- Wie Trump vom Meinungstunnel profitiert
Donald Trump profitiert wie kein anderer Kandidat vom Tunnelblick der digitalen Gesellschaft. Jeder liest nur noch, was der eigenen Meinung entspricht. Die Unwissenheit wird zur Tugend erkoren. Hillary Clintons Strategie wirkt dagegen altbacken und moralinsauer
Manchmal sind es die unspektakulären Auftritte, die am meisten sagen. So wie jener von Barack Obama vor wenigen Tagen an der Rutgers University in New Jersey. Der US-Präsident war in einen rot-schwarzen Talar gehüllt, es war ein sonniger, etwas windiger Tag, Obama stand am Pult und war sichtlich aufgeräumt. Und er hatte eine Botschaft: In Amerika, so Obama, komme es noch immer darauf an, die Fakten zu kennen, die Tatsachen, die Hintergründe und die Ursachen. Und dass es keine Tugend sei, nichts zu wissen, oder nur Halbwahrheiten, oder gar, sich mit Ignoranz zu brüsten.
Was Obama 45 Minuten lang den Graduierten des Jahrgangs 2016 vortrug, galt nicht nur diesen. Es galt vor allem einem, den er zwar nicht beim Namen nannte, den er aber meinte: Donald Trump. Und damit auch jenen, die kritiklos Donald Trump folgen und sich nicht darum kümmern, ob das, was der designierte republikanische Präsidentschaftskandidat sagt, richtig ist oder falsch. „Wenn unsere Spitzenleute sagen, dass ihnen die Fakten nichts bedeuten, wenn sie nicht verantwortlich gemacht werden dafür, wenn sie Dinge einfach erfinden oder wenn sie Experten schlicht als elitär abqualifizieren, dann haben wir ein Problem.“
Nur: Das Problem ist schon da. Denn nichts von dem, was Obama in New Jersey gesagt hat, wird gegen Trump funktionieren. Trump lässt sich nicht stellen im intellektuellen Diskurs. Jede Kritik perlt an dem New Yorker Milliardär ab, nichts bleibt haften. Trump schüttelt sich nur – und steht jedes Mal wie neu da. Teflon-Trump nennen sie den einstigen Außenseiter inzwischen.
Der digitale Meinungstunnel
Dass das so ist, hat viele Gründe. Einer davon: Trump, mit bald 70 Jahren wahrlich kein Kind des digitalen Zeitalters, profitiert wie kein anderer vom Tunnelblick der digitalen Gesellschaft. Einer Öffentlichkeit, die Zeitungen und Zeitschriften gegen Blogs und kostenlose Webseiten eingetauscht hat. Die nur noch liest, was dem eigenen Geschmack entspricht und die vor allem jenen Meinungsführern folgt, die die eigene Position bestärken und jede Kritik als Verschwörung abtun. Nie war es leichter als jetzt, sich im eigenen Meinungstunnel zu vergraben.
Müssen sich die Konsumenten von Fox News oder dem linksliberalen Pendant MSNBC immerhin noch gelegentlich mit der gesamten Bandbreite der Nachrichten befassen, so ist dies im Internet überhaupt nicht mehr nötig. Wer seinen Informationsbedarf über Facebook und andere Social-Media-Quellen stillt, der kann dort, in der „Echo-Chamber“, nur noch dem folgen, was er glauben und hören will – Störendes wird ausgeblendet. Mit anderen Worten: Wenn Donald Trump eine seiner vielen Unwahrheiten verbreitet, dann können sich die „Washington Post“ oder die „New York Times“ noch so sehr anstrengen, diese zu korrigieren: Es wird bei denen, die es eigentlich erfahren sollten, nie ankommen.
Und genau das ist auch das Problem von Hillary Clinton.
Ihre Art der Wahlkampfführung ist eher traditionell. Die ehemalige Außenministerin zählt gerne Fakten auf, redet über Inhalte, verspricht wenig. Ihre Auftritte produzieren kaum Schlagzeilen und geraten nicht selten reichlich blutleer. Auch dann, wenn sie sich – wie kürzlich geschehen – über Trumps Redestil mokiert. Das wirkt zwar amüsant, gleichzeitig aber auch arrogant.
Bei Trump löst sich alles irgendwie in Luft auf
Trump dagegen schafft es, sich innerhalb eines Interviews mehrfach zu widersprechen und dennoch ohne Kratzer davonzukommen. Trump sagt das eine und interpretiert daraus das andere, Trump ist gegen TTIP, Moslems, Nato und so vieles mehr. Aber dann wischt er all das Gesagte wieder vom Tisch, will alles nicht so gemeint haben oder relativiert einfach seine Aussagen. So wie jüngst im Interview mit der Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly, die er einst übelst entwürdigte und die jetzt nicht den Mut hatte, mit Trump abzurechnen. Bei Trump löst sich am Ende alles irgendwie in Luft auf.
Wenn Clinton Trump nun mit Rechthaberei und Moral kommt, dann wird sie aussehen wie von gestern, wie eine „has-been“. Sie wird aussehen wie eine, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Wie eine, die schlechte Laune macht und die man nicht wählen will.
Es gab schon mal einen demokratischen Präsidentschaftskandidaten, der schlechte Laune machte. Der hieß Jimmy Carter. Am 15. Juli 1979 hielt Carter eine Rede, in der er ausführlich über die Probleme im Land referierte, über die Vertrauenskrise, die Energiekrise, darüber, was alles falsch lief und was verbessert werden müsste. De facto: Darüber, was sich in seiner eigenen Amtszeit nicht verbessert hatte.
Carters 30-minütige Fernsehansprache ging in die Geschichte ein als so genannte „Malaise-Rede“. Und sie begründete den Anfang vom Ende seiner Präsidentschaft. Einen – wenn auch klugen – Misanthropen mochten die Amerikaner nicht noch einmal ins Weiße Haus schicken. Als dann noch die Befreiungsaktion der amerikanischen Botschaftsgeiseln in Teheran missglückte, war Carters Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Ronald Reagan stattdessen sprach von der „Shining City On The Hill“. Reagan machte Hoffnung, wo Carter Probleme aufzeigte. Und Reagan wurde gewählt.
Trumps Irrwitz macht ihn so attraktiv
Donald Trump folgt in gewisser Weise der gleichen Logik. Trump verspricht, nahezu unauflösbare Konflikte zu beenden: mit den Terroristen vom IS, mit dem Diktator in Nordkorea, mit dem Autokraten in Russland. Trump will China im Zaum halten und will selbst dort Jobs schaffen, wo es nach menschlichem Ermessen nicht mehr geht, wie etwa bei den amerikanischen Bergarbeitern.
Was Trump sagt, erscheint in der globalisierten Welt nahezu irrwitzig. Aber genau dieser Irrwitz ist es, der Trump attraktiv macht. Einen wählen, der den gordischen Knoten durchschlägt. Der eine Schneise in die immer dichtere Komplexität unserer Welt pflügt. Der es irgendwie so übersichtlich macht, wie es einst war, unter Eisenhower, unter Kennedy, unter Reagan. Der sich nicht schert um Correctness, um Genauigkeit, um ewiges Gezänk. Einer, der einen Kompass hat.
So denken die Trumpisten. Und ganz im Inneren noch ganz viele andere. Obama in Rutgers ist klug, aber auch kompliziert. Er lässt uns zurück mit Zweifeln, mit Herausforderungen, mit einer großen Anstrengung. Er hat so recht. Trump dagegen ist einer, der es ganz anders erklärt. Viel einfacher. Ohne Anstrengung.
Und auch Clinton ist Anstrengung.
Im November also Anstrengung gegen Schlichtheit? Wenn das die Wahl ist, gewinnt Trump. Clinton sollte sich deshalb etwas einfallen lassen. Und das möglichst bald.
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