- Der Kunde ist kein König
Unternehmen preisen ständig ihren Service und ihre Dienstleistungen. Dabei lautet die Strategie immer öfter: Der Kunde soll die Dienste am besten selbst leisten!
Die Deutsche Bahn, ja selbst bei denen kommt das vor, hatte einmal eine gute Idee: Sie hieß Call-a-Bike. Wer sich bei Ihnen registrierte, seine Kreditkartennummer angab und ein Mobiltelefon besaß, konnte in mehreren deutschen Großstädten Fahrräder ausleihen, die über die Stadt verteilt an Straßenecken standen. Man musste nur anrufen, bekam einen Code, um das Schloss öffnen zu können, fuhr zu seinem Ziel, stellte das Rad an der nächstgelegenen Kreuzung ab und hinterließ die Koordinaten auf einer Mailbox. Und das alles für ein paar Cent pro Minute.
Seit diesem Jahr ist alles anders. Die Fahrräder stehen an festen Stationen und können nur dort ausgeliehen und abgegeben werden. Die Minutenpreise haben sich verdoppelt, gegen einen Pauschaltarif von 36 Euro pro Jahr fährt man allerdings die ersten 30 Minuten bei jeder Ausleihe gratis. Trotzdem hat das System seinen ganzen Charme verloren: Der Kunde kommt nicht mehr problemlos von A nach B und das Einsatzgebiet der Räder ist stark eingeschränkt worden: In Berlin befinden sich alle Ausleih- und Rückgabestationen im Bezirk Mitte, während der Kunde beim alten System die Räder innerhalb des gesamten Berliner S-Bahnrings nutzen konnte, der sich von Charlottenburg bis Friedrichshain und vom Wedding bis nach Tempelhof erstreckt.
Vielleicht komme ich jetzt langsam in das „Früher-war-alles-besser“-Alter, aber mir scheint die Umstellung von Call-a-Bike nur ein Beispiel dafür zu sein, dass Unternehmen ihre Produkte oder ihren Service ständig verschlechtern und eigene Aufgaben auf den Kunden abwälzen. Weitere Beispiele gefällig? In vielen gastronomischen Einrichtungen muss man heutzutage als Gast die Aufgaben übernehmen, die früher von der aussterbenden Berufssparte der Kellner übernommen wurden. Preismindernd hat sich der Trend zur Selbstbedienung allerdings nicht ausgewirkt. Früher konnte man einfach in die USA fliegen und dort mit seiner deutschen Kreditkarte bezahlen. Heute muss man als Kunde der Deutschen Bank dieser mitteilen, dass man gedenkt, demnächst eine Woche Ferien in New York zu machen. Mit ein bisschen Glück kann man die Karte dann auch den ganzen Urlaub einsetzen. Wer das nicht weiß, muss vor Ort versuchen, über eine deutsche Service-Hotline seine Kreditkarte zu entsperren und erfährt dabei, dass dies doch alles nur zu seiner Sicherheit geschehe und er doch auf einem seiner Kontoauszüge vor geraumer Zeit auf die entsprechende Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufmerksam gemacht worden sei. Dass die Sicherheit der Zahlungssysteme eigentlich überwiegend in Ihren Bereich fällt und sie sich wirksame Methoden zu deren Durchsetzung überlegen sollte, scheint den Banken und Kreditkartenunternehmen nicht in den Sinn zu kommen. Ist ja auch viel praktischer und billiger, die Verantwortung auf den Kunden abzuwälzen.
Man könnte mit der Aufzählung solcher Beispiele stundenlang fortfahren: Warum gibt es nur noch lackierte Stoßstangen und Rückspiegel mit eingebauten Blinkern? [SEITE
]Sind das die Innovationen, nach denen der Kunde lechzt oder bringen sie den Autobauern nicht einfach nur mehr Geld weil Reparatur und Ersatz entsprechend teurer sind? Oder warum kann man bei jeder Airline der Welt innerhalb von Sekunden einen Flug online buchen, muss aber Briefe schreiben, wenn man den Ticketpreis erstattet bekommen möchte, wie ein Kollege des Economist erstaunt in dem Blog „Business Travel Gulliver“ berichtet. Per Email ginge das nicht, teilt ihm ein Mitarbeiter von British Airways am Telefon mit, weil sie keine Attachements öffnen könnten, daher eingescannte Dokumente nicht geprüft werden könnten. Als Alternative zum Brief schlug der BA-Mitarbeiter vor, ein Faxgerät zu nutzen, wozu der Economist-Autor süffisant anmerkt, dass er eine solche Maschine zuletzt in einer Episode der „Feuersteins“ gesehen habe. Jeder, der hierzulande versucht, seinen Handyvertrag zu kündigen oder eine Geschäftsbeziehung mit seinem Internetanbieter zu beenden, hat schon vergleichbare Erfahrungen gemacht.
Dass man auch anders mit seinen Kunden umgehen kann, ohne gleich in diese hysterische, aus den USA kommende „How are you today“-Freundlichkeit zu verfallen, beweist ein Kaufhaus für italienische Spezialitäten in New York namens „Eataly“. Auch wenn man über die Originalität des Namens sicher streiten kann, verfolgt der riesige Laden, der zum Restaurant- und Gourmetimperium des New Yorker-Spitzenkochs Mario Batali gehört, eine Philosophie, die mich sofort überzeugt hat. Am Eingang hängen große Banner, auf denen drei Sätze stehen: 1. Der Kunde hat nicht immer recht. 2. Eataly auch nicht. 3. Wenn wir das akzeptieren, erreichen wir Harmonie.
Wie gut diese Philosophie funktioniert, spürte ich, als ich an die Kasse kam. Die Kassiererin betrachtete unschlüssig eine Knoblauchzehe und fragte mich dann: „Do you know, what kind of onion this is?“ Mein erster Gedanke: Eine Verkäuferin in einem italienischen Spezialitätenkaufhaus weiß nicht, wie Knoblauch aussieht? Doch dann hörte ich mich freundlich antworten: „Garlic.“ Sie lächelte und sagte: „Ah, that is garlic.“ Ein Moment großer Harmonie.
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