- Das Schreckgespenst
Kehrt EU-Ratspräsident Donald Tusk in die polnische Politik zurück? Die Spekulationen heizt er selbst an, vermeidet aber klare Aussagen. Doch allein der Wirbel um das Gerücht zeigt, wie sehr die regierenden Nationalkonservativen sich vor Tusk fürchten. Ob da Vergleiche mit Hitler und Stalin helfen?
Im Mai die Europawahl, im Herbst die Parlamentswahlen. Polen steht in diesem Jahr vor zwei Urnengängen, die für die Zukunft des Landes von enormer Bedeutung sind. Doch wer in den vergangenen Tagen die Interviews polnischer Politiker anschaute, anhörte oder las, erfuhr wenig über die Programme ihrer Parteien und ihre Ziele für Europa und Polen. Ja, nicht mal die Politiker der regierenden PiS lobten im Überschwang den „Fünfer Kaczynskis“. Dabei handelt es sich um das vor einigen Monaten vorgestellte Sozialprogramm der PiS, das unter anderem die Ausweitung des Kindergeldprogramms 500+ vorsieht und mit dem die Nationalkonservativen bei den anstehenden Wahlen punkten wollen.
Das alles dominierende Thema war stattdessen ein Politiker, der seit 2014 gar nicht mehr in Warschau, sondern in Brüssel tätig ist: Donald Tusk. Für den 3. Mai kündigte der EU-Ratspräsident einen Vortrag an der Warschauer Universität an. Der Titel, passend zum polnischen Nationalfeiertag, an dem an die Verfassung vom 3. Mai 1792 erinnert wird: „Hoffnung und Verantwortung. Über die Verfassung, Europa und freie Wahlen“.
Befreiung von „zeitgenössischen Bolschewiki"
Es war nicht das erste Mal, dass Tusk einen polnischen Nationalfeiertag für seine politische Agenda nutzte. Bereits am Vortag des 11. November vergangenen Jahres, als Polen den 100. Jahrestag der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit beging, hielt der ehemalige polnische Ministerpräsident in Lodz eine Rede, die es in sich hatte. Von „zeitgenössischen Bolschewiki“, von denen man sich befreien könne, sprach er damals und sorgte so für Schlagzeilen.
Denn der Vergleich wurde in Polen nicht nur als ein Angriff auf die nationalkonservative Regierung verstanden, auch wenn Tusk dies später wenig überzeugend verneinte, sondern auch als eine Ankündigung für seine Rückkehr in die heimische Politik – pünktlich zu der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr. Spekulationen, die der EU-Ratspräsident im Vorfeld des Vortrags vom vergangenen Freitag erneut anheizte. „Ich habe etwas wichtiges zu sagen“, warb der EU-Ratspräsident auf Twitter für seinen Vortrag an der Warschauer Alma Mater.
Mit Erfolg. Wegen des großen Interesses musste vor dem prächtigen Hauptgebäude der Warschauer Universität, das unweit des Präsidentenpalastes steht, noch eine Großleinwand aufgestellt werden. Doch konnte Tusk die Hoffnungen seiner Anhänger und die Ängste seiner politischen Gegner bestätigen? Nach seinem Vortrag, den auch führende Politiker der etablierten Oppositionsparteien verfolgten, darf man diese Frage auf den ersten Blick verneinen. „Es darf nicht sein, dass die Staatsmacht die Verfassung einmal im Jahr feiert, diese im Alltag aber umgeht“, war nur eine der Spitzen gegen die PiS-Regierung, die der EU-Ratspräsident von sich gab. Doch seine Rückkehr in die polnische Politik verkündete er nicht.
Tusks wilder Ritt
Stattdessen bestritt Tusk, dessen Amtszeit als EU-Ratspräsident in diesem Jahr endet, einen wilden Ritt durch sich schön anhörende Floskeln zu der aktuellen politischen Situation. So, als ob er selber niemals in Regierungsverantwortung gestanden und seinen Anteil zu dieser beigetragen hätte. So solidarisierte er sich mit den Lehrern, die vor kurzem gestreikt haben.
„Egal wer die Wahlen gewinnt. Er darf nicht so tun, als ob das Land dadurch nun ihm gehört und andere ausschließen“, sagte Tusk im Hinblick auf die Rhetorik von PiS-Politikern und regierungsnahen Medien, die ihre politischen Gegner gerne als „Verräter“ oder „Volksdeutsche“ diffamieren. Eine seit dem Mord an dem Danziger Oberbürgermeister Pawel Adamowicz heftig diskutierte Problematik, die aber nicht nur die Nationalkonservativen allein betrifft. Weitere Themen waren unter anderem die Digitalisierung sowie der Klimawandel, den der 62-Jährige als eine Herausforderung für Polen und Europa bezeichnete.
Doch trotz der an politischen Visionen und Lösungsvorschlägen armen Rede – die polnische Politik hat die Veranstaltung dennoch durchgerüttelt. Einerseits und zur Überraschung aller wegen Tusks Vorredner Leszek Jazdzewski, dem Chefredakteur der liberalen Monatszeitschrift Liberté, die den EU-Ratspräsidenten offiziell zu dem Vortrag einlud. In deftigen Worten kritisierte Jazdzewski die Rolle der katholische Kirche in Polen und zog so den Zorn der Nationalkonservativen auf sich. „Wer die Hand gegen die Kirche erhebt, erhebt die Hand gegen Polen“, grollte an diesem Wochenende der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski bei einer Wahlkampfveranstaltung.
Eine neue Bewegung?
Noch mehr aber natürlich wegen Donald Tusk. Auch wenn erst letzte Woche eine von der renommierten Tageszeitung Rzeczpospolita in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass gerade mal nur 34 Prozent der Polen sich eine Rückkehr des EU-Ratspräsidenten in die polnische Politik wünschen, zeigten die letzten Tage deutlich: Tusk ist der einzige Politiker, den die regierenden Nationalkonservativen fürchten.
Und dies bewies am Freitag der staatliche Fernsehsender TVP, den die PiS zu ihrem Propagandaorgan umgebaut hat, in seiner abendlichen Hauptnachrichtensendung. In dem Bericht über Tusks Auftritt in der polnischen Hauptstadt wurden kurzerhand Bilder von Stalin und Hitler eingeblendet. Ein bisher nicht erreichter Tiefpunkt in der schon vorher diffamierenden Darstellung Tusks durch regierungsnahe Medien und nationalkonservative Politiker.
Und rund um den 4. Juni, dem nächsten wichtigen historischen Datum, könnten weitere Tiefpunkte hinzukommen. Vor genau 30 Jahren fanden an diesem Tag die ersten halbfreien Parlamentswahlen statt, die das Ende der Volksrepublik einläuteten. Ein Ereignis, das Tusk zusammen mit liberalen Kommunalpolitikern und Aktivisten in seiner Heimatstadt Danzig feiern wird. Weshalb seit Wochen gemunkelt wird, dass an diesem Tag eine neue Bewegung vorgestellt werden könnte. An deren Spitze: Donald Tusk als der Anführer und Hoffnungsträger einer geeinten Opposition gegen Kaczynski und seine PiS
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Das mögen die Polen entscheiden, ob und in welcher weise Tusk wieder in die nationale Politik zurückkehren kann. Mir ist es auch grundsätzlich egal, ob es dort Kaczynski Angst macht oder nicht. Lebende Menschen mit toten Despoten und Massenmördern zu vergleichen halte ich für dumm und unangemessen.
Wir haben da in Deutschland ganz andere Probleme, die mir wichtiger sind, als der weitere Lebensweg eines Herrn Tusk.