Kampf um die Köpfe
Professoren können an deutschen Universitäten künftig deutlich mehr verdienen. Doch die Hochschulen stecken in der Kostenfalle: Zahlen sie ihren Stars höhere Gehälter, dann fehlt das Geld für die wissenschaftliche Elite von morgen
Treffen sich Kanzler und Rektoren deutscher Universitäten, dann werden neben Klagen über die Provinzialisierung der Bildungslandschaft durch die Föderalismusreform immer öfter auch Erfolgsgeschichten ausgetauscht: „Da sind einige mächtig stolz, dass sie plötzlich internationalen Spitzenuniversitäten Paroli bieten können – auch beim Gehalt“, hat Florian Buch beobachtet, Besoldungsspezialist am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh, der wichtigsten Reformwerkstatt für das deutsche Hochschulwesen. Mit der Reform der Professorenbesoldung im Jahr 2002 sind die Gehaltsgrenzen flexibler geworden. Zuvor bekam ein junger C3-Professor zu Beginn seiner Karriere im schlimmsten Fall ein Brutto-Grundgehalt von nur 2691,94 Euro im Monat (Westtarif), woraus bei entsprechender Karriere bis zur Pensionierung als C4-Professor maximal 6173,79 Euro werden konnten. Jetzt haben die Hochschulen mehr Spielraum nach oben, bis zu 10000 Euro pro Monat – und in Sonderfällen auch noch mehr – können sie ihren Top-Forschern im leistungsabhängigen System der neuen W-Besoldung bezahlen. Statt die Abwanderung der besten Kräfte als unvermeidliches Schicksal ihrer unterfinanzierten Staatsbetriebe zu akzeptieren, nehmen immer mehr Universitäten den Bieterwettstreit mit dem Ausland an. Erst kürzlich hatten finanzstarke Universitäten wie Princeton und die ETH Zürich das Nachsehen, die umworbenen Kandidaten entschieden sich für Hamburg, Frankfurt und Bielefeld.
Zum Glück für deutsche Hochschulen ist das Gehalt immer nur ein Faktor der Entscheidung. Denn wenn eine Spitzen-Universität der amerikanischen Ivy-League einen deutschen Lehrstuhlinhaber unbedingt haben will, dann zahlt sie notfalls auch 250000 Euro pro Jahr. Im internationalen Wissenschaftsbetrieb ist die idealtypische Vorstellung des Forschers, der allein durch Erkenntnisdrang motiviert ist und keine materiellen Ziele verfolgt, längst überholt. Für etablierte Mitglieder der Forschungselite ist das Gehalt ein relevanter Faktor der Karriereplanung, wie der Economist in typisch britischer Nüchternheit feststellt: „Professors may be attracted to the academy by great ideas but, once there, they respond to incentives as everyone else does.“
In den USA gleicht der Transfermarkt für Wissenschaftler inzwischen weitgehend den Strukturen im Baseball: Die Präsidenten der privaten Spitzen-unis sind ständig auf der Suche nach interessanten Neuverpflichtungen, welche die Attraktivität für die gut zahlenden Studenten, die Forschungsstärke und die Höhe der eingeworbenen Drittmittel ihrer Institution steigern können. Geld spielt in diesem „Battle for the Brains“ fast keine Rolle: Harvard alleine verfügt über ein Vermögen von rund 22 Milliarden US-Dollar. Das Jahresbudget der Spitzenuni bei Boston beträgt – ebenso wie das des Rivalen Stanford – zwei Milliarden Euro bei nur rund 10000 eingeschriebenen Studenten. Der trans-atlantische Vergleich ist ernüchternd. Die Berliner Humbold-Universität kann mit 210 Millionen Euro nur ein Prozent dieser Summe pro Jahr ausgeben – bei mehr als der dreifachen Studentenzahl. Die University of California in Berkeley -bekommt als beste staatliche Hochschule der Welt bei einer mit der HU Berlin vergleichbaren Studentenzahl allein 300 Millionen Euro pro Jahr von Absolventen und Mäzenen gespendet.
Es deutet viel darauf hin, dass deutsche Universitäten auf absehbare Zeit schlechte Karten im Kampf um die besten Köpfe haben werden. Eine Ausnahme bilden jene Fakultäten, die mit einem der 80 Institute der Max-Planck-Gesellschaft oder einer der 15 Großforschungseinrichtungen der Helmholtz-Gesellschaft kooperieren. Von den 278 Forschungsdirektoren der Max-Planck-Gesellschaft, die in der Regel auch eine Professur an einer deutschen Universität übernehmen, kommt mehr als ein Viertel aus dem Ausland. Für alle anderen Universitäten gilt, dass sie mit den neuen besoldungsrechtlichen Voraussetzungen zwar die rechtliche Möglichkeit zur Zahlung hoher Professorengehälter haben, sich an ihrer Finanznot jedoch nichts geändert hat.
Jeder Euro, der für das Gehalt einer Spitzen-kraft ausgegeben wird, muss daher an anderer Stelle wieder eingespart werden. CHE-Experte Buch geht davon aus, dass ohne eine Stärkung der Finanzkraft hiesiger Hochschulen die Spreizung der Einkommen von etablierten Wissenschaftlern und dem wissenschaftlichen Nachwuchs zunehmen wird. Um gleichzeitig die Attraktivität für etablierte Topforscher als auch für den talentierten Nachwuchs steigern zu können, müssten die Universitäten ihre Finanzausstattung deutlich verbessern. Die Mehrheit der Bildungsökonomen hofft, dass die zum Wintersemester 2006 in vielen Bundesländern bevorstehende Einführung von Studiengebühren ein erster Schritt in diese Richtung sein wird.
Das Problem des Braindrain, der „Abfluss der Gehirne“ durch die Auswanderung von Wissenschaftlern, betrifft vor allem die Elite von morgen, den wissenschaftlichen Nachwuchs. Etwa 20000 deutsche Wissenschaftler lernen, forschen und arbeiten derzeit in den USA, darunter rund 6000 Postdocs, die nach der Promotion an den besten Lehrstühlen und in den besten Laboren der Welt geblieben sind. Nach Studien des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft kommen vier von zehn Auslandsforschern nicht zurück. Dabei wollen 80 Prozent nach einigen Jahren eigentlich wieder in die Heimat, hat die German Scholars Organization (GSO), ein Interessenverband deutscher Forscher in den USA, in Umfragen ermittelt.
Katja Simons weiß, warum der Aderlass gen Amerika trotz Heimatliebe anhält, denn sie kämpft den Kampf um die besten jungen Köpfe an vorderster Front, in den USA. Als Projektleiterin von GAIN (German Academic International Network), einer Gemeinschaftsinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der Alexander von Humboldt-Stiftung, knüpft sie von einem Büro in New York aus systematisch Kontakte zu potenziellen Rückkehrern, um sie über Chancen in Deutschland zu informieren und bei der Stellensuche zu beraten. Vom Sinn des mühsamen Unterfangens ist sie überzeugt: „Es handelt sich um die Besten der Besten. Deswegen müssen wir uns auf alle Fälle um einen ‚Braingain‘ bemühen.“ Die Höhe des Gehalts ist laut Simons bei ihrer Zielgruppe aber in der Regel nicht der ausschlaggebende Faktor. Die umworbenen Forscher interessiere vor allem die Frage, ob die Stellen mit „tenure track“ ausgeschrieben sind. Planbarkeit und Perspektive stehen höher im Kurs als hohe Gehälter auf befristeten Positionen mit kurzer Laufzeit.
Die Vergabe von Nachwuchsstellen mit der Option, dass diese nach einer mehrjährigen Bewährungszeit in unbefristete Stellungen übergehen, ist in Deutschland noch die große Ausnahme. Anders als in den USA, wo knapp 30 Prozent aller Stellen der Assistant und Associate Professors mit „tenure track“ vergeben werden, sind es bei den auf sechs Jahre angelegten Stellen für Juniorprofessoren in Deutschland unter zehn Prozent. CHE-Experte Buch hat im Juni 2006 im Zuge einer Befragung von Hochschulen und Juniorprofessoren festgestellt, dass der Mangel an „tenure track“-Optionen der entscheidende Kritikpunkt an dem Programm ist. Trotzdem sieht er die Einrichtung der Juniorprofessur als Schritt in die richtige Richtung, um die Attraktivität der Wissenschaftskarriere in Deutschland wieder zu erhöhen.
Eine aktuelle Evaluation der DFG über die von 2002 bis 2004 vergebenen Juniorprofessuren bestätigt diese grundsätzlich positive Einschätzung: Von 786 besetzten Stellen wurden immerhin 110 an Bewerber aus dem Ausland vergeben. Vorreiter der Entwicklung ist die Humboldt-Universität zu Berlin. Hier hatten im Mai 2002 die bundesweit ersten zwei Juniorprofessoren ihre Stelle angetreten, bis 2006 wurden insgesamt 60 Nachwuchskräfte engagiert. Noch vor Ablauf der sechsjährigen Frist wurden sieben Nachwuchswissenschaftler auf eine Lebenszeitstellung in Deutschland berufen, zwei weitere Juniorprofessoren gingen vorzeitig an die Columbia University in New York und die Universität Oxford. Der Erfolg des Modells hat die Universität inzwischen dazu bewogen, die Konditionen weiter zu verbessern: Am 9.Mai beschloss der akademische Senat, dass an der HU ausgeschriebene Stellen für Juniorprofessoren grundsätzlich eine Tenure-Option umfassen. Auch die TU Kaiserslautern sowie die Universitäten in Oldenburg und Bremen setzen verstärkt auf Juniorprofessoren mit „tenure track“, um sich als attraktive Forschungsstandorte zu profilieren.
Reich werden die Juniorprofessoren während ihres sechsjährigen „training on the job“ für die Professorenlaufbahn freilich nicht: Das Brutto-Gehalt beträgt 3405,34 Euro im Westen (Ost: 3149,94) und entspricht damit in etwa einer vollen Stelle verbeamteter Gymnasiallehrer (A13 bzw. A14). Doch während deren Gehalt allein aufgrund des zunehmenden Lebensalters jährlich steigt, bleibt der Juniorprofessor während der sechsjährigen Bewährungsphase fast auf dem Niveau des Einstiegsgehaltes. Die erfolgreiche Zwischenevaluation nach drei Jahren wird mit 250 Euro pro Monat belohnt. Kein Wunder, dass die materielle Zufriedenheit der Stelleninhaber sehr von ihrer jeweiligen Disziplin und den damit verbundenen Gehaltsstrukturen abhängt. Während sich Geistes- und Sozialwissenschaftler in Evalutionen mit ihrer finanziellen Situation zufrieden zeigen, überwiegt bei Ingenieur- und Naturwissenschaftlern sowie den Humanmedizinern das Gefühl, nicht angemessen bezahlt zu werden. Die freie Wirtschaft zahlt für Absolventen dieser Disziplinen deutlich bessere Gehälter, sei es als Forscher in der Industrie, als Pharmavertreter oder in Berufen wie Investmentbanking und Unternehmensberatung. Von wenigen Ausnahmen abgesehen müssen Professuraspiranten, wenn sie sich gegen den „Wechsel mit Gewinn“ in die Privatwirtschaft entschieden haben, auch künftig eine unsichere Erwerbs- und Karriereperspektive aushalten können. Vielleicht hilft dabei das Motto, mit dem amerikanische Nachwuchswissenschaftler sich zum Durchhalten auf dem Weg nach oben anspornen: no guts, no glory – ohne Mut kein Ruhm.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.