- „Sie haben mich nicht gebrochen”
Während Ägyptens Wahlen in die zweite Runde gehen, wächst die Kritik am Militärrat. Folter und Einschüchterungen sind in dem Land noch immer an der Tagesordnung. Kristin Jankowski, Mitarbeiterin des Goethe-Instituts in Kairo, hat mehrere Opfer gesprochen. Erfahrungsbericht aus der Revolution
Die Narben sind immer noch da. Mit den Fingerspitzen kann ich sie fühlen. Jedes mal, wenn ich seinen Rücken berühre, erinnere ich mich daran, was ihm geschehen ist. „Sie haben mich nicht gebrochen. Sie haben mich viel stärker gemacht”, sagte er mir einen Monat, nachdem es geschehen war. Einen Monat, nachdem der Musiker Ramy Essam mit zahlreichen weiteren Demonstranten am 9. März 2011 auf dem Tahrir-Platz festgenommen wurde. Und im naheliegenden ägyptischen Museum von Soldaten gefoltert wurde.
Das erste Mal, als ich ihn sah, war Anfang Februar dieses Jahres. Eine Bekannte von mir hatte ihn auf dem Tahrir-Platz getroffen und ihn mit in meine Wohnung genommen. Er hatte sich auf einen der Holzstühle gesetzt. Und schwieg. Er wollte keinen Tee. Und auch keinen Kaffee. Er saß einfach nur da. Und lächelte. Er hatte eine Mütze auf dem Kopf, seine langen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Nach einigen Minuten verschwanden beide auch schon wieder. Das zweite Mal sah ich ihn in dem Youtube-Video, in dem er über die Folter spricht. Er lag auf einer rot-weißen Decke, seine Haare abgeschnitten, das Gesicht geschwollen. Auf dem Rücken waren schlimme Verletzungen zu sehen. Von der Folter.
Ramy Essam ist als der Sänger der Revolution berühmt geworden. Wenn über die Aufstände, den Rücktritt Hosni Mubaraks und die derzeitige Militärregierung gesprochen wird, fällt automatisch auch sein Name. Sein Gesicht, seine Musik, seine Erlebnisse. Seine Narben auf dem Rücken. Seine Narben sind auch die Narben der Ägypter, die immer noch von einem politischen Wechsel träumen. Es sind auch die Narben derjenigen, die hoffen, dass es irgendwann einmal besser wird in dem Land am Nil.
Ramy Essam ist groß gewachsen. Außergewöhnlich für einen Ägypter. Er hat breite Schultern, lockige Haare. Er trägt eine schwarze Lederjacke und eine silberne Kette um den Hals. Meist trägt er seine Gitarre mit sich. Er wirkt fast wie ein Auserkorener, ein Auserwählter. Jemand, mit einem ganz besonderen Schicksal. Eine weiche Seele. Ein beeindruckender starker Wille.
Er hat den Willen, einfach nicht aufzugeben. Ramy Essam hatte in den kalten Dezembertagen auf dem Tahrir-Platz gezeltet. „Ich spiele jeden Abend für die Demonstranten. Aber es sind nicht mehr viele dort”, erzählte er mir eines frühen Morgens. Seine Hände waren eisig kalt. Er kam gerade vom Tahrir-Platz. Die Sonne war bereits aufgegangen, die Straßen im Stadtzentrum noch ungewohnt ruhig. Der kühle Wind zischte durch die alten Fenster. Als er seine Augen schloss, um sich auszuruhen, blickte ich ihm ins Gesicht. Ich beobachtete seinen Atem. Und dachte an seine Narben. Ich dachte an die Tage der Aufstände, die Schüsse, die Polizei und die Soldaten. An die sogenannten „Baltageya“ - die angeheuerten Banden des Regimes, die mit Stöcken, Steinen und Molotov-Cocktails friedliche Demonstranten angriffen. Ich dachte an das beißende Tränengas, die Verletzten. Die Leiche, die am Morgen des 9. Aprils 2011 an der Straßenecke lag. Im Dunkeln. Unter dem Baum. Ich dachte an die Blutlache.
Ich erinnerte mich an die Tage der Hoffnung. Und an die Tage der Angst. Die Angst um die eigenen Freunde. Nicht um mich selbst. Ich erinnerte mich an die Angst davor, dass der nächste Tag vielleicht noch schlimmer werden könnte. Ich erinnerte mich daran, wie wir auf den Straßen tanzten, als Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 zurücktrat. Feuerwerke, hupende Autos, Musik. Die Ägypter klopften sich auf die Schultern, sie umarmten sich. Sie lachten. Ich lachte auch, aber irgendetwas fühlte sich seltsam an. Irgendetwas stimmte nicht. „Ich hoffe, dass es jetzt nicht schlimmer wird“, sagte ich zu meinen Freunden, als wir uns durch die Menschenmassen drängten. Und nur einige Monate später kehrte die Angst zurück. Sie kratzt auf der Haut, sie verfolgt einen wie ein unerwünschter Liebhaber, sie beißt. Wie ein hungriger Wolf, der seine Beute beobachtet und auf den perfekten Moment des Angriffes wartet. Es ist die Angst, dass es jetzt jeden treffen könnte.
Ich erinnerte mich an Maikel Nabil Sanad. Daran, als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er saß in einem Café an der Börse in der Stadtmitte. Auf einem der Plastikstühle. Er schüttelte mir die Hand, wir sprachen kurz über den Artikel, an dem er gerade arbeitete. Danach habe ich ihn nie wieder gesehen. Nun sitzt er im Gefängnis. Verurteilt zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe, weil er in diesem Artikel angeblich das ägyptische Militär beleidigt hat.
Er ist 26 Jahre alt, sein jüngerer Bruder Mark trägt das Haar nun genauso wie es Maikel hatte. Das war am Anfang, als sich die Stimmen gegen das Militär häuften. Und seit dem Rücktritt Hosni Mubaraks regiert der Militärrat unter dem Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawy. Der Hass gegen die Armee wächst unter den jungen Oppositionellen. Sie schreiben und singen gegen Ungerechtigkeit, Folter, Militärgerichte, Menschenrechtsverbrechen. Nachts ziehen sie durch die Straßen und sprühen Grafitti an die Wände.
Derzeit wird in Ägypten ein neues Parlament gewählt, in der ersten Wahlrunde haben die Muslimbruderschaft und die konservativen Salafisten die meisten Stimmen erhalten. Es ist nun fast ein Jahr her, dass sich Millionen von Ägyptern gegen das regierende System gestellt haben. Dass die Ägypter anfingen, für Gerechtigkeit und Würde zu demonstrieren.
Doch trotzt der Parlamentswahlen, trotz der Bemühungen, Ägypten in eine Demokratie zu verwandeln, jagt das Regime Oppositionelle. Es häufen sich Entführungen von jungen Aktivisten, die geschnappt , verdroschen und eingeschüchtert werden. Zeyad Salem wurde am 9. Dezember in Alexandria an der Corniche in einen Minibus gelockt. Von Unbekannten. Er wurde geschlagen, sein Mobiltelefon geklaut. Zeyad ist Mitglied der Bewegung „Keine Militärgerichte für Zivilisten“. Er denkt, das sei der Grund für seine Entführung gewesen. Ein Grund mit seiner Arbeit aufzuhören ist das allerdings nicht.
Abdelrahman Zin Eldin ist Grafitti-Künstler aus Kairo. Ein junger Mann mit krausen Locken. Er liebt es, lautstark den Militärrat zu beschimpfen. Er behauptet, alle Polizisten seien Bastarde. Auch er ist von Unbekannten entführt und verprügelt worden. Sie hatten ihm nachts vor seiner Haustür aufgelauert. Abdelrahman Zin Eldin trägt nun ein weißes Pflaster neben seinem Auge.
Ich schaute Ramy Essam wieder in sein Gesicht. Ich dachte wieder an seine Narben auf dem Rücken. Dann öffnete er seine Augen. Und lächelte.
Kristin Jankowsk lebt seit zweieinhalb Jahren in Kairo und arbeitet als Redakteurin für Transit, das Webjournal des Goethe-Instituts. Das Institut liegt direkt neben dem Tahrir-Platz.
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