Es gibt keine gefährlichere Drohung von Politikern als die der „Steuervereinfachung“: Finanzminister Christian Lindner / dpa

Wachstumschancengesetz - Vorläufiges Aus für Lindners Gesetzesvorhaben

Das geplante Wachstumschancengesetz der Ampel konnte bisher nicht verabschiedet werden, weil der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen hat. Das Gesetz würde Wachstum weniger für Unternehmen als für die Bürokratie bringen. Außerdem ist es rechtsstaatlich hochproblematisch.

Stephan Salzmann

Autoreninfo

Stephan Salzmann ist promovierter Rechtsanwalt und Steuerberater in München.

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Monatelang klopfte sich die Bundesregierung (federführend: Lindners Bundesfinanzministerium) seit Vorlage des sogenannten Referentenentwurfs am 14.07.2023 selbst dafür auf die Schulter, dass das „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz)“ eine wirksame Entlastung für die deutsche Wirtschaft bedeute. Die im Regierungsentwurf angegebene Haushaltsbelastung für die Jahre 2024 bis 2028 von durchschnittlich deutlich unter 10 Milliarden Euro pro Jahr sieht angesichts von jährlichen Steuereinnahmen von demnächst einer Billion (fast 900 Milliarden Euro waren es 2022) eher bescheiden aus. Zum Glück haben die Bundesländer über den Bundesrat die Verabschiedung verhindert, womit – vorerst – ein Mehr an Bürokratie und ein Weniger an Rechtsstaatlichkeit verhindert wurden.

(Verhindertes) Bürokratiewachstum

Unter Beobachtern der Steuerpolitik gibt es schon lange die Erkenntnis, dass es keine gefährlichere Drohung von Politikern gibt als die der „Steuervereinfachung“. Denn die Ankündigung von Steuervereinfachung führe bestenfalls zu einer Verschlimmbesserung, meistens aber zu einer zusätzlichen Bürokratisierung des ohnehin schon unübersichtlichen und unsystematischen Steuerrechts. Diese Regel trifft auch auf das Wachstumschancengesetz zu. Dies zeigt schon sein Umfang: Der Regierungsentwurf vom 02.10.2023 war (ohne Gesetzesbegründung) 75 Seiten lang, mit Gesetzesbegründung 240 Seiten. Er beschränkte sich keineswegs darauf, die ohnehin schon international längst nicht mehr wettbewerbsfähige Steuerlast der deutschen Unternehmen durch sinnvolle Maßnahmen (zum Beispiel die Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten oder Erleichterungen beim steuerlichen Verlustabzug) ein wenig zu mildern. 

In erster Linie von der Bundesregierung hervorgehoben wurde die Einführung einer „Investitionsprämie zur Beförderung der Transformation der Wirtschaft in Richtung von insbesondere mehr Klimaschutz“. Man hat sich also nicht darauf konzentriert, bestehende Steuerbelastungen der Unternehmen ohne jeglichen zusätzlichen Bürokratieaufwand abzubauen, sondern wollte die Unternehmen mit einem neu eingeführten Gesetz zu Bittstellern um Erlangung einer weiteren Kategorie von Investitionsprämien machen – der Staat weiß ja bekanntlich besser, was gut für die Unternehmen und die Wirtschaft ist. Um den Grünen zusätzlich entgegenzukommen, sollte dadurch eine ganz neue Bürokratie aufgebaut werden, dass jedem Antrag eines Unternehmens ein „Einsparkonzept“ u.a. zur Verbesserung der „Energieeffizienz“ beizufügen sei, das von „zugelassenen Energieberatern“, also einer ohnehin schon gut beschäftigten Klientel dieses Koalitionspartners, zu erstellen wäre; der Sockelbetrag der Förderung von 5000 Euro reicht dabei kaum, um den Berater zu bezahlen.

Eine solche Überbürokratisierung, die frühzeitig am 17.10.2023 vom Bundesrechnungshof kritisiert wurde, führt immer dazu, dass vor allem Großunternehmen profitieren, und kaum die mittelständische Wirtschaft. Dies war zwar auch der Bundesregierung durchaus bewusst, denn sie rechnete schon laut Gesetzesbegründung mit einer Inanspruchnahme durch höchstens 0,5 % der Unternehmen, es machte aber auf das von einem Minister der Mittelstandspartei FDP geleitete federführende Finanzministerium im weiteren Gesetzgebungsverfahren keinen Eindruck.

Ein wahrer Bürokratie-Tsunami für Unternehmen 

Diese Art der bürokratiefördenden Gesetzgebung ist typisch für die Ampelkoalition, die innerhalb von zwei Jahren die Unternehmen mit einem wahren Bürokratie-Tsunami bedacht hat. Beispielhaft ist das am 14./15.12.2023 auf den letzten Drücker von Bundestag und Bundesrat vor dem Inkrafttreten am Jahresende noch verabschiedete „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates (EU) 2022/2523 zur Gewährleistung einer globalen Mindestbesteuerung und weiterer Begleitmaßnahmen“. Es handelt sich dabei um ein über 100 Paragraphen starkes Steuergesetzbuch mit einem völlig neuen und eigenen Besteuerungskonzept, das die Aufmerksamkeit ganzer Steuerabteilungen erfordert und von dem klar ist, dass es von der Finanzverwaltung vor Ort für viele (ca. 800) davon betroffene „Großunternehmen“ mit einem Gruppenumsatz von mindestens 750 Millionen Euro praktisch nicht vollzogen werden kann, weil es die fundierte Kenntnis internationaler Konzernrechnungslegungsvorschriften erfordert. 

Wie so oft wird man auch bei diesem Gesetz, das sonst nie eine nationalstaatliches Parlamentsverfahren überstanden hätte, auf „Brüssel“ und die Verpflichtung zur Richtlinienumsetzung verweisen. Der gegenwärtige Finanzminister hätte aber die mehrfach durch den Widerstand anderer Mitgliedstaaten verhinderte Verabschiedung der Richtlinie in dieser Form Ende 2022 verhindern können – schließlich haben sich auch die Hauptkonkurrenten USA und China dafür entschieden, ihre Unternehmen nicht mit der Bürde der verpflichtenden Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung zu belasten.

Auch sonst ist die kontinuierliche Neueinführung von Berichts- und Erklärungspflichten sowie die Unterwerfung der Unternehmen unter umfassende behördliche Kontrollbefugnisse zu beobachten. Gravierende Beispiele sind die Einführung eines sogenannten ESG-Reporting (Environmental Social Gouvernance) über Umwelt- und Sozialbelange sowie Unternehmensführung, das deutsche und demnächst europäische Lieferkettenrecht und das Hinweisgeberschutzgesetz. Letzteres gilt zwar nicht für Rechtsanwälte, merkwürdigerweise aber sehr wohl für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, womit deren an sich rechtsstaatlich verbürgte Verschwiegenheitspflicht weiter durchlöchert wird. Die permanente Vermehrung von Kontrollmechanismen ist Ausdruck planwirtschaftlicher Denkweise, wonach jedes Verhalten eines Unternehmens unter die Fuchtel des Staates gehört. Die vom Wachstumschancengesetz geplante „Klimaprämie“ würde sich da nahtlos einfügen.

(Verhinderte) Minderung der Rechtsstaatlichkeit

Besonders bemerkenswert für die selbsternannte Rechtsstaatspartei FDP als Ampelkoalitionär ist es, dass neben einer bereits Mitte 2020 auf unionsrechtlicher Grundlage eingeführten Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen jetzt – im nationalen Alleingang – eine Anzeigepflicht auch für innerstaatliche Steuergestaltungen eingeführt werden sollte. Das war zwar schon im Koalitionsvertrag der Ampel vorgesehen, aber um zu vermeiden, noch mehr vom Falschen zu machen, hätte man erst einmal eine Evaluation der bereits bestehenden Regelung für grenzüberschreitende Steuergestaltungen vornehmen müssen, die im Übrigen von der EU-Kommission auf europäischer Ebene im Jahr 2024 erwartet wird. Dies hätte zu der ernüchternden Erkenntnis geführt, dass ein geradezu gnadenloser Bürokratieaufwand installiert wurde, der zudem die Berufsverschwiegenheit der rechtsberatenden Berufe auf rechtsstaatsgefährdende Weise beeinträchtigt.

Einer kleinen Anfrage der Unionsfraktion lässt sich dazu entnehmen, dass bis Ende März 2023, also in weniger als drei Jahren, fast 27.000 (!) Mitteilungen beim zuständigen Bundeszentralamt für Steuern eingegangen sind, die zur Identifizierung von lediglich 24 Gestaltungsmodellen mit möglicherweise bestehendem rechtspolitischem Handlungsbedarf führten – die Erfolgsquote lag also eher im Promillebereich. Dass es dem von der FDP geführten Bundesfinanzministerium offenbar weniger um zusätzlichen Erkenntnisgewinn, sondern eher um Abschreckung der Steuerpflichtigen von einer ihnen rechtsstaatlich zustehenden Optimierung ihrer Verhältnisse ging, kann man daran erkennen, dass im Wachstumschancengesetz sogar vorgesehen ist, die Bezeichnung, unter der eine Gestaltung „allgemein bekannt ist“, melden zu müssen.

 

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Auch Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Art der Umsetzung der schon bestehenden Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen in Deutschland hätten davon abhalten müssen, den zur beruflichen Verschwiegenheit verpflichteten Beratern eine weitere derartige Anzeigepflicht als sogenannten Intermediären zum Nachteil ihrer Mandanten aufzuerlegen. Denn der deutsche Gesetzgeber nahm die Berufsverschwiegenheiten von Anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern als sogenannten Berufsgeheimnisträgern schon bei der Umsetzung der Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen nicht sonderlich ernst, indem er meinte, diese mit Hilfe eines „Tricks“ aushebeln zu können. Formal muss der Berater zwar seiner Anzeigepflicht nicht unter gleichzeitiger Preisgabe der Identität des Mandanten nachkommen, wenn ihn dieser nicht von der Verschwiegenheitspflicht befreit hat, er muss aber die Merkmale der Gestaltung (abstrakt) übermitteln. Hierbei bekommt er bestimmte Nummern zugeteilt, die dann der Mandant nutzen muss, um die abstrakte Anzeige der Gestaltung durch seinen Berater mit seinen persönlichen Daten „anzureichern“. Die Finanzverwaltung weiß anschließend durch Zusammenschau der Daten, welcher Berufsgeheimnisträger welchen Mandanten wie beraten hat, also genau das, was durch die Berufsverschwiegenheit geschützt sein soll. 

Der Mandant hat daher außer zusätzlichem Bürokratieaufwand absolut nichts dadurch gewonnen, dass er seine personenbezogenen Daten nicht von seinem Berater, sondern selbst übermittelt. Dadurch ist er faktisch dazu gezwungen, auf die Verschwiegenheitspflicht seines Beraters zu verzichten. Andere Mitgliedstaaten nehmen die Berufsverschwiegenheit dagegen ernst, dort besteht ohne Entbindung des Berufsgeheimnisträgers durch seinen Mandanten überhaupt keine – auch keine abstrakte – Meldepflicht, sondern nur eine Pflicht, den Mandanten über seine Meldepflicht zu unterrichten.

Die Rechtsstaatlichkeit der deutschen Verfahrensweise wird zutreffend von der Bundesrechtsanwaltskammer schon deshalb bezweifelt, weil sich die Verschwiegenheitsverpflichtung auf das Mandat insgesamt und damit auch auf die Mandatierung an sich bezieht. Mit diesem Argument hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom Dezember 2022 die Pflicht berufsverschwiegener Berater in Belgien, andere Intermediäre über deren Anzeigepflicht unterrichten zu müssen, als unverhältnismäßig und unionsrechtswidrig verworfen. Der EuGH leitet in diesem Urteil die Bedeutung der anwaltlichen Berufsverschwiegenheit als ein konstituierendes Merkmal einer demokratischen Gesellschaft aus dem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vergleichbar dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes) verankerten Recht auf Achtung der Privatsphäre her. Darüber hinaus ist eine weitere Vorlage des Belgischen Verfassungsgerichts beim EuGH anhängig, in der die bestehende Anzeigepflicht generell wegen Unangemessenheit des Eingriffs in die Grundrechte der Intermediäre und der Steuerpflichtigen in Frage gestellt wird.

Wie geht es weiter? Was bringt 2024?

Das Bestreben der Ampelkoalition, auf schon bestehende Anzeigepflichten von Berufsgeheimnisträgern noch eine Schippe draufzulegen, kann man nur als fehlende Sensibilität für rechtsstaatliche Erfordernisse und Ausdruck tiefsitzendes Misstrauens Rechtsberatern gegenüber interpretieren. Es gehört aber zu den Grundprinzipien des Rechtsstaats, dass sich der rechtssuchende Bürger seinem berufsverschwiegenden Berater in der Annahme anvertrauen kann, dass dieser die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht wahrt und nicht durch staatlichen Zwang zur Verletzung dieser Verpflichtung genötigt wird. Die Absicht, mithilfe des Wachstumschancengesetzes auch eine Anzeigepflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen einzuführen, ist daher nicht nur ein Schlag ins Gesicht der Berater, sondern auch eine Missachtung der grundrechtlich verbürgten Rechte der Steuerpflichtigen.

Es steht zu befürchten, dass die Ampelkoalition den mit dem Wachstumschancengesetz verbundenen Aufwuchs an Bürokratie und rechtsstaatsgefährdender Verletzung der Verschwiegenheitspflicht von Berufsgeheimnisträgern weiterverfolgen wird. Beschränkte man sich dagegen auf bürokratieneutrale Entlastungen von bereits bestehenden Steuerlasten, wäre dies Ausdruck der Wertschätzung der Grundsätze von Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit. 

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Ernst-Günther Konrad | Do., 4. Januar 2024 - 15:21

Der nächste Minister, der ein rechtsstaatlich bedenkliches Gesetz plant und erstmal gebremst wurde. er glaubt, das würde nur SPD oder GRÜNEN passieren, hat sich getäuscht. Inzwischen ist es egal, welcher Minister dieser Ampel irgendein Gesetz plant. Nicht nur das es inhaltlich häufig nichts bringt außer Nachteile für die Bürger, nein, man hat juristische Bedenken. Ich habe selten so oft gelesen, das bevorstehende Gesetzesvorhaben gegen unser GG verstoßen könnten. Inzwischen ist es überdeutlich. Ich kann mir nicht vorstellen, das die Juristen in den Ministerin doof sind und das alles so mitgestalten. Ich gehe vielmehr davon aus, das unsere Damen und Herren Politiker ihre Fachberater ausbremsen oder gar wegloben oder mobben und die Juristen angewiesen werden, egal was Recht und Gesetz sagen, die Gesetze so zu konzipieren, das sie halbwegs rechtskonform aussehend in den Bundestag zur Abschiebung kommen. Mich wundert gar nicht mehr. Linder - die FDP - ist kein Deut besser als die anderen.

Tomas Poth | Do., 4. Januar 2024 - 15:58

Mehr Bürokratie bietet mehr Chancen für Parteisoldaten/-gängern einen Job zu bekommen.
Der Verfilzung und Stärkung der Parteien-Mafia wird einen Schritt voran gebracht, bis hin zum Überwachungsstaat.
Es braucht eine Eruption, um die Ampel und ihre geistigen Förderer aus den Ämtern zu fegen.
Wir arbeiten dran.