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Mondmieten für Bruchbuden
Der Wohnungsmarkt für Hartz-IV-Empfänger hat sich zu einem Riesengeschäft entwickelt. Spezialisierte Vermieter nutzen Regelungslücken schamlos aus und erzielen Quadratmeterpreise wie in Villengegenden.
Wer die Kellertreppe zu Georg Scuba hinuntergeht, hält instinktiv den Atem an – die Luft ist muffig-feucht. Rechts auf dem Flur eine Reihe von Holzlatten-Kellern, links seine Wohnungstür. Seit vier Jahren lebt er hier. Damals war er als Obdachloser froh, in den anderthalb Zimmern am Billhorner Deich im Hamburger Arbeiterviertel Rothenburgsort Unterschlupf zu finden. Jetzt will er wie fast alle Mieter des Wohnblocks so schnell wie möglich raus. Scuba glaubt, dass ihn das Kellerloch krank macht: kaum Tageslicht, Schimmel, der den Putz zerfrisst und vor allem die Ratten. Als er sich bei der Grundstücksverwaltung beschwerte, gab man ihm einen Teller mit Rattengift, statt ihm eine andere Wohnung anzubieten.
Der Wohnblock gehört dem inzwischen von allen Ämtern zurückgetretenen Hamburger CDU-Politiker Thorsten Kuhlmann. Sein Geschäftsmodell: Einen Großteil seiner 500 Wohnungen in schlechten Wohnlagen vermietet er an HartzIVBezieher. Für das 30 Quadratmeter große Wohnloch, früher ein Kohlenkeller, zahlt die Arbeitsvermittlung monatlich 296 Euro Kaltmiete. Das ergibt einen Quadratmeterpreis von knapp zehn Euro. Dafür kann man im Alster-nahen, feinen Stadtteil Uhlenhorst eine Wohnung finden.
Solche Mondmieten für Bruchbuden sind Folge von Fehlanreizen und uneinheitlichen Verwaltungsvorschriften bei den HartzIVRegeln. Die sind so unbestimmt formuliert, dass dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet sind und die Sozialgerichte überlastet werden. Einige Hauseigentümer, Makler und Mietberater haben sich inzwischen auf den Markt mit billigen Wohnungen spezialisiert – selbst städtische Wohnungsbaugesellschaften mischen bei dem Spiel munter mit, zulasten der öffentlichen Haushalte. Die Mieten werden bis zur Höchstgrenze angehoben, zusätzlich wird bei den Nebenkosten getrickst.
Und der Hartz-IV-Wohnungsmarkt ist riesig: 13 Milliarden Euro haben der Bund und die Kommunen 2009 für Mieten, Betriebs- und Heizkosten der Hartz-IV-Empfänger gezahlt. Der Staat hat sich damit zum größten Mieter der Republik gemausert, nutzt seine Marktmacht aber bisher kaum aus.
Wie beliebt die ALGIIEmpfänger als Mieter sind, zeigt ein Blick in Immobilienbörsen im Internet: Da bieten Makler „HartzIVgeeignete Drei-Zimmer-Wohnungen“ an, Vermieter heißen „HartzIVEmpfänger“ ausdrücklich „willkommen“ oder preisen Wohnungen an, bei denen „Miete und Kaution voll vom Amt übernommen werden“.
Den Grund dafür benennt der Berliner Immobiliensachverständige Andreas Habath: „Sie erzielen so Mieten, die auf dem normalen Mietmarkt in solchen Wohnlagen überhaupt nicht zu erreichen wären.“ Außerdem gehen die Vermieter keinerlei Risiko ein, weil der Staat für Mietrückstände haftet. Die Achillesferse des Systems ist für Habath offensichtlich: „Für die Miethöhe von Hartz-IV-Wohnungen spielen bei Neuvermietungen Mietspiegel, aktuelle Marktmiete und Quadratmeterzahl der Wohnung keine oder nur eine untergeordnete Rolle.“ In der Praxis ausschlaggebend sind allein die von den Städten, Kommunen und Landkreisen festgesetzten Mietobergrenzen. In über 260 Verwaltungsvorschriften ist so bundesweit ein bürokratischer Wildwuchs voller Widersprüche entstanden. Für die zuständigen Jobcenter ist offenbar alles „angemessen“ im Sinne des Gesetzes, was nicht die örtliche Obergrenze überschreitet. Eine weiter gehende Kontrolle findet selten statt. Für manche Vermieter ist das eine Einladung zu Missbrauch und Betrug.
Davon kann der Berliner Sozialrichter Michael Kanert ein Lied singen. In einem Viertel aller Prozesse, die am Berliner Sozialgericht verhandelt werden, wird um die Kosten der Unterkunft gestritten. Kanert kennt inzwischen fast alle Tricks. Beliebt ist es, mit zwei Mietverträgen zu arbeiten: Einem echten über 200 Euro und einem Scheinvertag zur Vorlage beim Jobcenter, in dem die Miete knapp unter der Höchstgrenze für Einpersonenhaushalte von derzeit 378 Euro liegt. „Die Differenz teilen sich dann Mieter und Vermieter“, sagt Kanert.
Wie man die Mieteinkünfte noch weiter steigern kann, erläutert Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins: „Die Vermieter setzen die Nettokaltmiete so hoch an, dass am Ende des Jahres Nachzahlungen bei den Heizkosten in Höhe von 600 bis 1000 Euro entstehen.“ Da der Berliner Senat die Übernahme dieser Nachforderungen garantiert hat, kann der Vermieter so 50 bis 80 Euro im Monat zusätzlich erzielen.
Skandalös findet Sozialrichter Kanert, dass in Berlin nicht nur private Hauseigentümer, sondern auch städtische Wohnungsbaugesellschaften die Grenzen des Sozialstaats zu ihren Gunsten auszureizen versuchen: „Das geht zulasten des Berliner Haushalts und der Jobcenter-Kassen“, sagt Kanert. Seit Jahren könne man beobachten, wie jede Erhöhung der Obergrenzen ausgenutzt wird, um die Mieten schnell nach oben anzupassen.
Wie solche Mietverträge frisiert werden, zeigen beispielhaft fünf Untermietverträge, die die gemeinnützige Berliner Treberhilfe mit Obdachlosen abgeschlossen hat und die von Jobcentern bezahlt werden. Die Miete zweier 2009 abgeschlossener Verträge liegt bei 370 und 378 Euro – einmal eine Punktlandung beim HartzIVHöchstsatz und einmal acht Euro weniger. Die 2008 abgeschlossenen Verträge bewegen sich zwischen 343 und 356 Euro Miete – also knapp unter dem damals geltenden Höchstsatz von 360 Euro. Der Sachverständige Andreas Habath hat mithilfe der Mietverträge aufgrund von Größe, Lage und Bauperiode überprüft: „Die Nettokaltmiete liegt hier zwischen 27 und 51 Prozent über dem Mietspiegel.“ Zusätzlich sei an den Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen gedreht worden. Die Treberhilfe verteidigt die „Ausschläge“ in den Mietverträgen „mit gestiegenen Betriebskosten, dem Mieterverhalten und regulären Mietsteigerungen“.
In Hamburg, wo der Wohnungsmarkt insgesamt umkämpfter ist als in Berlin, treten dieselben Verwerfungen auf – nur in verschärfter Form. Das hat zur Folge, dass die Marktmacht der Vermieter billigen Wohnraums noch größer ist. So vermietet Thorsten Kuhlmann grundsätzlich nur an HartzIVBezieher, die vorab ihre Ansprüche auf Miete und Nebenkosten an ihn abtreten. Auf diese Weise kassiert er das Geld direkt von der ARGE Hamburg. Nach den Verwaltungsvorschriften soll dies nur in Ausnahmefällen zulässig sein, beispielsweise bei Überschuldeten und Obdachlosen. Jobcenter und Sozialbehörde machen für Kuhlmann die Ausnahme zur Regel, weil sie über jeden Hilfsempfänger froh sind, der ein Dach über dem Kopf hat.
Nun hat Kuhlmann es aber möglicherweise übertrieben. Das ARGETeam Hamburg hat jedenfalls Strafanzeige wegen Betrug und Mietwucher gegen ihn gestellt, weil er in mindestens fünf Fällen in Mietverträgen falsche Angaben über die Quadratmeterzahl der Wohnung gemacht und dadurch möglicherweise überhöhte Mieten kassiert hat. Nach Feststellungen der ARGE hat Kuhlmann in den Mietverträgen bis zu 50 Prozent höhere Quadratmeterzahlen angegeben. Bei einer Wohnung im Stadtteil Eilbek ergab sich so eine Nettokaltmiete von über 14 Euro pro Quadratmeter. Trotzdem wird es für die Staatsanwaltschaft nicht einfach werden, ihn des Betruges zu überführen. Denn nach der Hamburger „Fachanweisung“ für die Kosten der Unterkunft spielt die Quadratmeterzahl bei der Festsetzung der Miethöhe keine Rolle. Das heißt: Kuhlmann hätte dieselbe Miete fordern können, ohne über die Größe zu täuschen. Er selbst wollte zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen.
Neben hohen Mieten für Bruchbuden fußt das Geschäftsmodell von Kuhlmann und Co darauf, dass Renovierungen entweder gar nicht oder so billig wie möglich ausgeführt werden. Marianne W., ebenfalls im Billhorner HartzIVWohnblock zu Hause, beschwert sich seit Wochen erfolglos bei der Hausverwaltung über ihre „Wohnruine“: Im Bad hat sie kein Waschbecken, sodass sie die Zähne unter der Dusche putzen muss; das Wasser für das Spülbecken in der Küche muss sie mit einer Zange aufdrehen; die elektrischen Leitungen sind so alt, dass es immer wieder zu Kurzschlüssen kommt; wenn der Mieter in der Etage darüber duscht, fängt es an zu tropfen; der Briefkasten ist schon seit Jahren nicht mehr abschließbar, sodass Marianne W. in ständiger Sorge lebt, dass ihr HartzIVScheck gestohlen wird.
In Berlin und Hamburg haben einige Politiker die Probleme inzwischen erkannt. Daniel Buchholz, Leiter des Arbeitskreises Stadtentwicklung in der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, räumt ein: „Jede Anhebung der HartzIVMietobergrenze führt zu einem hundertprozentigen Mitnahmeeffekt, sowohl bei privaten als auch bei öffentlichen Wohnungseigentümern.“ Viel gravierender sind jedoch die Fehlanreize des Systems auf die Mietpreisentwicklung im preiswerten Marktsegment insgesamt. „Weil die Erhöhungen sich sofort in den Mietspiegeln niederschlagen“, hat Buchholz beobachtet, „geht auch das allgemeine Mietniveau im preiswerten Segment nach oben.“ Verschärft wird diese Entwicklung noch durch eine Entscheidung des Berliner Senats, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus auslaufen zu lassen. In Berlin haben Geringverdiener deshalb zunehmend Probleme, bezahlbare Wohnungen zu finden, weil sie nicht so viel wie die HartzIVMieter zahlen können. Absurde Folge: Ihnen müssen die Jobcenter jetzt auch bei der Miete unter die Arme greifen – mit Wohngeld und durch Aufstocken ihrer niedrigen Gehälter.
Die Berliner Sozialsenatorin Carola Bluhm bestreitet, dass eine an Hartz-IV-Grenzwerten ausgerichtete Mietpreispolitik „preissteigernd“ wirkt. Sie verweist im Gegenzug darauf, dass der Richtwert auch „preisdämpfende“ Folgen habe – zum Bespiel, wenn die Mieten gesenkt werden, „um Wohnungen an HartzIVEmpfänger vermieten zu können“.
Für David Eberhart, Sprecher des Verbands BerlinBrandenburgischer Wohnungsunternehmen, sind das nur wenige Ausnahmefälle. Er bestätigt die an HartzIVHöchstgrenzen ausgerichtete Mietpreispolitik der kommunalen Wohnungsgesellschaften, hält sie aber für gerechtfertigt, weil die Mieten immer noch „unter Marktniveau“ lägen und das Geld für „Investitionen“ benötigt werde.
Auch die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf. Bis zur Sommerpause will das Arbeitsministerium einen Vorschlag für eine regional gestaffelte Mietpauschale vorlegen. Hauptziel der Systemumstellung sind Bürokratieabbau und eine Entlastung der Gerichte. Allein dadurch soll ein dreistelliger Millionenbetrag eingespart werden.
Offen ist noch, ob mit den Mietpauschalen auch bei den Auszahlungen gespart werden soll. FDP-Generalsekretär Christian Lindner hat zwar versprochen, dass die „Wohnsituation nicht verschlechtert“ werden soll. Das will Werner Hesse, Geschäftsführer beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, aber „nicht so recht glauben“. Bei niedrigen Pauschalen sieht Hesse die Gefahr einer „noch stärkeren Ghettoisierung“. Im umgekehrten Fall würden die Vermieter die Pauschalen wie heute schon „komplett abschöpfen und den Anstieg des Mietniveaus im niedrigen Segment weiter beschleunigen“.
Heinrich Alt, Vorstand bei der Bundesagentur für Arbeit, bleibt trotzdem ein Verfechter der Pauschale, weil die jetzige Einzelfallabrechnung immer wieder zu absurden Auseinandersetzungen führe. „Müssen wir wirklich das Kochgas vom Heizgas abziehen, das Duschwasser vom Warmwasser und alles noch mal von vorn, wenn 20 Euro zurückerstattet werden“, fragt Alt. Und noch ein anderes Ziel möchte Alt mit der Pauschale erreichen: die „Eigenverantwortung“ der Hartz-IV-Empfänger stärken. Mit einer Mietpauschale könnten sie nämlich selbstständig entscheiden, ob sie bei der Miete die Pauschale voll ausschöpfen oder eine günstigere Wohnung wählen, um mehr Geld für den Lebensunterhalt übrig zu haben.
Bisher wehren sich nur wenige Hartz-IV-Empfänger gegen marode Unterkünfte und überhöhte Mieten, weil sie die Miete nicht selbst zahlen. Als die ARGE Hamburg die Größen von Hartz-IV-Wohnungen nachmessen wollte, haben 65 Prozent der Mieter die Prüfer gar nicht hereingelassen. Ohne die Mitwirkung der Hilfsempfänger wird es schwierig, bei über 100000 Wohnungen von Hartz-IV-Beziehern in Hamburg oder knapp 300000 in Berlin den Missbrauch einzudämmen.
Marianne W. hält die Idee einer Mietkostenpauschale auf den ersten Blick für verlockend: „Es wäre schön, so etwas mehr Geld in der Tasche zu haben.“ Aber dann wird sie unsicher: Wo sollen die vielen kleinen, billigen Wohnungen herkommen?
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