mittelalten weißen Mannes.

Bernd Muhlack | So., 6. Mai 2018 - 14:23

Bei den Klamotten die Merkel trägt, kommt es auf eine Innentasche nicht an!

Michaela Diederichs | So., 6. Mai 2018 - 15:45

Ganz herrlicher Artikel und ganz wunderbar dazu das Foto. Hände frei - Kopf frei: Die Dame auf dem Foto hat offensichtlich weder das eine noch das andere.

Axel Muench | So., 6. Mai 2018 - 16:30

Hallo Frau Bergk, mir ist nicht ganz klar was Ihre Kernbotschaft ist. Die fehlende Innentasche wirds ja wohl nicht sein. Das es die in Frauenkleidung seltener gibt, hat sicher praktische und gestalterische Gruende. Da Frauen in der Regel figurbetonte Kleidung tragen, wuerde eine Portemonnaise Beule kaum passen. Aber wie gesagt, das ist sicherlich ein Nebenschauplatz. Geht's Ihnen um die Botschaft, dass Frauen viel zu viel (er)tragen muessen? Da habe ich eine gute Nachricht! Maenner brauchen Sie nicht tragen! Und die Weltlast die Sie anscheinend tragen passt uebrigends in keine Innentasche. Da bleiben Sie lieber bei grossen Handtaschen. Und noch kurz zum Thema 'ungleicher Verdienst'. Bitte stellen Sie klar, dass es um den Gesamtverdienst von Frauen in der deutschen Wirtschaft / Gesellschaft geht und nicht um ungleichen Lohn fuer gleiche Arbeit. Durch entsprechende Berufswahl koennen Sie das steuern.

Wilhelm Maier | So., 6. Mai 2018 - 18:30

"dafür seid Ihr auch die Guten." und auch die Geliebten!. Für Immer! Und mit "Aus den fehlenden zwölf Zentimetern", mm.. na ja, manchmal ist doch das auch einfach ein bischen Mehr?. Oder?
Sie haben einen einzigartigen Sinn für Humor.. Ich finde dass Super. In "dießem" Sinne:
Alles Gute. Danke.

Jean Pütz | So., 6. Mai 2018 - 23:22

Dafür ist die Tasche also gedacht. Hab mich als Mann Jahrzehnte gefragt wofür die Tasche sei. Da die meisten Männer das Portemonnaie eh in der rechten "Arschtasche" der Hose tragen, kann die gerne für alle wegfallen. Vermutlich haben die ganzen Desginerinnen in der Modebranche (da sind Frauen ja nicht gerade unterrepräsentiert) alle fancy Handtaschen und sehen auch keinen Mehrwert von so einer Tasche!

Udo Dreisörner | Mo., 7. Mai 2018 - 06:05

Die oft gesehenen Damengeldbörsen im Format eines Laptops in der Innentasche über dem Herzen. Das will ich sehen. Oder gibt es dann ab 85D doch keine Innentasche mehr? Das wäre ziemlich diskriminierend. Fragen über Fragen.

Dieter Erkelenz | Mo., 7. Mai 2018 - 06:21

Sehr verehrte Frau Bergk,
ich bin ganz Ihrer Meinung. Doch haben Sie ein Detail vergessen!: Warum schleppt ihr Frauen diese riesenhafte Geldbörsen mit euch herum? Die passen in keine Innentasche. Wenn ich einkaufe, bemerke ich immer wieder diese Monster, die ihr aus euren minder großen Handtaschen zückt!

Elke Utecht | Mo., 7. Mai 2018 - 06:58

Komisch, ich habe nicht einen Mantel oder Anorak ohne Innentasche. Lediglich in Jacketts fehlen sie oft.

Elke Utecht | Mo., 7. Mai 2018 - 07:02

Ergänzung. Mich wundert nur, wie oft heute junge Frauen sich freiwillig mit Handtäschen, enger und unbequemer Kleidung oder Schuhen wieder einengen, Bewegungsfreiheit aufgeben oder kindlich erscheinen.

Christoph Rist | Mo., 7. Mai 2018 - 10:59

...was mich am Artikel mehr irritiert - die Innentaschensemantik von Frau Bergk oder die übrigen Kommentare? Für meine wohlabgewogenen Worte an dieser Stelle habe ich mir nun übrigens einen vollen Tag Bedenkzeit gelassen. Ohne die Errungenschaften des echten Feminismus Kleinreden zu wollen muss man im Jahre 2018 doch konstatieren, dass die ursprüngliche Zielsetzung längst erreicht wurde. Das ist vor allem die rechtliche Gleichstellung vorm Gesetz und die grundsätzliche Gleichbehandlung in unserer Gesellschaft. Das war gut und richtig. Der heutige pseudofeministische Furor, der mir laufend begegnet hat damit jedoch nichts mehr zu tun. Lächerliche Debatten wie Metoo (oder über fehlende Innentaschen) unterstreichen diese These. Was sich Frauen alles selbst aufhalsen in ihrem unerbittlichen Perfektionsstreben (welches sie an sich selbst und leider auch gegen ihren Partner richten) ist keine feministische Fragestellung sondern viel mehr eine tiefenpsychologische. Wie wär's mit Gelassenheit?

Christoph Rist | Mo., 7. Mai 2018 - 11:31

... was ich abseits des Vorgenannten als Erfolg des Feminismus ansehen soll und was der aktuelle Furorfeminismus eigentlich erreichen will. Neben rechtlicher Gleichstellung und gesellschaftlicher Gleichbehandlung hat der Feminismus politisch zweifellos entscheidend zur stetigen Sozialdemokratisierung unserer Gesellschaft beigetragen. Das Ergebnis kann man nebenan bei Alexander Grau - "So wird das nichts" nachlesen. Dieser Seiteneffekt des Feminismus ist für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft jedoch verheerend. Deutschland als Sammelsurium von Opfer- und Anspruchsgruppen - diese Perspektive hat der Feminismus erst hervorgebracht. Und wenn man mal näher hinblickt kann man (vor allem als böser weißer Mann) den Eindruck gewinnen, dass es hier eine Art Querfront gibt. Heute sind wir von den einst ureigenen deutschen Freiheitsidealen von 1848/1849 jedenfalls so weit entfernt, dass wir sie nicht mehr erkennen. Die Gleicheitsideologie hat triumphiert... Es gilt: Gleichheit > Freiheit.

Christoph Rist | Mo., 7. Mai 2018 - 11:51

... ob es aufmerksamen Beobachtern des Politgeschehens womöglich entgangen ist, mir stich es jedoch ins Auge und in den Kopf. Es waren im Jahre 2015 nämlich nicht zufällig vor allem Frauen, die das Plüschtierbombardement an deutschen Bahnhöfen veranstalteten. Das in dieser radikalen Ausprägung recht neue deutsche "Helfer- und Rettet-die-Welt-Syndrom" ist vor allem eines - feminin. Die Alphafrau an der Spitze macht es vor und die Nachgeordeten turnen es nach. Interessant ist, dass bis heute die größten Opfer dieser tragischen Unkultur vor allem Frauen sind. Die größten Kritiker der bis heute anhalten "Macht hoch die Tür!"/ "Herrschaft des Unrechts!"-Politiker sind trotzdem Männer. Was sagt uns das über die sog. "Frauensolidarität"? Einzig beruhigend für mich als Mann ist - der heutige Furorfeminismus wird so oder so sicher aussterben. Was die latente Gebärverweigerung seiner Protagonistinnen nicht schon restlos erledigt haben wird, werden garantiert die Früchte seiner Agenda beseitigen.

Sven Kleb | Mo., 7. Mai 2018 - 12:58

nur drei Kommentare? Kritische Sichtweisen zu feministischen Gedankengutsartikeln auch beim Cicero unerwünscht? Wäre sehr schade.

Stephan Unger | Mo., 7. Mai 2018 - 13:38

Dass Handtaschen sau unpraktisch und ein Einfallstor für Ausbeutung sind, das sag ich schon mein ganzes Leben. Als Mann wird man für solche Aussagen in der Regel gesteinigt. :P

"Jetzt haben sie beide Hände frei." Eine gute Überleitung zum nächsten Thema: Keine Stöckelschuhe mehr, damit man nicht mehr davon ausgeht, dass allein das sturzfreie Laufen eine Herausforderung ist, geschweige denn die theoretische Möglichkeit mal schnell wohin zu gehen.

Den Abschluss macht dann der Kurs: Denk vor dem Meeting lieber an das Projekt, als an das perfekt Makeup.

... nein, das hier ist nicht bierernst gemeint.

Dominik Maassen | Mo., 7. Mai 2018 - 14:11

Nicht zu unterschätzen wäre, wenn sie nach Dates auch mal zu diesem Portemonnaie greifen würde. Meistens erlebt man nämlich als Mann, dass sie es dann ja doch ganz toll finden, wenn sie eingeladen werden. Spart man sich die Kohle und kann sich als Prinzessin fühlen. Und wenn's ums Tragen der Wasserkiste geht, dürfen die Muskeln vom Mann, auch gern herhalten. Dafür ist er bei einigen Damen, die sonst über den Mann lästern, dann doch gerade gut genug.

Andreas van Schyndel | Mo., 7. Mai 2018 - 14:51

Solange jeanstragende Frauen es nahezu kategorisch ablehnen, die Gesäßtaschen zu nutzen, weil das einen dicken Hintern macht, brauchen sie auch keine Mantelinnentasche.

Olaf Voß | Mo., 7. Mai 2018 - 16:16

Meines Wissens übt bisher nur eine Frau das Amt des Kanzlers aus und nicht wie hier beschrieben mehrere. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist bekannt: Keine Frau liefert ein derart schlechtes Resultat ihres Schaffens ab - sie ist damit ein extrem peinliches Beispiel und gibt nicht annähernd wider, was Frauen zu leisten im Stande sind.

Wilhelm Maier | Mo., 7. Mai 2018 - 21:12

Bei fehlende Innentasche darf meine Frau in meine Manteltasche greifen. Oder auch in Sakko-, Jacken- tasche. Überall. Dort ist standardmäßig das Portemonnaie auch drinn. Leider immer öfter ganz leer. smiley lächeln... Ich mein, wenn den sog. Damengeldbörsen voll ist, wiegt er doch gar nichts, überhaubt nichts. Nur wenn alles leer ist, ist das lästig. Lächeln...
Es war mir ein Vergnügen Frau Bergk, wieder was von Ihnen zu lesen... Danke.