Putin spricht am Rande des Internationalen Wirtschaftsforums im Wolkenkratzer Lakhta Center, dem Hauptsitz von Gazprom in St. Petersburg / dpa

Russische Wirtschaft - Gazprom auf Talfahrt

Der Gas-Gigant Gazprom ist von entscheidender Bedeutung für die russische Volkswirtschaft – doch das Unternehmen ist ins Straucheln geraten. Moskau versucht nun alles, um die Misere zu beenden.

Autoreninfo

Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Ukrainekriegs herrscht in der russischen Wirtschaft ein unerwarteter Optimismus. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Europäischen Kommission zeigt, dass das Land trotz des weltweiten Sanktionsdrucks mit einer starken Ökonomie ins Jahr 2024 ging, und dass sich die Indikatoren für die Industrieproduktion und die Stimmung in der Wirtschaft weiter stabilisieren. Unterm Strich wurden die Wachstumsprognosen auf 2,9 Prozent angehoben.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich droht ein jahrelanger Niedergang, der durch die Auswirkungen der Sanktionen, den Arbeitskräftemangel, die restriktive Geldpolitik und natürlich die anhaltenden Militäroperationen in der Ukraine bedingt sein dürfte. Eine der meistunterschätzten Gefahren besteht darin, dass Russlands Haushalt unverhältnismäßig stark vom Erfolg einiger Dickschiffe abhängt – Unternehmen, die weiterhin Verluste machen und Schwierigkeiten haben, ins Geschäft mit dem Westen zu kommen. Einer dieser Giganten ist Gazprom.

Gasexporte stark zurückgegangen

Es sei daran erinnert, dass eines der größten Themen zu Beginn des Ukrainekriegs die russischen Erdgaslieferungen nach Europa waren. In Anbetracht der Tatsache, dass Europa 45 Prozent seines Gases aus Russland importierte, hoffte der Kreml, dass dies ihm das nötige Druckmittel in die Hand geben würde, um Brüssel zu einer Verhandlungslösung zu zwingen und den Krieg schnell und zu günstigen Bedingungen zu beenden. Aber das ist nicht geschehen. Seit dem Einmarsch Russlands befindet sich Gazprom auf Talfahrt. Die Gasexporte sind stark zurückgegangen, ebenso wie die Kraftstoffpreise.

Die Einnahmen aus Verkäufen ins Ausland sanken auf 2,9 Billionen Rubel (gut 30 Milliarden Euro). Im Jahr 2022 wurden die Lieferungen über die Jamal-Europa-Pipeline vollständig unterbrochen, während Unterwasserexplosionen beide Stränge der Nord-Stream-Pipeline außer Betrieb setzten. Dadurch blieb Russland von den europäischen Verkäufen ausgeschlossen. Infolgedessen verzeichnete Gazprom im Jahr 2023 einen Nettoverlust von 6,4 Milliarden Euro – den ersten Verlust seit 1999 – gegenüber einem Gewinn von 12,5 Milliarden Euro im Jahr 2022. Der Aktienkurs von Gazprom in Dollar fiel derweil auf einen historischen Tiefstand von umgerechnet 1,20 Euro pro Aktie.

Um es klar zu sagen: Gas selbst ist nicht die größte Sorge des Kremls. Weder sein Verkauf noch seine Förderung machen einen großen Teil des russischen Haushalts aus. Die Mineralgewinnungssteuern auf Gas und Gaskondensat machen zusammen nicht mehr als 6,3 Prozent des gesamten Staatshaushalts aus. (Im Vergleich dazu entfallen auf Erdöl rund 30 Prozent.) Die Bedeutung von Erdgas ist eher strukturell bedingt. Die Branche ist mehr oder weniger monopolisiert, und Gazprom ist daher zu groß, um zu scheitern. Das Unternehmen kontrolliert etwas mehr als 70 Prozent der russischen Gasreserven, und da der Staat mehr als 50 Prozent seiner Aktien besitzt, erfüllt es eine wichtige politische Funktion bei der geologischen Erkundung, der Förderung, dem Transport, der Lagerung, der Verarbeitung und dem Verkauf von Gas und allen damit verbundenen Produkten, einschließlich Kraftstoff und Strom.

Natürlich ist Gazprom auch ein wichtiger Arbeitgeber. Es unterhält und entwickelt die Infrastruktur und liefert mehr als die Hälfte seiner Produktion an den heimischen Markt. Darüber hinaus ist das Unternehmen ein wichtiger Abnehmer von Ausrüstungen einheimischer Hersteller und damit ein wichtiger Akteur in Moskaus Plänen zur Förderung der einheimischen Technologieproduktion. Gazprom zahlt auch sehr viel Steuern, darunter die Umsatzsteuer für Fertigprodukte, die Einkommenssteuer für Angestellte und die Körperschaftssteuer – wichtige Einnahmequellen für den Kreml. Im Jahr 2022 trug das Unternehmen umgerechnet rund 50 Milliarden Euro zum Haushalt bei. Einfach ausgedrückt: Die Destabilisierung von Gazprom könnte die gesamte russische Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen.

Neue Pipelines sind teurer

Es liegt also im Interesse Moskaus, dafür zu sorgen, dass sich das Unternehmen an die neuen wirtschaftlichen Realitäten anpasst. Aber die Regierung kann nur begrenzt handeln. So braucht Gazprom ausländische Märkte, da der Gasexport den Löwenanteil der Einnahmen des Unternehmens ausmacht (rund 33 Prozent im Jahr 2020, 56 Prozent im Jahr 2021 und 63 Prozent im Jahr 2022). Das Problem ist nicht die Fähigkeit von Gazprom, Erdgas zu fördern, sondern die Verfügbarkeit von Exportanlagen und die Rentabilität des Baus neuer Infrastruktur. Die Umverlegung wichtiger Pipelines ist ein kostspieliges Unterfangen, und der Bau neuer Pipelines ist noch teurer. Die vollständige Umstellung auf Flüssigerdgas ist bekanntermaßen teuer und äußerst wettbewerbsintensiv, und die Einführung neuer Transportmethoden ist ebenfalls kompliziert.

Die am stärksten betroffenen Sektoren – ziviler Schiffbau, Automobil- und Eisenbahnverkehr – stehen aufgrund der westlichen Sanktionen vor Schwierigkeiten. Ganz zu schweigen von den wichtigen Handelswegen, die Russland braucht, zu denen es aber manchmal keinen Zugang hat. (Durch den Nordseekorridor mit seinen unvorhersehbaren Wetterbedingungen können keine großen Mengen transportiert werden, während das Schwarze Meer aufgrund des Krieges in der Ukraine unsicher ist.)

Monopolisierung des heimischen Marktes

Der Kreml versucht deshalb, die Probleme von Gazprom zu lösen – und seine eigenen Verluste zu minimieren – und zwar auf zwei Arten. Die erste besteht darin, Gazprom die Monopolisierung des heimischen Marktes zu ermöglichen. Etwa 75 Prozent des Landes sind an Gasleitungen angeschlossen, und Gazprom ist der einzige Betreiber von Gasanlagen im Lande. Als Hauptlieferant zu fungieren, wäre in der Tat ein Segen für die Bilanz. Moskau hofft zwar, bis zum Ende des Jahrzehnts das gesamte Land an Gasleitungen angeschlossen zu haben, doch Arbeitskräftemangel, veraltete Technologien und unzureichende Finanzierung könnten der Regierung einen Strich durch die Rechnung machen. Und selbst wenn dies gelingen sollte, kann der Inlandsmarkt den Verlust bestimmter Exportmärkte nur ausgleichen, nicht aber ersetzen.

Die zweite mögliche Lösung besteht darin, Gazprom zu ermutigen, mit neuen Handelspartnern außerhalb Europas, insbesondere in Asien, Geschäfte zu machen. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg in der vergangenen Woche schloss Gazprom beispielsweise langfristige Vereinbarungen über den Transport von russischem Gas nach Usbekistan und Kirgisistan durch Kasachstan von 2025 bis 2040. Die Infrastruktur reicht jedoch nicht aus, um das Exportvolumen zu erreichen, das erforderlich wäre, um den Verlust der europäischen Abnehmer zu kompensieren.

Die Vereinbarungen sehen den Ausbau einer speziell ausgewiesenen Route auf der Grundlage des Gaspipelinesystems „Zentralasien-Zentrum“ und die Durchführung weiterer Projekte zur Entwicklung der Gastransportkapazitäten in Kasachstan vor. Dies wird Mittel erfordern, die Russland (und wahrscheinlich auch seine Partner) einfach nicht haben. An anderer Stelle hofft Russland, den chinesischen Markt anzuzapfen, der billige Ressourcen benötigt und nach Angaben Moskaus bereit sein könnte, den Bau von Infrastrukturen mitzufinanzieren. Seit einigen Monaten wartet Moskau auf die Unterzeichnung eines Vertrags über den Bau der Gaspipeline „Power of Siberia 2“ von Russland nach China, die die Lieferung von 50 Milliarden Kubikmetern Gas nach China ermöglichen soll. Doch Peking wartet gern ab, bis es sich günstigere Bedingungen sichern kann.

Anstieg von 73,5 Prozent

Trotz alledem ist Gazprom nicht ohne Hoffnung. Die Produktion erholt sich. Die Öl- und Gaseinnahmen für den föderalen Haushalt beliefen sich von Januar bis Mai auf 4,95 Billionen Rubel, was einem Anstieg von 73,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Auch die Importsubstitution bei wichtigen Technologien gewinnt an Schwung. Gazprom Neft, eine ölproduzierende Tochtergesellschaft von Gazprom, hat die Erprobung des ersten russischen Komplexes für Hydraulic Fracturing abgeschlossen und wird voraussichtlich 2025 mit der Serienproduktion beginnen. Die längerfristigen Verträge, die Gazprom mit neuen Exportmärkten abgeschlossen hat, werden dem Unternehmen in Zukunft ebenfalls helfen. Bis dahin muss sich das Unternehmen über Wasser halten – und Moskau sich um externe Finanzquellen bemühen, um sicherzustellen, dass Gazprom seine Haushaltsziele erreichen kann. 

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Norbert Heyer | Do., 13. Juni 2024 - 08:59

Natürlich hat durch den Ukraine-Krieg auch Russland wirtschaftliche Probleme. Da der Westen weniger Gas abnímmt, verringern sich auch die Einnahmen. Gerade D geht mit leuchtendem Beispiel voran, wir würden nach den Wünschen der Grünen eher untergehen, als dass wir wieder Gas aus Russland beziehen. Das wir damit uns ruinieren, scheint der Ampelregierung völlig egal zu sein. Auch wer Nordstream zerstört hat, scheint hier niemanden zu interessieren. Wir verlieren aber aufgrund des Krieges wichtige Unternehmen in der Chemie-, Auto- und Maschinenbau-Branche. Wer im Ausland Strom für ein Zehntel des hier gültigen Preises beziehen kann, bricht hier eben seine Zelte ab. Die USA, Polen und Ungarn locken mit großen Zugeständnissen. Wir werden komplett untergehen, Russland aber - mit Bodenschätzen ohne Ende und mit BRICS im Rücken wird weiter bestehen. Dummheit, Arroganz und Ideologie über alles - so ist der Weg vorgezeichnet in eine Zukunft ohne Zukunft für unsere Kinder, die uns hassen werden.

Klaus Funke | Do., 13. Juni 2024 - 09:34

Durch den Kommentar der Zolotova schimmert Schadenfreude! Endlich, endlich, muss Putin büßen, endlich kommt seine Wirtschaft ins Straucheln... Wahrscheinlicher ist allerdings, dass man sich - wie immer in solchen Fällen - zu früh gefreut hat. Zitat Wilhelm Busch: "Manchen hat es schon gereut, dass er sich zu früh gefreut!" Also abwarten und lieber ins Eigene starren, denn da ist viel mehr Grund zur Sorge.

alessandro laporta | Do., 13. Juni 2024 - 16:58

Antwort auf von Klaus Funke

"Durch den Kommentar der Zolotova schimmert Schadenfreude! Endlich, endlich, muss Putin büßen, endlich kommt seine Wirtschaft ins Straucheln..."

Na und? Selbst dran schuld! Niemand hat Ihren großen Helden gezwungen einen Angriffskrieg vom Zaun zu brechen!
Dass er dafür nun die Quittung bekommt ist eine logische Schlussfolgerung.

Ernst-Günther Konrad | Do., 13. Juni 2024 - 11:03

So, so amerikanisches Thingtank. Nur so viel Frau Zolotova. Der Inhalt Ihres Artikel mag zwar in Ansätzen durchaus etwas Wahres haben, dürfte aber in erster Linie dazu dienen, das was sie sonst den Russen vorwerfen, selber in Anwendung zu bringen. Man nennt das US-Propaganda. Ihre Märchen darüber, dass die viel gerühmten Sanktionen irgendetwas gebracht hätten wurde auch hier im Cicero durchaus wiederlegt, wo andere Autoren genau die angeblich negativen Auswirkungen der Sanktionen ad absurdum geführt haben. Die Russen und auch Gazprom haben schon längst andere Wege gefunden, sanktionierte Gaslieferungen auf Umwegen über andere Nationen an den Mann zu bringen. Träumen Sie weiter.

Christoph Kuhlmann | Do., 13. Juni 2024 - 11:45

wird solange florieren, wie Putin Geld hat. Wieviel er hat wird er öffentlich nicht sagen.

Klaus Funke | Do., 13. Juni 2024 - 14:34

Frau Zolotova, gebürtige Russin, in den USA lebend, schreibt für gute Dollars: Wess Brot ich ess, dess´ Lied ich sing! Aus diesem Grund muss man ihren Beitrag nicht kommentieren. Er kommentiert sich selbst

"Frau Zolotova, gebürtige Russin, in den USA lebend, schreibt für gute Dollars: Wess Brot ich ess, dess´ Lied ich sing! Aus diesem Grund muss man ihren Beitrag nicht kommentieren. Er kommentiert sich selbst"

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Henri Lassalle | Do., 13. Juni 2024 - 20:09

unterschätzen. Gerade in Krisensituationen beweisen sie ihre Improvisierungsstärke, können enorme Kräfte mobilisieren - ihr unbändiger Überlebenswille und nationales Bewusstsein hat ihnen in ihrer Geschichte oft geholfen. Das hat auch der 2. Weltkrieg gezeigt.
Anscheinend lernt Putin jetzt, was Krieg auch bedeutet: Der zweitwichtigste Mann im Staat König Ludwigs XIV von Frankreich rief aus, was im Krieg wichtig ist: "Geld, Geld und nochmals Geld".