Pressekonferenz in Tunesien / dpa

Finanzhilfen bis 900 Millionen Euro - EU und Tunesien erzielen Einigung gegen illegale Migration

In diesem Jahr kamen bereits weit mehr als doppelt so viele Migranten per Boot nach Italien wie im Vorjahreszeitraum. Immer mehr setzen aus Tunesien über. Die EU-Kommission will nun noch stärker mit dem Land zusammenarbeiten, um illegale Migration zu verhindern.

Cicero Cover 01-25

Autoreninfo

Hier finden Sie Nachrichten und Berichte der Print- und Onlineredaktion zu außergewöhnlichen Ereignissen.

So erreichen Sie Cicero-Redaktion:

Angesichts steigender Zahlen von Migranten und ihrer lebensgefährlichen Fahrten über das Mittelmeer haben die EU und Tunesien eine noch stärkere Zusammenarbeit bei dem Thema beschlossen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die Regierungschefs der Niederlande und Italiens sowie Tunesiens Präsident Kais Saied verkündeten am Sonntag in Tunis die Unterzeichnung einer entsprechenden Absichtserklärung. Damit kann die EU-Kommission für das wirtschaftlich schwer angeschlagene Land in Nordafrika Finanzhilfen in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro auf den Weg bringen.

Vor gut einem Monat waren die EU-Politiker bereits zu Gesprächen in Tunesien, um den Deal auszuhandeln. Im Gegenzug für die Finanzhilfen soll Tunesien künftig stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren. Vor allem die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni drängte auf eine Vereinbarung, um die von Tunesien ablegenden Migrantenboote auf deren Weg nach Süditalien und damit in die Europäische Union früh zu stoppen.

„Wir sind fest entschlossen“

„Wir haben ein gutes Paket. Jetzt ist es Zeit, es umzusetzen“, sagte von der Leyen mit Blick auf die Absichtserklärung. Saied sagte: „Wir sind fest entschlossen, sie schnellstmöglich umzusetzen.“ Er sprach beim Thema Migration von einer „unmenschlichen Situation“, die im Kollektiv gelöst werden müsse. Die EU-Kommission will etwa für Such- und Rettungsaktionen und die Rückführungen von Migranten gut 100 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Das entspricht der dreifachen Summe, mit der Brüssel Tunis dabei zuletzt im Durchschnitt jährlich unterstützte.

Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf dem Weg nach Europa. Vor allem in Italien wird seit geraumer Zeit über die Ankunft Tausender Migranten diskutiert. In diesem Jahr stiegen die Migrationszahlen über die Mittelmeerroute massiv. Allein bis Freitag zählte das Innenministerium in Rom mehr als 75.000 Bootsmigranten, die seit Jahresbeginn an Italiens Küsten ankamen - im Vorjahreszeitraum waren es rund 31.900.

„Integrierte Bewältigung der Migrationskrise“

„Nach viel diplomatischer Arbeit haben wir ein sehr wichtiges Ziel erreicht“, sagte Meloni. Das Memorandum ermögliche eine „integrierte Bewältigung der Migrationskrise“. Sie hoffe zudem auf weitere ähnliche Abkommen mit anderen nordafrikanischen Ländern. Kommenden Sonntag sei in Rom auch eine Migrationskonferenz geplant, an der Saied sowie weitere Staats- und Regierungschefs des Mittelmeerraums teilnehmen sollen.

Die Absichtserklärung ist in den Verhandlungen ein wichtiger Schritt nach vorn. Bis das Geld an Tunis fließen kann, braucht es aber auch noch Einigung von anderer Seite: Ein Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar an Tunesien hängt in der Luft, weil Präsident Saied keine verbindliche Zusage zu den dafür verlangten Reformen machen will.
 

Das könnte Sie auch interessieren: 


Saied hatte im Februar ein härteres Vorgehen gegen Migranten angekündigt und ihnen vorgeworfen, Gewalt und Kriminalität ins Land zu bringen. Seitdem nahmen Anfeindungen und rassistische Übergriffe zu. In der Küstenstadt Sfax kam es zu teils tödlichen Zusammenstößen zwischen Migranten und Anwohnern. 

Mittelmeer-Migranten aus Nordafrika

Kritiker werfen Saied vor, sich auf den Ausbau seiner Macht zu konzentrieren und nicht auf Lösungen für die schwere Wirtschaftskrise im Land. Nach Kritik der EU an seinem Machtausbau war das Verhältnis zuletzt angespannt. Saied schloss auch aus, sein Land zu einer Grenzpolizei für Europa werden zu lassen. Tunesiens Regierung sieht eine langfristige Ansiedlung von Migranten im Land zudem kritisch. Viele Tunesier fürchten, dass genau dies Ergebnis eines EU-Deals sein könnte.

Eines des wichtigsten Wahlversprechen der ultrarechten Meloni war, die vielen Mittelmeer-Migranten aus Nordafrika von den süditalienischen Küsten abzuhalten. Dass dieses Jahr aber mehr als 2022 ankamen, setzt sie unter Druck. Ihr liegt deswegen viel daran, Tunesien als Verbündeten für die neue europäische Asylpolitik zu gewinnen. Sie schlug immer wieder vor, Tunis – ähnlich wie das die EU 2016 mit der Türkei in einem Deal vereinbart hatte – dafür zu bezahlen, die Migrantenboote konsequent am Ablegen Richtung Italien zu hindern.

Quelle: dpa

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 17. Juli 2023 - 07:59

Als ob Geld für Tunesien irgendetwas bewirken könnte im Hinblick darauf, die Migranten von Europa und besonders von Deutschland fernzuhalten. Erdogan hat schon erkannt, dass man ein gutes Zubrot hat und Tunesien weis das auch. Die Milliarden werden gar nichts verhindern. Helfen könnte nur eine veränderte "Willkommenspolitik". Kein Geld mehr, nur noch Sachleistungen, Antragstellung an der Außen Grenze, ohne Pass kein Antragsrecht, Abschiebung aller illegaler und krimineller Migranten usw. Das schreiben die Kritiker der Migrationspolitik schon lange und was tut sich? Genau. Nichts oder besser, es wird stattdessen versucht, durch Verwässerung und Aufweichungen gesetzlicher Bestimmungen noch mehr Menschen ins Land zu holen. Man könnte jetzt einfach sagen, alles gut für die AFD. Vordergründig. Nur, das Problem ist nicht gelöst und selbst wenn eine AFD mitregieren würde, braucht es Jahre bis Jahrzehnte, da eine akzeptable Grundordnung hineinzubekommen. Bis dahin sind wir pleite.

Christoph Kuhlmann | Mo., 17. Juli 2023 - 08:26

Eine Kette von Staaten, die kein Problem damit haben, unerwünschte Einwanderer abzuschieben. Möglichst mit eingeschränkter Pressefreiheit, damit den Bürgern der EU-Staaten die Grausamkeiten und das Elend nicht zum Abendessen im Fernsehen serviert wird. Dabei kostet so ein Ticket auf einem Seelenverkäufer mehrere tausend Dollar. Die Anreise durch die Sahara ebenfalls noch ein hübsches Sümmchen. Das alles, um in ein Land zu gelangen, in dem sich 20 % der Bevölkerung keine Urlaubsreise leisten können. Vielleicht wäre es zielführender, die Staaten der Sehnsucht bemühen sich gezielt um erwiesene Demokraten, die politisch verfolgt werden und limitieren das Asylrecht auf den eigenen Kontinent. Die globale Garantie von Menschenrechten stößt angesichts von Bevölkerungswachstum und verbesserten Transportmöglichkeiten an seine Grenzen. Paradoxerweise ist es gerade der steigende Wohlstand in der südlichen Hemisphäre, der diese permanente Völkerwanderung ermöglicht.

Armin Latell | Mo., 17. Juli 2023 - 10:09

Ich bin sicher, die Italiener werden es ihr danken, wenn die Flut an Wirtschaftsflüchtlingen, die hauptsächlich die italienischen Küsten erreicht, abebbt. Und Buntland kann ebenso froh darüber sein: denn dann können sich die Italiener auch die vielen Bahnfahrkarten nach Norden einsparen. Nebenbei: wenn ich das Bild richtig erkenne, war Rutte dabei, damals ein Merkelunterstützer. Sein Kurswechsel hat ihm wohl das politische Genick gebrochen. Damals, 2011, war man stolz darauf, dass man Gadaffi weggebombt hatte. Der hatte in wahrhaft weiser Voraussicht angekündigt: wenn man ihn beseitigt, wird niemand mehr die Flut nach Europa aufhalten. Exakt so ist es gekommen. Solange Libyen keine einheitliche, verlässliche Führung hat, mit der man wirksame Verträge schließen kann, bleibt die Absprache mit Tunis nur kleines Stückwerk. Und dann ist da auch noch Marokko...

Heidrun Schuppan | Mo., 17. Juli 2023 - 14:36

Es gab vor ca. einem Jahr eine Doku über dieses Land – die Mehrheit der Bevölkerung sind junge Männer um die 25 Jahre, für die dieses Land keine Arbeit hat. Keine Zukunftsperspektive. Die Familien sparen, um den meisten von ihnen die "Reise" in die EU zu ermöglichen. Wer will, wer wird diese jungen Männer aufhalten? Die tunesische Regierung bzw. die Sicherheitskräfte vor Ort? Niemals – die Verlockungen des Schlaraffenlands sind zu groß, auch wenn die Überfahrt lebensgefährlich sein wird. Das ist einfach krank – mit Milliarden diese Männer im Land zurückhalten? Die unschönen Bilder von dort wird hier wohl niemand zu sehen bekommen. Aber die auf dem Foto abgebildeten EU-Leute wollen sich partout nicht die Hände schmutzig machen, sprich: die Grenzen schließen – wie das im Mittelmeer gelingen soll, weiß ich auch nicht, aber die EU-Grenzen löchrig belassen?