Kommt doch noch ein Kanzler Pistorius? / picture alliance / photothek.de | Amrei Schulz

Falls die Verfassungsänderung nicht zustande kommt - Rot-Grün-Rot ist durchaus möglich

Sollte die Verfassungsänderung zur Aufhebung der Schuldenbremse scheitern, wird die SPD wohl keine GroKo mehr anstreben. Dann bliebe nur die Option einer Minderheitsregierung – und da stehen die Chancen für SPD, Grüne plus Linke besser als für die Merz-CDU.

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Rechnerisch ist alles klar: CDU/CSU und SPD kommen im neuen Bundestag zusammen auf 328 Sitze; die Kanzlermehrheit beträgt 316 Stimmen. Um es den Sozialdemokraten zu erleichtern, ausgerechnet den von ihnen so abgelehnten Friedrich Merz zum Bundeskanzler zu wählen, ist die Union den Genossen weit entgegengekommen: ein Ja zu Sonderschulden in Höhe von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur. Aber auch die Grünen bekamen, was sie wollten: 100 Milliarden Euro für den Klimatransformationsfonds. Dazu muss aber die Schuldenbremse aufgeweicht und die Verfassung geändert werden. Dazu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit.

„High Noon“ ist am kommenden Dienstag. Die Zweidrittelmehrheit im Bundestag liegt bei 489 Sitzen. SPD, CDU/CSU und Grüne stellen 520 Abgeordnete. Mehr als 31 Abgeordnete dürfen also nicht dagegen stimmen oder sich enthalten. Das ist kein allzu großes Polster. Schließlich werden mit Sicherheit nicht alle Abgeordneten am Dienstag im Plenarsaal sein. Es gibt immer Kranke; andere sind vielleicht durch zwingende familiäre Angelegenheit verhindert. Ebenso wenig kann man davon ausgehen, dass sämtliche Mitglieder des Bundestags mit Ja stimmen, um damit den Weg für einen Bundeskanzler Friedrich Merz freizumachen. Das könnte vor allem bei SPD und den Grünen der Fall sein. Es dürfte aber auch in der Union einige geben, die mit Merz eine Rechnung offen haben.

Dieser Bundestag, dessen Tage gezählt sind, ist genau genommen unberechenbar. Am Dienstag können nämlich 189 Abgeordnete nochmals ihre Stimme abgeben, die dem neuen Parlament nicht mehr angehören werden: 95 bei der SPD, 48 bei der Union und 46 bei den Grünen. Viele haben nicht mehr kandidiert, andere sind nicht wiedergewählt worden. Jetzt haben sie die Möglichkeit, ihrem Unmut über die XXL-Verschuldung, über den Kurs der eigenen Partei oder die Aussicht auf einen Kanzler Merz freien Lauf zu lassen. Die Fraktionsführungen können ihnen nicht mehr drohen oder sie mit irgendwelchen Posten locken. So unabhängig und frei wie wenige Tage vor dem Ausscheiden aus dem Parlament sind die meisten Abgeordneten nie.

Es würde die CDU sprengen, wenn Merz mithilfe der AfD ins Kanzleramt einzöge

Sollte die Verfassungsänderung scheitern, wird die SPD wohl keine GroKo mehr anstreben. Ohne Sondervermögen für die Infrastruktur wird die Parteiführung ihrer Parteibasis kaum eine Zustimmung zu einer Koalition mit einem Kanzler Merz abringen können. Dass es bei den SPD-Mitgliedern nicht immer rational zugeht, hatten diese 2019 gezeigt, als sie den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz bei der Wahl zum Parteivorsitzenden durchfallen ließen.

Falls es also nicht zu Schwarz-Rot kommen sollte, was dann? Dann könnte plötzlich eine Minderheitsregierung die einzige Lösung sein. Da wären zwei Varianten denkbar: Rot-Rot-Grün unter einem Kanzler Boris Pistorius (SPD) oder CDU/CSU mit Merz. Normalerweise wäre mit der Wahl von Pistorius im dritten Wahlgang zu rechnen, weil er mit 269 Stimmen rechnen könnte gegenüber 205 für Merz. Aber zunächst müssten beide Kandidaten in zwei Wahlgängen den aussichtslosen Versuch unternehmen, eine Kanzlermehrheit – also die absolute Mehrheit – zu erreichen. Erst im dritten Anlauf reicht die relative Mehrheit.

Dazu wird es aber kaum kommen. Denn in diesem Bundestag sitzt mit der AfD eine Partei, die nicht nach normalen demokratischen Regeln spielt. Im Gegenteil. Die in weiten Teilen rechtsextremistische Truppe hält nicht viel von parlamentarischen Gepflogenheiten. Der AfD liegt durchaus daran, den Parlamentarismus lächerlich zu machen.

Bei einer Kanzlerwahl Merz gegen Pistorius wäre es durchaus denkbar, dass die 152 AfD-Abgeordneten für Merz stimmen. Langfristig wollen sie die CDU nach eigenen Angaben zwar zerstören. Aber Merz zum Kanzler zu wählen, um ihn anschließend bei Gesetzesvorhaben von AfD-Stimmen abhängig zu machen und die Union einem gigantischen „Shitstorm“ wegen ihrer angeblichen Kooperation mit „Nazis“ auszusetzen, dieser „Spaß“ wäre der AfD einiges wert. Denn Merz könnte eine solche Wahl nicht annehmen. Anderenfalls würde er Massendemonstrationen „gegen rechts“ auslösen, unverhohlen unterstützt von den meisten Medien, allen voran ARD und ZDF, und teilweise finanziert mit noch von der Ampel beschlossenen Steuermitteln für unterschiedlichste linksgrüne Initiativen. Ganz abgesehen davon würde es die CDU sprengen, wenn Merz auf diese Weise ins Kanzleramt einzöge.

Deutschland hat keine Erfahrungen mit Minderheitsregierungen im Bund

Ohne eine Koalition mit der SPD ist ein Kanzler Merz nicht denkbar, ein von rot-rot-grün getragener Kanzler Pistorius schon. Denn im dritten Wahlgang würde die CDU/CSU ihn wohl durch Stimmenthaltung mit relativer Mehrheit zur Kanzlerschaft verhelfen – aus recht verstandener staatspolitischer Verantwortung. Gut möglich, dass bei SPD und Grünen nicht wenige sich genau dieses Szenario wünschen. Mit den Putin-Apologeten von der vom Totenbett auferstandenen Linkspartei kämen SPD und Grüne gut zurecht – von der Unterstützung der Ukraine mal abgesehen. Aber da mag mancher hoffen, dass Trump die Ukraine recht bald Putin zum Fraß vorwirft; dann braucht man sich über weitere Hilfen für Kiew keine Gedanken mehr zu machen. Die SPD-Linke und die Linkspartei würden das ebenso erfreut wie erleichtert zur Kenntnis nehmen.

Deutschland hat keine Erfahrungen mit Minderheitsregierungen im Bund. Rot-Grün-Rot würde also echtes Neuland betreten. Ein Kanzler Pistorius hätte es auf dieser Basis auch sehr schwer. Die CDU/CSU würde ihm allenfalls in ganz wenigen Ausnahmefällen die Stimmen für die notwendige Mehrheit besorgen. Ein planvolles Regieren wäre unter diesen Bedingungen kaum möglich. Folglich würde sich ein rot-grün-rotes Kabinett Pistorius nicht lange im Amt halten können. Aber es könnte im Parlament eine Reihe von Wohltaten zur Abstimmung bringen, denen sich die CDU/CSU-Opposition kaum verweigern kann – und dann Neuwahlen anstreben. Schlechter als am 23. Februar kann das für SPD und Grüne nicht enden. 

Die Einwände der Grünen gegen die geplante XXL-Verschuldung sind sachlich nicht falsch. Sie sind jedoch nicht glaubwürdig, weil das Land bereits viel höher verschuldet wäre, wenn es in den vergangenen Jahren allein nach den Grünen gegangen wäre. Für die SPD wiederum ist eine deutlich höhere Verschuldung unabdingbare Voraussetzung dafür, Merz zum Kanzler zu wählen. Glaube aber niemand, SPD und Grüne wüssten nicht sehr genau, was ein Scheitern der Verschuldungspläne aus parteipolitischer Sicht bedeutete: für die SPD die Verteidigung des Kanzleramts, für die Grünen ein Verbleib in der Regierung und eine gute Ausgangsbasis für Neuwahlen. Das sind aus rot-grün-roter Sicht keine schlechten Aussichten.
 

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Ingofrank | Fr., 14. März 2025 - 15:19

in Gefahr stehende Kanzlerschaft gab er ihr 100 Milliarden.
Ob da er wohl die Mehrheit aus SPD & Grünen zusammenbekommt oder im 2. oder gar 3. Wahlgang mit Stimmen der Grünen gewählt wird, wird man sehen.
Doch nun zu dem Schuldenpakes des Dünnbertbohres und der Paketbotin .. .
Am Donnerstag kommt es eventuell zum Sieg der Wahlverlierer SPD & CDU (22% CSU bereinigt). Damit ist der Käse noch nicht gegessen. Da werden AfD, Linke und vielleicht die FDP od. prominente Einzelpersonen vor das BVG ziehen mit „offenen“ Ausgang.
Ich glaube zwar es wird das Schuldenpaket durchwinken aber man weiß ja nie. …
Zur Spaltung der CDU:
Mehr als Merz kann man die CDU nicht spalten da ich mit Nichten daran glaube, dass 2/3 der deutschen Bevölkerung die Schuldenaufnahme für richtig hält. So dämlich halte ich die Mehrheit der Kartoffeln nicht.
Ich kann nur hoffen, das die Sozen die mit Klingbeil & Esken sowie die CDU ler die Mit Merz noch eine Rechnung offen haben in als BK nich wählen.
MfG a d Erf.Rep.

Hans Jürgen Wienroth | Fr., 14. März 2025 - 15:25

Inzwischen wurde eine Einigung zwischen Union, SPD und Grünen erzielt, schließlich braucht auch Rot-Grün-Rot Geld für den Haushalt und da sind doch von Merz initiierte Sondervermögen für die eigene Klientel willkommen.

Das heißt nicht, dass Union und SPD sich auf eine Koalition einigen, sollte das Sondervermögen nächste Woche verabschiedet werden (können). Merz wird schließlich nur für die „Brandmauer“ gebraucht, um z. B. einen SPD-Kanzler zu installieren, damit das Land nicht im Chaos versinkt. Das kann schließlich auch die Union nicht wollen. Also muss sie sich bei einer Wahl von z. B. Pistorius der Stimme enthalten.

Die große Frage bleibt: Was macht das mit unserer Demokratie, wie kommt es beim Wähler an? Gibt es bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr eine große Klatsche für die angeblich „demokratischen Parteien“? Ist es demokratisch, wenn Linksradikale die Demokratie aushebeln, den Wählerwillen auf der Straße bekämpfen? Ist das das Ende der Demokratie.

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