Recep Tayyip Erdogan und Xi Jinping beim Treffen der SOZ am 04.07.2024 in Astana / picture alliance

Türkische Außenpolitik - Erdogans China-Strategie zielt auch auf den Westen

Die Türkei nähert sich Russland und vor allem China an. Erdogan glaubt offenbar, dass das mit der Nato-Mitgliedschaft vereinbar ist und seine Position gegenüber dem Westen stärkt. Und China ist über die neuen Möglichkeiten erfreut.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Die Türkei geht in die diplomatische Offensive, um ihre Außenpolitik zu rechtfertigen, die nach Ansicht einiger zu freundlich gegenüber zu vielen ist. Am 11. August erklärte der türkische Verteidigungsminister Yasar Guler in einem Interview, dass die Nato-Mitgliedschaft der Türkei nicht ausschließe, Beziehungen zur Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) aufzubauen. Dies geschah etwa einen Monat, nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unumwunden erklärt hatte, dass die Türkei Teil der SOZ sein wolle, und nachdem der türkische Botschafter in Peking erklärt hatte, dass der Beitritt zur SOZ und zu den BRICS-Staaten die Mitgliedschaft der Türkei in westlichen Organisationen ergänzen würde und nicht im Widerspruch dazu stünde.

Dies ist für viele rätselhaft. Die SOZ ist ein politisches, wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Bündnis, das 2001 von China und Russland gegründet wurde und seitdem um Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Indien, Pakistan, Iran und Weißrussland erweitert wurde. Sie soll die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen den Mitgliedsstaaten stärken, die regionale Sicherheit und Stabilität aufrechterhalten, Terrorismus und Extremismus bekämpfen und die wirtschaftliche Entwicklung fördern. 

Der Kontrolle des Westens entziehen

Sie ist keine militärische Organisation, also kein direkter Konkurrent der Nato, aber viele sind der Meinung, dass sie eine Organisation ist, die illiberale Normen legitimiert und Ausnahmen von ansonsten geltenden internationalen Normen zulässt und damit eine Art Zufluchtsort für Nationen darstellt, die sich der Kontrolle durch westlich dominierte Organisationen entziehen wollen. (Das Interesse der Türkei an einem Beitritt ist nicht gerade neu, aber sie hat in letzter Zeit einen viel stärkeren Sinn für Dringlichkeit gezeigt.) 

Den BRICS gehören Länder an, die die politische und wirtschaftliche Macht der wohlhabenderen Nationen in Nordamerika und Westeuropa herausfordern wollen. Für viele im Westen sind sie nichts weniger als eine Herausforderung für ihr eigenes Modell für die Welt.

In ihrem Bemühen, mit beiden Gruppen zusammenzuarbeiten, hat die Türkei ihre Bereitschaft gezeigt, gute Arbeitsbeziehungen zu den beiden größten Herausforderern der westlichen Macht zu unterhalten: Russland und China. Die Türkei hat eine vorsichtige, aber nachbarschaftliche Beziehung zu Russland gepflegt und ihre Beziehungen zu China in letzter Zeit ausgebaut. Der bilaterale Handel hat in den vergangenen fünf Jahren zugenommen, und die offiziellen Besuche haben sich intensiviert (die türkischen Minister für auswärtige Angelegenheiten, Energie und natürliche Ressourcen sowie Industrie und Technologie sind in diesem Jahr alle nach Peking gereist). Obwohl die jüngsten Erklärungen auf verstärkte Sicherheitsbeziehungen zwischen den beiden Ländern hindeuten, beruhen die chinesisch-türkischen Beziehungen in Wirklichkeit auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen.

Die Türkei braucht Chinas Investitionen

Angesichts des aktuellen internationalen Geschäftsumfelds, der Herausforderung der globalen wirtschaftlichen Umstrukturierung, der anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Folgen der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten ist die Art und Weise, wie die Türkei und China ihre Beziehungen gestalten, von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Zukunft der globalen Handels- und Investitionskorridore. Während der Westen aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Gründen ein De-Risking oder eine Abkopplung in Betracht zieht, scheint sich die Türkei in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Ihre strategische Lage, ihre Mitgliedschaft in westlichen Organisationen und ihre wirtschaftlichen Bindungen an die Europäische Union werden zwangsläufig die aktuellen und künftigen Sicherheitsvereinbarungen prägen.

Das Interesse der Türkei an China ist eindeutig: Sie braucht Investitionen in Schlüsselsektoren, um ihre Energiesicherheit zu verbessern und ihre technologische Entwicklung voranzutreiben. Sie braucht auch ausländisches Kapital, um die Inflation (die bei über 60 Prozent liegt) einzudämmen, ihre Währung zu stärken und den laufenden Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben im vergangenen Jahr zu finanzieren. Entscheidend ist, dass Ankara weiß, dass China einige seiner eigenen wirtschaftlichen Probleme angehen muss, die durch neue Handelswege und Märkte zumindest abgemildert werden können. Die türkische Regierung ist eindeutig der Meinung, dass die beiden Länder ideal geeignet sind, um einander zu helfen.

Ankara hat China aufgefordert, seine Investitionen in einer Reihe von Sektoren zu erhöhen, darunter Solar- und Kernenergie, Hightech-Infrastruktur und Künstliche Intelligenz. Und das neu errichtete Sinovac-Impfzentrum ist ein gutes Beispiel dafür, wie die beiden Länder ihre Beziehungen in bestimmten Bereichen verbessern können. Aber ein viel wichtigeres Beispiel – die Vereinbarung zwischen dem chinesischen Automobilhersteller BYD und der Türkei über den Bau einer Produktionsanlage in der Provinz Manisa – zeigt, wie beide Länder ihre Beziehungen noch besser nutzen können. Der Deal kam zustande, nachdem die EU eine Reihe von Maßnahmen ergriffen hatte, um die Einfuhren chinesischer Elektrofahrzeuge in die EU zu verringern. Unter anderem wurden die Zölle von 10 Prozent auf 17,4 Prozent erhöht, die speziell gegen BYD erhoben werden. Obwohl die Zölle nur vorübergehend gelten, wird die EU wahrscheinlich im Oktober darüber entscheiden, ob sie dauerhaft eingeführt werden. Wenn dies der Fall ist, werden sie mit ziemlicher Sicherheit den Marktanteil von BYD in Europa weiter verringern.

Chinas Verlust war ein Gewinn für die Türkei. Nachdem die EU ihre protektionistischen Maßnahmen in Kraft gesetzt hatte, verhängte Ankara einen zusätzlichen Zoll von 40 Prozent auf die Einfuhr von Fahrzeugen aus China – nur um später chinesische Unternehmen, die in der Türkei investieren, davon auszunehmen. Die Ausnahmeregelung war auf die Bedürfnisse von BYD zugeschnitten, könnte aber durchaus auch andere Hersteller anlocken. Für China gibt es einen noch größeren Vorteil. Die Türkei und die EU haben eine gemeinsame Zollunion, die besagt, dass alles, was in der Türkei hergestellt wird, von Zöllen befreit ist, wenn es in die EU verkauft wird. Außerdem müssen Fabriken in der Türkei nicht die EU-Vorschriften für Arbeits- und Produktionsstandards einhalten. Solange die Endprodukte den Standards der europäischen Verbraucher entsprechen, können sie auf dem EU-Markt verkauft werden. Dies führt zu niedrigeren Produktionskosten.

Dies erklärt, warum Erdogan, Industrieminister Mehmet Fatih Kacir und der BYD-Vorsitzende Wang Chuanfu am 8. Juli an der feierlichen Unterzeichnung des Abkommens in Istanbul teilnahmen – nur vier Tage, nachdem Erdogan an einem SOZ-Gipfel in Kasachstan teilgenommen und sich mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping getroffen hatte.

Eine langfristige Strategie

Neben den unmittelbaren geschäftlichen Vorteilen, die die Nähe der Türkei zu Europa chinesischen Investoren bietet, geht es auch um eine langfristige Strategie. Aus chinesischer Sicht ist die wachsende wirtschaftliche Präsenz in der Türkei ein wesentlicher Bestandteil der zunehmenden Nutzung des Mittleren Korridors – selbst Teil der Neue-Seidenstraßen-Initiative –, da der Krieg in der Ukraine die Nutzung des Nördlichen Korridors einschränkt und der Gaza-Krieg den Transit durch das Rote Meer bedroht. Angesichts der nahezu existenziellen Notwendigkeit Chinas, seine Waren zu verkaufen, bedeuten neue Handelswege und neue Märkte mehr als nur Dollar und Cent.

Dasselbe könnte man von der Türkei sagen. Für Ankara ist das Geld willkommen, aber die Verbesserung seiner strategischen Position ist noch besser. Angesichts der Schwächung Russlands durch den Ukraine-Krieg sieht die Türkei China als einzigen ernstzunehmenden Herausforderer der westlichen (sprich: amerikanischen) globalen Dominanz. Sie mag zwar ein enges Bündnis mit Washington aufrechterhalten, möchte aber ihren eigenen Ansatz für die regionale Sicherheit entwickeln. 

Dies veranlasste die Türkei zum Kauf von S-400-Luftabwehrsystemen aus russischer Produktion, was letztlich zum Ausschluss aus dem F-35-Programm der USA führte. Erst die Zustimmung der Türkei zur Ratifizierung der schwedischen Nato-Mitgliedschaft hat die Beziehungen zu den USA wiederbelebt. Ankara hat sich nun bereit erklärt, 23 Milliarden Dollar für die modernste Variante des F-16-Flugzeugs zu zahlen. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Türkei die Diplomatie einsetzt, um bei Verhandlungen mit dem Westen ein Druckmittel zu haben. Die aufkeimenden Beziehungen zu China sind durchaus Teil dieser Strategie.

Insgesamt scheint die neue, auf China ausgerichtete Außenpolitik ein geplanter, pragmatischer Schachzug der Türkei zu sein, um ihre strategischen Optionen und ihre Autonomie zu erhöhen, die schließlich in Gesprächen mit der Nato und den USA als Verhandlungsmasse eingesetzt werden sollen. Die Tatsache, dass Chinas Führung eine Konfrontation mit dem Westen in dieser Frage vermeiden wird, kommt der Türkei nur zugute, die nicht so sehr die transatlantischen Sicherheitsvereinbarungen zerstören, sondern vielmehr marginale Vorteile aus deren Ausnutzung ziehen will.

 

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Karl-Heinz Weiß | So., 18. August 2024 - 12:40

Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass die gestärkten chinesisch-türkischen Beziehungen auch den Uiguren als Glaubensbrüdern helfen. Vielleicht bleibt dies aber auch ein Märchen aus 1001 Nacht. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass zwischen China und der Russischen Föderation der Ussuri-Konflikt wieder aufflammt. Um russische Kräfte im Westen zu binden, ist die Türkei der ideale Partner.

Ernst-Günther Konrad | So., 18. August 2024 - 13:35

Auch wenn ich Erdogan ablehne und ihn für einen Despoten halte, so muss ich aber für ich feststellen, dumm ist er nicht. Was glaubt der sog. Wertewesten denn? Das ein islamisches Land sich komplett unterwirft und nach dessen Pfeife tanzt? Erdogan macht das, was ihn an der Macht hält und punktuell mal hier oder mal dort Vorteile bringt. Und wie wir lesen, investieren die Chinesen in die türk. Wirtschaft und die hat es dringend nötig, wenn man die vielen Abgesänge über die türkische Wirtschaft so liest. Und davon mal abgesehen. Wenn man mit allen kann wird man eines Tages gebraucht werden. Zuletzt beim Gefangenenaustausch. Immer noch bei Merkels Flüchtlings Deal. Europa und auch die USA haben nicht wirklich was entgegenzusetzen, gegen diese Beziehungen der Türkei zu China und Russland. Und ich bin mir sehr sicher, demnächst wird die Türkei wieder für irgendeinen Deal gebraucht mit Putin oder XI. Und das wird sich der Diktator vom Bosporus teuer bezahlen lassen. Der weiß, wie es geht.

die Türkei ist ein souveräner Staat und kann sich nach allen Richtungen frei entscheiden mit wem es Handel treibt und Beziehungen pflegt im Gegensatz zu uns.

Krummenacher Stephan | Mo., 19. August 2024 - 16:53

Antwort auf von Keppelen Juliana

Dann soll die Türkei bitte aus der NATO austreten!

Keppelen Juliana | Mo., 19. August 2024 - 18:49

Antwort auf von Krummenacher Stephan

in Übersee nicht begeistert. Die würden alles daran setzen die Türkei in der Nato zu halten und das weiß Erdogan. Aber warum eigentlich soll die Türkei aus der Nato austreten? Gegen welche Nato Statuten hat er denn verstossen?

Christoph Kuhlmann | So., 18. August 2024 - 15:32

Der Beitritt zu irgendwelchen Bündnissen, wird die EU nicht stören, die selbst keinen kohärenten Kurs in Bezug auf China hat. Die Umhegung von Umweltstandards wäre allerdings wäre allerdings auf Dauer unhaltbar, wenn sich die Türkei dem freien Zugang zum EU Binnenmarkt erhalten will. Damit tut man den Türken auch keinen Gefallen. Problematisch wird die Sache, wenn China Taiwan überfällt. Dann könnte der Beitritt problematisch werden. Aber ehrlich, das Handelsabkommen mit MERCOSUR wäre aus europäische Sicht sehr viel wichtiger als die Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei.

Da gebe ich ihnen Recht und füge an, er (Erdogan) hat einen
Trumpf in der Hand, der alles andere wegsticht: Konstantinopel.

MfG

T Romain | So., 18. August 2024 - 19:15

China geht strategisch vor, und plant sehr langfristig.
Das ist ein grundlegender Unterschied zu all den Akteuren, die jetzt Bündnisse mit China eingehen, ob sie Erdogan, Vucic oder Orban heissen.

Keines dieser Länder sollte sich der Illusion hingeben, langfristig mit China eine Win-Win Situation zu erreichen.
Due jüngere Geschichte lehrt das Gegenteil.
Xi's Ziel ist allein, China als globale Führungsnation zu etablieren. Mit Partnern, die sich China unterordnen.

Karl | Mo., 19. August 2024 - 12:51

Zitat:.
T - online 18.08.2024, Mendig, Eifel
Zeltstadt für 50.000 Muslime - sie wollen den Kalifen sehen. Zitat Ende

Ohne ausländische Hilfe, würde die Türkei sich immer noch zwischen Ziegenhirten und Melonensammlern bewegen. Nur mit westlicher Intelligenz und Technik, steht die Türkei da wo sie ist. Doch der Wolfsversteher will die ganze Welt mit dem Islam besudeln. China will nur die Bodenschätze sonst nichts, dann bekommt Erdowahn einen neuen Hafen, überwacht aus China und schon passt der Deal. Es ist immer das Gleiche, Money makes the World Go round, und der Schlauere gewinnt den Deal.
Ich mag die Chinesen, die brauchen kein Messer, nur ihre Arme und Füsse und dann ist Ruhe im Karton und lecker Fresschen gibt es auch. 😀