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Ukraine zwischen Europa und Russland - Ein neuer kalter Krieg?

Bei den Protesten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat es am Morgen gewaltsame Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gegeben. Zugleich ist die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ist in Kiew, um zu vermitteln. Schon bei ihrer Ankunft erlebte sie eine unangenehme Überraschung

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Paul Flückiger arbeitet seit Sommer 2000 als Osteuropa-Korrespondent in Warschau. Er ist Mitglied von weltreporter.net und schreibt unter anderem für die NZZ am Sonntag. Aktuell schreibt er für die Zeitung Der Tagesspiegel

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Bei den Protesten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew hat es am Morgen gewaltsame Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und prowestlichen Demonstranten gegeben. Vor dem Rathaus setzten hunderte Sicherheitskräfte Schlagstöcke gegen Protestierende ein, die sich vor dem Gebäude mit Knüppeln und aus dem seit Sonntag besetzten Rathaus heraus mit Feuerlöschspritzen wehrten, wie ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP aus dem Zentrum Kiews berichtete.

Bereitschaftspolizisten stürmten außerdem nach Berichten der Agentur Reuters am Mittwochmorgen das von Demonstranten besetzte Rathaus. Sie seien in das Gebäude eingedrungen, sagten Teilnehmer der Protestaktion.

Auf Fernsehbildern war zu sehen, dass die Besetzer die Polizisten anscheinend mit Wasserschläuchen bespritzten.

Spezialeinheiten waren in der Nacht auf den Unabhängigkeitsplatz vorgerückt und hatten Barrikaden geräumt. Offenbar fährt der ukrainische Staatspräsident zwei Strategien zur gleichen Zeit. Während am Dienstag weitere Sondereinheiten in die ukrainische Hauptstadt Kiew verlegt wurden, berief Viktor Janukowitsch einen „Runden Tisch“ für den heutigen Mittwoch ein. „Alle interessierten Kräfte“ könnten daran teilnehmen, sagte Ex-Staatspräsident Leonid Krawtschuk, der als Initiator gilt.

Gibt es Bewegung in der ukrainischen Politik?

Als Geste der Versöhnung kündigte Janukowitsch die Freilassung eines Teils der Verhafteten an. „Wie viele es sein werden, weiß ich nicht“, sagte der Präsident, „aber bestimmt kommen jene frei, die kleine Kinder zuhause haben“, erklärte er im ukrainischen Staatsfernsehen.

Zuvor traf sich Janukowitsch kurz mit seinen drei Amtsvorgängern Krawtschuk, Leonid Kutschma und Viktor Juschtschenko. Diese hatten sich bereits vorige Woche öffentlich mit den Protestierenden solidarisiert. Krawtschuk, der die Ukraine 1991 in die Unabhängigkeit geführt hatte, hat gemäß ukrainischen Medienberichten die Einsetzung eines Expertenkabinetts vorgeschlagen. Über die Ergebnisse der Gespräche mit Janukowitsch wurde zunächst nichts bekannt. Janukowitsch sagte danach nur, eine Blockade der Regierungsgebäude würde in keinem Land der Welt geduldet. Wenn dies mit dem Weißen Haus geschehen würde, wäre die Polizei sofort zur Stelle.

Die oppositionelle „Allianz des Nationalen Widerstands“ hatte zuvor erklärt, sie sei zu dem Treffen nicht eingeladen worden. Die Führer der drei Oppositionsparteien Batkiwtschina (Vaterland), Udar (Schlag) und Swoboda (Freiheit) – Arsenij Jatsenijuk, Witalij Klitschko und Oleh Tjanibok – betonten, sie würden sich erst mit Janukowitsch an einen gemeinsamen Tisch setzen, wenn ihre Vorbedingungen erfüllt seien. Dazu zählen neben dem Rücktritt der Regierung von Premier Mykola Asarow die Freilassung der am 1. Dezember nach nächtlichen Straßenschlachten beim Präsidentenpalast festgenommenen Demonstranten und die Bestrafung der Verantwortlichen für den Angriff auf den Maidan. Am 1. Dezember waren über 50 friedlich demonstrierende Jugendliche von den gefürchteten „Berkut“-Sondereinheiten krankenhausreif geschlagen worden.

Wie verhält sich die Europäische Union?

Die westliche Diplomatie gibt sich große Mühe. Am Dienstag flog die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland in die ukrainische Hauptstadt und traf sich mit den drei Oppositionsführern. „Die USA und die EU erwarten eine friedliche Lösung des Konfliktes in der Ukraine“, sagte Nuland anschließend.

Catherine Ashton, EU-Außenbeauftragte, brach ebenfalls am Dienstag zu einer Vermittlungsmission in Kiew auf. Im Laufe ihres zweitägigen Besuchs will sie alle wichtigen Beteiligten auf Seiten der Regierung und der Opposition sowie Vertreter der Zivilgesellschaft treffen. Bei ihrer Ankunft erlebte Ashton eine unangenehme Überraschung. Vor der Kiewer EU-Botschaft, ihrer ersten Anlaufstelle, hatte sich eine große Gruppe kahlgeschorener Schlägertypen versammelt. Die so genannten „Tituschki“, vom Staatsapparat bezahlte Vorstadt-Hooligans mit besten Kontakten in den Sicherheitsapparaten, hielten Transparente mit Slogans wie „Demokratie = Recht und Ordnung“ in die Höhe und blockierten den Eingang zur EU-Botschaft. Dem aggressiven Treiben sahen tatenlos drei ukrainische Polizisten zu.

Welche Interessen gibt es auf europäischer Seite?

Die Rolle der Europäischen Union ist gespalten. Auf der einen Seite will Ashton als Vermittlerin auftreten und ist doch auf der anderen Seite selbst Partei. Denn eigentlich sollte ein europäisch-ukrainisches Assoziierungsabkommen den Ost-Gipfel Ende November in Vilnius krönen. Doch die Annäherung der Ukraine an Europa scheiterte - die ukrainische Regierung unterzeichnete den Vertrag nicht und wandte sich stattdessen Russland zu. Daran entzündeten sich dann die Proteste der ukrainischen Pro-Europa-Bewegung. Bei der Plenardebatte des Europäischen Parlaments in Straßburg hagelte es daher am Dienstag auch Kritik am eigenen Vorgehen. Der Gipfel sei ein „erniedrigendes Scheitern“, eine schlimme Niederlage, ein Fehlschlag gewesen, schimpften die Redner.

Zahlreiche Abgeordnete kritisierten, man hätte im vorhinein Russland stärker einbeziehen sollen, indirekt habe das Land doch die ganze Zeit mit am Tisch gesessen. Das Verhalten sei „naiv“ gewesen und nun habe man sich „lächerlich gemacht“. Andere Politiker, wie die deutsche Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms forderten Ashton nun auf, klare Worte zur Situation in der Ukraine zu finden. „Die Menschen in der Ukraine glauben an Europa und die Freiheit“, sagte Harms, die eine ukrainische Flagge über den Schultern trug, „wir müssen das Gegenüber für diese neue Opposition sein.“

Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

Optimisten in Brüssel hoffen, Ashton könne eine Kompromisslösung in Kiew vorbereiten. Zum Beispiel ein Kabinett der nationalen Einheit, dem der ukrainischen Schokoladenbaron Petro Poroschenko vorsitzen könnte. Der Geschäftsmann hatte 2004 die „orange Revolution“ unterstützt und ihr zuletzt als Außenminister gedient. Nach Janukowitschs Wahlsieg Anfang 2010 war er Handelsminister, wurde Ende 2012 jedoch entlassen. Poroschenko hatte sich am 1. Dezember beim Präsidentenpalast zwischen die Fronten gestellt und versucht zu vermitteln. Er verfügt über beste Kontakte in beide Lagern – Regierung wie Opposition. Aufgrund seiner großen politischen Erfahrung wäre er wesentlich besser als Übergangspräsident geeignet als Witalij Klitschko. Der ist seit seinen Auftritten als scharfer Oppositionspolitiker im Parlament und später auf dem Kiewer Maidan für Janukowitsch kaum ein akzeptabler Kandidat.

Überhaupt ist fraglich, inwieweit Janukowitsch an einem wirklichen Kompromiss interessiert ist. Zugeständnisse wie die Entlassung einiger wohl ohnehin unschuldiger Untersuchungshäftlinge kosten ihn wenig. Ein Austausch der Regierungsmannschaft, die es seinem Familienclan erlaubte, sich innerhalb von nur drei Jahren maßlos zu bereichern, wäre allerdings ein hoher Preis. Dazu kommt, dass die EU schon einmal – vor Vilnius – die Rechnung ohne den Kreml gemacht hat. Putin hat Janukowitsch mit Krediten und billigem Gas gelockt. Janukowitsch dürfte deshalb eher versucht sein, die Proteste irgendwie bis zu den Weihnacht- und Neujahrsfeiern auszusitzen. Da dürfte es ruhiger werden.

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