Europa, du machst es besser!
Als Topmanager internationaler Konzerne machte Donald Kalff Erfahrungen, die den Ökonomieprofessoren und Managmentgurus fehlen. Er schrieb ein Buch darüber und warnt die europäischen Wirtschaftsführer, dem American Way of Business weiter kritiklos zu folgen.
Herr Kalff, haben Sie noch Freunde in den USA?
Ja, sicher. Aber einige werde ich wahrscheinlich verlieren, schätze ich. Mein Buch ist soeben in den USA erschienen.
Sie behaupten in Ihrem Buch, Europas Wirtschaft werde längerfristig gegen die amerikanische gewinnen. Eine gewagte These…
Ich habe viele Jahre als Mitglied der Konzernleitung der niederländischen Fluggesellschaft KLM gearbeitet. Bis 1990 war ich Manager bei Shell. Ich verfolgte danach sehr genau, wie Shell das amerikanische Unternehmensmodell vollständig übernahm – mit schrecklichen Konsequenzen. Weil ich die Interna kenne, ist mir heute klar, dass wir die angelsächsische Art, Geschäfte zu führen, nicht kritiklos akzeptieren dürfen.
Worin liegt der Hauptunterschied zwischen amerikanisch und europäisch geführten Unternehmen?
US-Unternehmen finanzieren sich zu 75 Prozent über den Aktienmarkt. Das bedeutet eine enorme Abhängigkeit und zwingt das Management, rein profitorientiert zu arbeiten. Die Stichworte sind Performance und Gewinnmaximierung. Das ist aber etwas ganz anderes als die effektive Steigerung des Unternehmenswerts. Und genau darauf kommt es an.
Die Basis europäischer Unternehmen ist doch gleichfalls die Gewinnorientierung.
Natürlich ist der Gewinn ein wesentlicher Faktor. Aber die Profitmaximierung als ultimatives Ziel und die Fixierung auf den Return on Investment der Shareholder als Hauptaufgabe des Managements sind eine gefährliche Kombination, wenn man bedenkt, dass Manager kurze Vertragsfristen haben und zwei Drittel ihres Einkommens vom Aktienkurs des eigenen Unternehmens abhängen. Wir haben es erlebt und erleben es immer wieder: Enron, General Motors, Citigroup, J.P.Morgan, Arthur Andersen, WorldCom – das alles sind nicht nur Betriebsunfälle. Der Niedergang dieser Unternehmen ist systembedingt.
In Europa lassen sich ähnliche Beispiele nennen.
Natürlich. Vivendi in Frankreich, Ahold in den Niederlanden. Oder Daimler-Chrysler in Deutschland.
Und was belegen diese Beispiele nach Ihrer Meinung?
All diese Unternehmen – es sind noch viel mehr – haben versucht, amerikanischer als die Amerikaner zu sein. Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und sagen: Die paar faulen Äpfel haben wir aussortiert. Man muss sich mit den Ursachen beschäftigen. Unsere Manager müssen endlich aufwachen.
Wo fangen wir mit dem Wecken an?
Europäische Unternehmen finanzieren sich nur zu 25 Prozent über die Börse. Das ist ihre große Chance. Sie sind unabhängiger und flexibler. Bei den dauernd wechselnden Bedingungen auf den Weltmärkten ist das essenziell. In Europa haben wir eine breite Palette von Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen.
Welche Vorteile ergeben sich daraus?
Die Vielfalt der Finanzierungsalternativen erleichtert den Unternehmen, andere Formen des Managements, der Organisation, der Planung, der Selektion und Entlohnung von Managern zu wählen. Die Unternehmen können jene Fallstricke umgehen, denen sich börsenorientierte Unternehmen pausenlos ausgesetzt sehen.
Wir haben bisher gelernt: Die Börse ist die notwendige Peitsche des Erfolgs.
Das ist ein Irrglaube. Das amerikanische Businessmodell kennt nur eine einzige Variante und die wird zu hundert Prozent vom Kursverlauf und von den Aktienmärkten bestimmt. Das macht diese Unternehmen viel anfälliger und bei genauem Hinsehen überhaupt nicht effizienter. Die Behauptung ist Quatsch, europäische Unternehmen wären auf den Weltmärkten weniger konkurrenzfähig. Völliger Quatsch!
Wirklich? Das Wachstum der europäischen Wirtschaft ist geringer, die Arbeitslosigkeit höher.
Das muss man sehr genau anschauen. Man sagt uns: Die US-Wirtschaft ist eine Jobmaschine. Die Fakten belegen das nicht. 1997 bis 2000 wuchs der US-Arbeitsmarkt um 0,8 Prozent, der von Euroland aber um 1,4 Prozent. Während der Rezession von 2001 wurden so viele Jobs in den USA vernichtet, dass auch nach über vier Jahren das Nettoresultat noch immer negativ ist.
Und die Produktivität?
In Europa stieg sie über Jahrzehnte hinweg stärker als in den USA. Das wissen bei uns seltsamerweise nur wenige.
Moment. Seit 1995 ist die Produktivität der europäischen Wirtschaft geringer als die der USA.
Aber nur geringfügig. Welche Schwierigkeiten hatten wir denn seitdem zu bewältigen? Bei allem Globalisierungsdruck haben wir einen funktionierenden Binnenmarkt geschaffen und zugleich ehemals kommunistische Wirtschaftssysteme integriert. Zudem haben wir in zwölf Ländern eine gemeinsame Währung gestemmt. Das sind gewaltige Leistungen und das ist ja erst der Anfang.
Dass dies alles den Amerikanern erspart blieb, kann man ihnen nicht vorwerfen.
Natürlich nicht. Aber wenn man Vergleiche zur ökonomischen Leistungsfähigkeit anstellt, muss man das schon berücksichtigen. Die USA haben eine einzige Sprache, wir haben fast zwanzig verschiedene Sprachen. Sie haben ein einheitliches Rechtssystem, voll integrierte Produktions- und Dienstleistungsmärkte, einen extrem flexiblen Arbeitsmarkt.
Auch das kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen.
Nein, aber es bedeutet, dass die US-Wirtschaft angesichts der genannten substanziellen Vorteile weit vor der Wirtschaft Europas liegen müsste. Das ist aber nicht der Fall. Der Euro hat sich in nur fünf Jahren als zweite stabile Weltwährung etabliert. Der Dollar brauchte dafür 150 Jahre. Unser Bruttoinlandsprodukt ist größer als das amerikanische. Auf den Weltmärkten ist die EU der größte Teilnehmer.
In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Verfechter des amerikanischen Wirtschaftsmodells vertreten unter dem Mantel von Recht und Ordnung das Gesetz des Dschungels.“ Es klingt fast, als wären Sie Mitglied von Attac.
Ach, hören Sie doch auf! Es geht hier nicht um Ethik, Moral oder irgendwelche Glaubenssätze. Es geht ausschließlich um Ökonomie, Management und eine völlig ideologiefreie Analyse. Das muss man immer wieder betonen.
Die US-Wirtschaft zieht jetzt aber unzweifelhaft stärker an als die europäische.
In der jüngeren Vergangenheit gab es zwei markante Steuersenkungen in den USA. Die Zinssätze wurden außerdem von 6,5 auf ein Prozent gesenkt. Gleichzeitig wuchsen die Staatsausgaben rasant. Die Konsumenten hören zu sparen auf, verschulden sich wieder massiv, weil sie dank höherer Liegenschaftswerte mehr Kredit von den Banken leihen können. Das hat aber mit einer angeblich wachsenden Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nichts zu tun.
Warum nicht? Es wird mehr produziert und gekauft.
Diese Entwicklung brachte den US-Unternehmen zwar eine Kapitalspritze von hunderten Milliarden Dollar, aber die Amerikaner erkauften sich diese Erholung zu einem furchtbaren Preis. Die Bilanz der USA als Nation ist in Wahrheit ruinös. In den USA gibt es heute keine Manager mehr, die je etwas anderes kennen gelernt hätten als das, was George Bush senior einmal „Voodoo Economics“ genannt hat.
Voodoo Economics?
Er meinte das „Anything goes“ der Reagan-Ära, wo eine enorme Überschuldung des Staates und eine negative Sparrate der Konsumenten in Kauf genommen wurden. Unter dem Mantel von immer neuen Regeln, von Anständigkeit und Recht, geht es heute genauso weiter. Die riesige Überschuldung finanziert das Ausland. 60 Prozent der gesamten Dollarbestände befinden sich heute in den Händen Südkoreas, Japans und Chinas. 60 Prozent! Das ist nicht das Bild einer souveränen Wirtschafts- und Weltmacht, die sich bewusst wäre, wohin sie steuert.
Aber jetzt mal ehrlich: Frankreich und Deutschland flößen derzeit der Welt als Wirtschaftsnationen auch nicht gerade Vertrauen ein.
Deutschland ist in einer schwierigen Umbruchphase. Bisher herrschte ein korporatistisches System, das auf starken Arbeitgeberorganisationen, Gewerkschaften und dem Staat als Partner beruht. Das hat sich vor allem in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg so herausgebildet. Die Deutschen wissen, dass sie umsteuern müssen, glauben aber, keine andere Alternative als das angelsächsische System zu haben.
Und: Haben sie eine?
Sie haben eine ganze Palette von unterschiedlichen Finanzierungs- und Businessmodellen, die sie nicht in die völlige Abhängigkeit von Börsen und Aktienkursen bringen. Nur müssen sie angewandt werden. Es ist im Übrigen ermutigend, dass deutsche Unternehmen, vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen, ihre Produktivität in den vergangenen vier Jahren um fast 30 Prozent gesteigert haben.
Nach Ihrer Erfahrung als Manager in amerikanisch geprägten Unternehmen: Wo sehen Sie die wesentlichen Chancen für den europäischen Weg?
Amerikanische Manager sind Control Freaks. Sie müssen es sein, weil ihre Unternehmen zentralistisch und von oben nach unten funktionieren. Der CEO ist im Unternehmen alles. Seinerseits ist er völlig von den Shareholdern abhängig. Er konzentriert daher sein Engagament vollständig auf diese. Das Modell funktioniert aber nur mit immer strafferen Regeln und immer mehr Steering Committees und Compliance Officers.
„Compliance“ heißt laut Wörterbuch „Zustimmung“, aber auch „Unterwürfigkeit“.
Letzteres trifft den Punkt. Sämtliche Funktionen sind hochgradig standardisiert. Die Mitarbeiter sind daher bis ins oberste Management leicht austauschbar. Das hat Vorteile, weil der Personalbestand rasch der Marktlage angepasst werden kann, was auch häufig geschieht. Dabei geht allerdings jedesmal enormes Know-how verloren. Diese Verluste von Humankapital tauchen in keiner Bilanz auf.
Wo genau liegt hier der Unterschied zu europäischen Modellen?
Diese sind viel stärker auf Partizipation ausgerichtet. Einzelne Unternehmensbereiche haben eine sehr viel größere Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Das setzt starkes Vertrauen in die Mitarbeiter voraus und in Grundprinzipien, die von allen im Unternehmen akzeptiert werden. Ökonomischer Wert wird von den Mitarbeitern im Unternehmen erzeugt und nirgendwo sonst: in Entwicklung, Produktion und Verkauf. Das funktioniert nur auf einer partnerschaftlichen Basis.
Europäische Manager als große Menschenfreunde?
Darum geht es doch gar nicht. Partnerschaft wird nicht deswegen hochgehalten, weil europäische Manager besonders menschenfreundlich wären, sondern weil es bei dezentralen Strukturen gar nicht anders geht.
Die Schwäche europäischer Unternehmen war aber die mangelhafte Kontrolle durch die Aufsichtsräte.
Stimmt. Es fehlte die Corporate Governance, die für Checks and Balances sorgt. Da hat man in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht.
Das Gespräch führte Fred David
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