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(picture alliance) Von AAA zu AA – Ratingagenturen machens möglich

Wulf Schmiese - Wir brauchen mehr Ratingagenturen

Ratingagenturen liegen oftmals falsch und kommen häufig zu spät mit ihrem Urteil. Auch die Märkte wissen das. Bislang haben sie kaum auf die Drohungen reagiert. Im Umgang mit den Agenturen ist daher vor allem eines geboten: Gelassenheit. Merkel und Sarkozy machen den Anfang

Es sagt sich leicht, die drohende Abstufung Deutschlands durch Ratingagenturen „unverschämt“ zu nennen. So wütend reagiert die Generalsekretärin der SPD. Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück poltert über die „Provokation“ der Bewerter. Das geht gewiss vielen so: Was mischen sich diese verdammten Agenturen immer ungefragt ein, wo doch die Krise ohnehin schon groß genug ist?

Der Ärger darüber ist so sinnvoll, wie über Regen zu schimpfen oder den Mond anzubellen. Die derzeitigen Akteure müssen das einsehen. Deshalb haben sie untereinander vereinbart, anders zu reagieren. Kurz vor dem Krisengipfel der EU üben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Nicolas Sarkozy in Gelassenheit: „Was eine Ratingagentur macht, das ist in der Verantwortung der Ratingagentur“, versucht Merkel den Angriff abperlen zu lassen. Wie sie will auch Sarkozy vermeintlich unbeeinflusst von den Drohungen der Agentur auf dem EU-Gipfel Lösungen finden. Nicht ganz so gut spielt der Chef der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker den Unbetroffenen. Zwar sagt auch er patzig, wir sollten die Ratings „nicht so ernst nehmen“, tut es dann aber selbst, indem er ihr Urteil „maßlos überzogen“ nennt.

Ist es das? Übertreibt die amerikanische Agentur Standard&Poor´s mit ihrer Drohung, dass der komplette Euro-Raum seinen Gläubigern kein hundertprozentig verlässlicher Schuldner mehr sein kann? Selbst unsere Politiker können die Antwort nur ahnen, wissen kann es niemand. Genau deshalb gibt es Ratingagenturen. Doch die lagen in ihren Urteilen in den letzten Jahren und Jahrzehnten oft so dreist daneben, dass Krisen völlig unangekündigt ganze Staaten in den Bankrott rissen.

Rating heißt übersetzt Bewertung. Ratingagenturen geben also keine Empfehlung für irgendetwas ab, wie es Bankanalysten tun. Die raten zum Kaufen oder raten eben davon ab. Ratingagenturen sollen nur bewerten, wie hoch das Risiko für einen Kreditgeber ist, sein Geld wieder zu sehen. Darauf reagiert dann der Kreditgeber. Je schlechter ein möglicher Schuldner bewertet wird, desto mehr Zinsen verlangt der Kreditgeber. Je höher das Risiko, desto höher auch die Zinsen. Das ist das Problem der Staaten, die Geld brauchen. Je schlechter sie bewertet werden, desto teurer wird es für sie, neues Geld zu bekommen. Für jeden, der Staatsanleihen zeichnet, der also Geld gegen Zinsen an Staaten verleiht, ist ein eigenes Urteil unmöglich. Denn die Höhe der Staatsverschuldung ist kein alleiniger Indikator. Die Stabilität und Durchsetzungskraft der jeweiligen Regierung spielt ebenso eine Rolle, wie etwa die Schlagkraft der Gewerkschaften, die geplanten Infrastrukturprojekte oder die Devisenvorräte. Wer kann das schon alles wissen?

Die Ratingagenturen haben vor weit über einhundert Jahren begonnen mit Spezialwissen. Als Ende des 19. Jahrhunderts das Eisenbahnnetz in den Vereinigten Staaten ausgebaut werden sollte, brauchten die Bauherren Geld. Banken und Investoren hatten aber keine Ahnung von dieser jungen Technik und konnten auch schlecht beurteilen, ob im Wilden Westen ein gutes Geschäft mit so etwas zu machen wäre. Henry Poor war einer der ersten, der die künftige Zahlungsfähigkeit von Eisenbahngesellschaften unter die Lupe nahm. Zum Businessplan von John Moody gehörte es 1909, seine Bewertungen mit insgesamt 20 Noten zu versinnbildlichen. Als Höchstnote legte er AAA fest, und am Ende der Skala stand ein düsteres D für „default“, also Zahlungsausfall. Seine Kollegen Poor und Fitch übernahmen in etwa diese Skala – und so gilt sie bis heute.

Lesen Sie mehr über die gewaltigen Pannen der Agenturen.

Versagt haben die Ratingagenturen aber all zu häufig. Sie haben Staatspleiten oft erst vorhergesagt, als nichts mehr zu halten war. Ein Jahr, bevor Russland wie auch Pakistan 1999 zahlungsunfähig wurden, hatte Standard&Poor´s noch vergleichsweise gute Noten vergeben. Ebenso für Argentinien ein Jahr später oder für Paraguay 2003. Als größte Versager standen die gut bezahlten Bewerter da, als 2007 die amerikanische und europäische Finanzkrise ausbrach. Die Pleitebank Lehman Brothers stürzte trotz eines als noch solide geltenden Agenturratings ab. Sie riss auch die deutsche IKB mit, die nur Monate zuvor noch ausdrücklich wegen ihrer „umsichtigen Kreditvergabepraktiken“ von Bewertern gepriesen worden war. Da hagelte auf die Agenturen heftige Kritik. Sie mussten sich anhören, dass sie das Geschäft ihrer Geldgeber betrieben hätten auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit. Denn bezahlt werden die Ratingagenturen nicht von denen, die Geld geben, sondern von den Banken und Staaten, die Geld brauchen.

Daraus zogen die Ratingagenturen offenbar den Schluss, fortan schneller und schärfer zu urteilen – egal, ob das den Auftraggebern passt oder nicht. Die Folge sehen wir nun: Durch Standard&Poor´s droht nicht nur Deutschland, statt des dreifachen A nur noch ein zweifaches zu bekommen. In der Schule hieße das: Anstatt einer 1+ bloß eine glatte 1. Auch Finnland, Luxemburg, Österreich und die Niederlande sollen runtergestuft werden, Frankreich wird sogar mit einer AA- gedroht, also einer 1-. 15 der 17 Euro-Länder droht der Downgrade um mindestens eine Note, einzig Zypern und Griechenland können offenbar kaum noch tiefer sinken, da sie ohnehin schon am Boden liegen.

Die Ratingagentur sagt diesmal im Grunde nur, was ohnehin jeder weiß: Es kann nicht so weitergehen mit dem Euro, wenn sich die Euro-Staaten nun nicht am Riemen reißen. Noch dazu schwächt sich die Konjunktur ab bis hin zu einer zumindest „milden“ Rezession, wie Standard&Poor´s prophezeit. Und wenn Deutschland und die wenigen anderen vergleichsweise robusten Euro-Länder dem fast bankrotten Rest immer fester unter die Arme greifen müssen, wird das am Ende Kraft kosten. Weil das aber längst alle wissen, haben bislang die Märkte kaum auf die Drohung der Agentur reagiert. Daraus kann auch der Schluss gezogen werden, dass die Autorität der Ratingagenturen gesunken ist. Und: Wieder einmal kommen sie reichlich spät mit ihrem Urteil.

Mit ihrer Bewertung besorgt die Ratingagentur diesmal ein politisches Geschäft: Sie drängt die Staatslenker auf dem EU-Gipfel zu einem Ergebnis. Sie verlangt indirekt sogar ein Ergebnis, wie es im Grunde die amerikanische Regierung wünscht. Die Euro-Länder sollten sich jetzt nicht im Klein-Klein verstricken und weitere Kosten scheuen, sondern sie sollten Fünfe gerade sein lassen und ordentlich die Notenpresse anwerfen, damit es nicht zu einer – auch für Amerika – üblen Rezession kommt. Wir können uns über diese amerikanische Sichtweise der Ratingagentur aufregen, wir können es als „Wall Street“-gesteuertes Denken abtun. Verbieten aber kann es niemand.

Daraus folgt: Es gibt nicht zu viele, sondern eher zu wenig Ratingagenturen. Denn keine ist frei von eigenen Interessen und wirklich objektiv. So, wie keine Zeitung und kein Medium allein die wahre Mitte findet. Nur aus der Summe von vielen und nicht nur amerikanischen Urteilen lässt sich etwas wirklich ausgewogen bewerten: eben auch die Situation des Euro.

 

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