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() Stalin mit Swetlana.
Zu Besuch bei Stalins Tochter

Sie war Stalins geliebte Tochter – und litt doch ihr ganzes Leben darunter, Kind des Diktators zu sein. Seit ihrer Flucht aus der Sowjetunion lebt Swetlana Allilujewa unter neuem Namen beim einstigen Klassenfeind USA. Eine Spurensuche in Wisconsin.

Mit der Erinnerung an den Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“ erlebt Josef Stalin eine ungeahnte Renaissance. Die Feierlichkeiten am 9. Mai 2005 zeigten Stalins Veteranen mit stolz geschwellter, ordenbehangener Brust, denen die ganze Welt ihren Respekt zollt für ihren heldenhaften Kampf gegen den Nationalsozialismus. Eine Frau hätte an dieser Feier ebenfalls teilnehmen können: Swetlana Allilujewa, Stalins Tochter. Ihr Schicksal war es, in eine Familie und eine Zeit hineingeboren zu sein, die als die Ära eines der schlimmsten Despoten der Geschichte Russlands gilt. Doch Swetlana Stalina Allilujewa gelang es, aus dem Käfig auszubrechen und das eigene Leben in die Hand zu nehmen, wenn auch spät, mit Rückschlägen, Momenten der Verzweiflung, großer Unruhe, aber auch mit grenzenlosem Glück. Nach ihrer spektakulären Flucht aus der Sowjetunion in den sechziger Jahren über Indien in die USA, der Veröffentlichung ihrer Bücher „Zwanzig Briefe an einen Freund“ und „Das erste Jahr“ ist es still um sie geworden. Seit Jahren gibt sie keine Interviews mehr. Nach jahrelanger Recherche gelang es mir dennoch, im vergangenen Jahr herauszufinden, wo sie heute lebt. Ich traf also mit Stalins Tochter zusammen, einer kleinen Dame, 79 Jahre alt, deren Verstand hellwach ist, deren immer noch strahlend blaue Augen blitzten und die mich mit großer Herzlichkeit empfing. Unter dem Namen ihres geschiedenen amerikanischen Ehemannes lebt Lana Peters in einem Altersheim im US-Bundesstaat Wisconsin. Sie wirkt mit ihrem jetzigen Leben ganz zufrieden. Ihr Geist ist rege, sie spricht ein sehr gepflegtes Englisch, ist humor- und temperamentvoll. Von Gestalt ist sie sehr klein, was man nicht erwartet, wenn man sie von Fotos kennt. Sie erinnert sich gerne daran, dass sie bereits mit vier Jahren deutsche Kindergedichte auswendig konnte. Ihr Wunsch war es, einmal dorthin zu reisen, woher ihre Urgroßmutter Maria Margaretha Aichholz stammte, nach Wolfsölden bei Backnang in Württemberg. Auf ihre deutschen Wurzeln ist sie immer noch sehr stolz. Ansonsten sieht sie ihre Wurzeln in Georgien, nicht in Russland. Sie sagt: „Das Beste, was ich je in meinem Leben gemacht habe, war, die UdSSR zu verlassen.“ Drei Tage durfte ich mit ihr verbringen, sie fotografieren und auch filmen. Doch das Wichtigste waren die stundenlangen Gespräche, Fragen, die sie mir bereitwillig beantwortete – zumindest solange man ihren Vater nicht erwähnte. Als kleines rothaariges Mädchen, das sehr Stalins Mutter glich, liebte sie ihren Vater. Die Loyalität erlebte Brüche, als die Heranwachsende mitbekam, dass ihr Vater telefonisch den Mord eines großen Schauspielers anordnet und ihn als Autounfall vertuschen ließ. Den Selbstmord ihrer Mutter empfindet sie heute gänzlich anders als sie dies zuvor in ihren Büchern beschrieben hatte. Bisher bedauerte sie ihre Mutter, dass diese mit dem Leben an der Seite ihres despotischen Vaters nicht zurechtkam. Heute empfindet sie eine große Wut auf ihre Mutter, die ihre beiden Kinder und ihren Ehemann im Stich gelassen habe. Der Selbstmord war für alle schrecklich. „Für ihre Eltern, ihren Mann, schwer für ihre Kinder, und es war eine Katastrophe für das ganze Land, wie man später sah.“ Ihr Vater ließ damals alles entfernen, was an seine Frau erinnerte und lebte fortan nicht mehr im Kreml. Die Betreuung Swetlanas und ihres Bruders übernahm der Staatssicherheitsdienst. Das Ausmaß an Brutalität den eigenen Familienmitgliedern gegenüber, die plötzlich zu „Feinden des Volkes“ geworden waren, sieht Swetlana im engen Zusammenhang mit dem Selbstmord ihrer Mutter. Als ich den Schriftsteller Aleksej Kapler erwähne, strahlt Swetlana: ihre erste große Liebe, vom Vater brutal zerstört. Aus Trotz heiratet sie den Studenten Grigorij Morosow, einen Juden wie Kapler. Unter ihrem Vater entstand der Antisemitismus auf neuer Grundlage, vor allem in der Partei. „Mein Vater unterstützte den Antisemitismus nicht nur, er hat ihn selbst hervorgebracht.“ Kaplers Schicksal war schrecklich – in seinem Judenhass ließ Stalin ihn zehn Jahre lang einsperren. Ihre zweite Ehe ging Swetlana auf Wunsch ihres Vaters mit Jurij Schdanow ein, Sohn von Stalins berüchtigtem Stellvertreter. In der ersten Ehe wurde der Sohn Josef (heute Arzt in Moskau), in der zweiten Ehe die Tochter Katja (Meeresbiologin in Sibirien) geboren. Auch diese Ehe wurde bald wieder geschieden. Swetlana kann ihrem Vater viel verzeihen, nicht aber die Tatsache, dass er Mitglieder seiner eigenen Familie einsperren und umbringen ließ. Ich hatte immer versucht herauszufinden, wie viel sie von dem Leid in der eigenen Familie wusste. Heute sagt sie, dass alle in der Familie ihrer Mutter und der Familie von Stalins erster Frau im Bild gewesen seien. Dass sie tagelang weinte, weil wieder eine geliebte Tante plötzlich wie vom Erdboden verschwunden war, das habe ihren Vater nicht interessiert. Sein Morden sei fürchterlich gewesen. Der Tod ihres Vaters markierte den großen Einschnitt in Swetlanas Leben. Sie sah ihn sehr realistisch, beobachtete, wie ihn nach und nach alles Menschliche verließ und er immer mehr zu einem finsteren Monument seiner selbst wurde. „Das Sterben des Vaters war furchtbar und schwer“, sagt Swetlana. Als sie endlich zu ihrem schwerkranken Vater vorgelassen wurde, hielt sie seine Hand und hoffte, dass er sie noch erkennen würde. „Und dann tat er mir sehr leid. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich keine gute Tochter gewesen war. Und dieser hilflose alte Mann war mein Vater, der mich einmal geliebt hatte.“ Swetlana, ihr Sohn Josef, ihre Nichte Galja sowie ihr Bruder Wassilij nahmen an der aufwändigen Beerdigung teil. Nur noch ein einziges Mal besuchte Stalins Tochter die Ruhestätte ihres Vaters im Mausoleum, nie war sie später an der Kreml-Mauer, wohin ihr Vater 1961 umgebettet werden musste, nachdem er durch die Entstalinisierung seinen Glorienschein verloren hatte. Das heutige Geschehen in der Sow-jetunion interessiert sie kaum noch. Bis heute schätzt sie Nikita Chruschtschow. Als dieser auf dem XX. Parteitag der KPdSU im April 1956 in einer dramatischen Sondersitzung die ungeheuerlichen Gräueltaten Stalins in einer eindrücklichen Rede anprangerte, kannte Swetlana diese schon. Chruschtschow hatte sein Manuskript am Tag zuvor Stalins Tochter zum Lesen gegeben – er wollte ihr den Schock ersparen und verhindern, dass sie Verbrechen des Vaters aus der Zeitung erfuhr. In der unter Chruschtschow einsetzenden Heimkehrerwelle kamen viele „wunderbaren Frauen“ zurück, die Swetlana kannte. „Niemand von ihnen sah mich schräg an, oh, das ist die Stalin-Tochter, lasst uns einen großen Bogen um sie machen. Niemand beschuldigte mich, dass ich irgendeine Beziehung zur Politik gehabt hätte.“ Aus ihrem Mund hört man nie das Wort Gefängnis, Lager oder Konzentrationslager. Wenn sie erzählt, wer alles während der Schreckensherrschaft ihres Vaters inhaftiert wurde, spricht sie stets von „Exil“. Spricht man Swetlana direkt auf ihren Vater an, sagt sie: „Erwähnen Sie seinen Namen nicht. Lassen Sie meinen Vater in Frieden ruhen.“ Als ich doch immer wieder seinen Namen erwähne, beginnt sie zu laut zu schreien und heftig zu gestikulieren: „Fragen Sie mich nie, nie, nie wieder nach meinem Vater.“ Martha Schad ist Historikerin und lebt bei Augsburg. Ihr Buch: „Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa“ erschien 2004 im Lübbe Verlag

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