Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()
"Wir werden uns kannibalisieren"

Briefe wirken nachhaltig. Seit 500 Jahren ist der Postbrief ein Erfolgsprodukt - gewesen: Internet und E-Mail revolutionieren die Kommunikation, der Brief wird Brauchtum einer vergangenen Ära, das Briefgeschäft bricht ein. Der Postchef über die Flucht in die Zukunft

500 Jahre Post, eine beachtliche Lebensdauer für eine Marke, ein Unternehmen. Heute bricht das Briefgeschäft, lange Cash Cow der Post, ein, Einsparungen sind dringend nötig, Kunden beschweren sich über zu lange Zustellzeiten. Sie haben nicht die einfachsten Zeiten bei der Post, Herr Appel…
Die Menschen schreiben deutlich weniger Briefe, während unsere Kosten für die Zustellung kontinuierlich steigen. Das ist eine Gegebenheit, mit der ich umgehen muss. Darunter leide ich nicht. Im Gegenteil: Wenn ich mit solchen Veränderungen umgehen muss, dann motiviert mich das ganz besonders

Das Internet mit der E-Mail verändert die Kommunikationsform des geschriebenen Wortes. Erleben wir gerade das Ende des Briefes?

Der Brief ist eine großartige Erfindung. Es gibt kaum ein Produkt, das so nachhaltig funktioniert - und das immerhin schon 500 Jahre. Er brachte eine dramatische Vereinfachung der Kommunikation und leistet damit auch einen wichtigen Beitrag zur Pluralisierung unserer Gesellschaft: das kostbare Briefgeheimnis. Das geschriebene Wort in Form eines Briefes ist heute vielleicht nicht mehr so gefragt wie früher, aber dennoch: Die E-Mail hat nicht die Qualität eines Briefes.

Sie sind Neurowissenschaftler: Worin liegt die besondere Qualität des Briefes, seine nachhaltige Wirkung?

Obwohl wir Menschen visuelle Lebewesen sind, ist die Macht des Haptischen groß. Einen Brief haben Sie in der Hand, er erzeugt Spannung, Emotionen und ist Träger von Individualität. Briefe werden gesammelt, als Erinnerungsschatz gehütet. Die Mail ist dagegen die rein abstrakte Übermittlung von Text. Heben Sie ausgedruckte E-Mails in einer Pappschachtel auf?

Wann haben Sie denn Ihren letzten Brief versendet?

Ich sende regelmäßig einmal im Monat ein halbes Dutzend handgeschriebene Briefe an Mitarbeiter, weltweit.

Ihr letzter privater Brief?

Postkarten aus dem Urlaub an Familie und Freunde.

Wann haben Sie die letzte Mail versendet?

E-Mail nutzte ich wenig. Mir ist dieses Medium zu missverständlich. Der Empfänger denkt, man hätte über eine E-Mail so lange nachgedacht wie über einen Brief. Tatsächlich entstehen aber zahlreiche Formulierungen ganz spontan. Aus diesem Grund schreibe ich auch nur einzeilige Mails: damit niemand zwischen den Zeilen lesen kann. Zehn bis zwanzig Mails pro Monat ist bei mir schon viel.

Sie werden zustimmen, dass Ihr Mail-Verhalten eher nicht repräsentativ ist?

Sicher, die Mail verdrängt den Brief zunehmend. Insbesondere die nachfolgende Generation hat einen anderen Umgang mit dem geschriebenen Wort. Die Generation meiner Kinder findet die E-Mail schon veraltet und schreibt hauptsächlich SMS oder twittert.

Der Druck durch die Substitution wird größer. Mag der individuelle Brief auch in Zukunft als Brauchtum einer vergangenen Ära bestehen bleiben, die großen Volumen brechen Ihnen Monat für Monat weg. Was wollen Sie tun?

Die rasche Verbreitung des Breitbandinternets beschleunigt den Volumensrückgang bei den Briefen. Ich sehe für uns hier nur eine Option: Wir werden eigene Internetangebote einführen - auch wenn wir uns damit selber kannibalisieren. Wir wollen das Briefgeheimnis gleichsam digitalisieren. Da ist niemand glaubwürdiger als die Post.

Sie haben steigende Fixkosten durch Strukturen und Personal, das Briefgeschäft bricht ein: Die Milliarden-Euro-Frage lautet: Wie wollen Sie in Zukunft noch Geld verdienen?

Die Volumina sinken, gleichzeitig sollen die Löhne steigen. Hier liegt unser Kernproblem. Aus diesem Dilemma kommen wir nur durch längere Arbeitszeiten und dem Nicht-Ersetzen ausscheidender Mitarbeiter. Zudem müssen wir mit der Politik mittelfristig über eine Anpassung der Rahmenbedingungen sprechen. Wir haben zum Beispiel seit zwölf Jahren keine Erhöhung des Portopreises mehr gesehen.

In den vergangenen Monaten haben die Beschwerden über Verzögerungen bei Brief- und Paketzustellung zugenommen...

Die Laufzeiten werden von unabhängigen und vom TÜV zertifizierten Gutachtern gemessen. Die Ergebnisse zeigen, dass wir unser Leistungsversprechen einhalten. Zwischen Januar und Juli waren 95,4 Prozent aller Briefe am nächsten Tag beim Empfänger. Dennoch ist jede Beschwerde eine Beschwerde zu viel. Ich nehme das sehr ernst, denn die Zufriedenheit der Kunden ist unser wertvollstes Gut. Jeden Tag geben mehr als 190000 Kolleginnen und Kollegen alles, damit 70 Millionen Sendungen schnellstmöglich im Briefkasten sind.

Auch das Schließen der Filialen erzeugt einigen Widerstand…

Wir schließen keine Filialen, wir wandeln Poststellen in Partner-Filialen um. Hierzu gibt es auch keine Alternative, wenn der Umsatz an vielen Orten 30 Euro am Tag nicht übersteigt. In den vergangenen Jahren haben wir unser Netz um rund 1000 solcher Postagenturen erweitert. Ich kann nachvollziehen, dass dies für die Menschen vor Ort ein Reizthema ist. Da sind viele Emotionen im Spiel…

Offenbar sind aber gerade beim Thema Post die Menschen voller Emotionen...

Wissen Sie, wenn er beim ehemaligen Monopolisten einkauft, dann ist der Mensch immer skeptisch. Nehmen Sie die Diskussion um die Wartezeiten am Postschalter. Wir wissen aus Untersuchungen, dass man in vielen Supermärkten länger an der Kasse wartet als bei uns. Wenn Sie nachfragen, werden die Leute aber angeben, sie hätten bei der Post länger gewartet. Die Wandlung in PartnerFilialen leistet hier übrigens einen positiven Beitrag: Die Zufriedenheit in fremdbetriebenen Filialen ist generell sehr hoch – etwa durch die deutlich längeren Öffnungszeiten.

Aus dem Verkauf der Postbank konnten Sie 4,9 Milliarden Euro kassieren. Zudem haben Sie mit dem Briefgeschäft in den vergangenen Jahren Milliarden verdient. Wo sind die Investitionen in die Zukunft, in neue Geschäftsfelder?

Das DHL-Geschäft haben wir konsequent zu einem der modernsten Logistikdienstleister weltweit ausgebaut und dafür in den vergangenen Jahren mehr als 100 Firmen erworben und integriert. Wir bewegen heute täglich etwa fünf Prozent des weltweiten Handelsvolumens - auf der Straße, in der Luft und zur See. Und wir sind in fast jedem Geschäftsfeld, in dem wir uns bewegen, Marktführer. Für DHL ist die Zeit der großen Akquisitionen vorbei. Wir müssen jetzt vor allem daran arbeiten, dem Kunden noch attraktivere Dienstleistungen anzubieten, die ihm das Leben erleichtern und zugleich nachhaltig sind - ökologisch und ökonomisch. Im Briefgeschäft ist die Lage aufgrund der Volumenrückgänge etwas anders. Der Brief im Internet wird eine echte Produktinnovation sein.

Wann wollen Sie starten?

Für Mitarbeiter und ihre Familien besteht schon eine Testplattform. Im Jahr 2010 wollen wir dann offiziell an den Start gehen.

Die Post ist bisher nicht als Technologieführer im Netz bekannt. Warum sollte gerade die Post und nicht zum Beispiel Google mit Online-Briefen im Internet Geld verdienen?

Wir sind davon überzeugt, dass wir sehr gute Ausgangsvoraussetzungen haben. Die Marke Deutsche Post steht für Vertrauen und Sicherheit im Informationsaustausch. Das Briefgeheimnis ist unser Alleinstellungsmerkmal. Das wird auch im Internet so sein. Es gibt keinen Platz für fünf derartige Plattformen zum datensicheren Austausch von vertraulichen Informationen. Und wir haben gute Chancen, die Nase vorne zu haben.

Wird es denn bei der physischen Zustellung von Briefen und Waren keinerlei Innovationen geben?

Doch, wir werden generell neue Formen bei der Zustellung und Logistik finden müssen. Hier verändert sich angesichts des wachsenden Umweltbewusstseins die gesellschaftliche Erwartungshaltung. Wird man es in zehn Jahren zulassen, dass fünf Briefzusteller mit dem Auto dieselbe Straße entlangfahren und anschließend noch einmal fünf Paketzusteller? Hier werden wir Logistiklösungen ausarbeiten müssen. Und genau bei dieser City-Logistik wollen wir Marktführer werden.

Sie arbeiten auf eine neue Monopolstellung hin?

Mir würde es schon genügen, auch in diesem Feld mit großem Abstand Marktführer zu sein.

In einem aktuellen Ranking der beliebtesten Unternehmen für junge Führungskräfte in Deutschland steht die Post weit abgeschlagen auf Platz 75. Hat die Post ein Imageproblem?

Vor allem in Deutschland und teilweise auch in Europa werden wir dramatisch unterschätzt. In Asien hingegen wird DHL in einem Atemzug mit Coca-Cola und Microsoft genannt und ist dort ein gesuchter Arbeitgeber. Weltweit machen wir 93 Prozent unseres Geschäfts mit Unternehmenskunden. Otto Normalverbraucher in Deutschland kommt aber über das Briefgeschäft mit uns in Kontakt - und erlebt so nur einen sehr kleinen Ausschnitt unseres spannenden Geschäfts. Wir werden in den nächsten Jahren konsequent daran arbeiten, unser Profil als modernes und vor allem sehr internationales Unternehmen zu schärfen.

Wie wollen Sie das erreichen?

Eine erste Maßnahme war die Umbenennung in Deutsche Post DHL. Viele Menschen wissen nicht, dass DHL - immerhin das größte Logistikunternehmen der Welt - und Deutsche Post zusammengehören. Wir stellen zudem innovative Themen wie unsere Packstationen und das Handyporto stärker in den Vordergrund unserer Kommunikation. Zugleich zeigen wir mit unserem gesellschaftlichen Engagement in den Bereichen Umwelt, Katastrophenhilfe und Bildung, dass wir auch einen gesellschaftlichen Leistungsbeitrag leisten. Unsere Mitarbeiter können stolz auf ihr Unternehmen sein.

Stichwort Werte und Image: Welcher Schaden war für die Post nachhaltiger: die US-Fehlinvestition von 7,5 Milliarden durch Ihren Vorgänger Klaus Zumwinkel oder seine private Steuerhinterziehung?

Belastender für die Post war in der Tat die Fehlinvestition in das US-Expressgeschäft. Für das Haus war die Steuerhinterziehung glücklicherweise nicht nachhaltig belastend. Wir sehen bei den Marktforschungen hieraus keinen Imageschaden. Die Öffentlichkeit kann das sehr gut trennen.

Wie haben Sie damals persönlich auf die Nachricht reagiert?

Ich stand sprachlos vor der Situation, immerhin habe ich mit Klaus Zumwinkel eng zusammengearbeitet.

Stehen Sie noch in Kontakt?

Mir wird gelegentlich vorgeworfen, dass ich noch mit Herrn Zumwinkel rede. Aber ich bitte Sie: Wenn wir mit jedem Menschen, der einen Fehler gemacht hat, nicht mehr reden würden, dann wäre es sehr still im Land.

Sie grenzen sich gerne als postheroischen Manager von der Vorgeneration ab, was verstehen Sie darunter?

Der Held ist unfehlbar, er macht alles richtig. Er weiß zu allem die passende Antwort. Heute müssen wir eine andere Form der Führung finden. Manager stehen sich häufig im Wege, da sie sich Fehler nicht eingestehen, sondern stattdessen verbergen. Am Ende braucht man Vergebung, gegen sich selbst und andere. Vergeben basierend auf Vertrauen ist die nachhaltigste Form der Fortentwicklung. Das ist aber kein Aufruf zur Blauäugigkeit: Auch ich habe mein Sicherheitsnetz.

Was war Ihr größter Fehler?

Ich habe mich nicht entschieden genug gegen die Art unseres Vorgehens in den USA ausgesprochen, als ich noch nicht Vorstandsvorsitzender war. Wir hätten zum Beispiel niemals die Schlüsselmanager der von uns erworbenen US-Firma durch unsere eigenen Leute ersetzen dürfen. Das haben wir dann beim Kauf des britischen Logistikdienstleisters EXEL viel besser gemacht. Ich selbst habe damals Platz für einen EXEL-Manager gemacht.

Sie sind studierter Neurobiologe, gehen Sie als Naturwissenschaftler anders an Probleme heran?

Manchmal sage ich im Spaß: Ich bin noch immer im Netzwerkgeschäft! Früher neuronale Netze - heute Verkehrsnetze und Warenströme. Im Ernst: der Naturwissenschaftler lebt damit, dass 95 Prozent seiner Experimente schiefgehen. Sie können als Wissenschaftler nicht arbeiten, wenn Sie bei jedem Fehlversuch abbrechen. So habe auch ich eine höhere Frustrationsschwelle erworben. Ich bin sicherlich auch jemand, der einer Sache möglichst auf den Grund gehen will. Als Wissenschaftler war ich gewohnt, eine bestehende These fallen zu lassen, mich von andern Ergebnissen überzeugen zu lassen. Das prägt meine Arbeitsweise noch heute. Ich versuche möglichst viele Argumente anzuhören, möglichst viele verschiedene Seiten einer Frage betrachten zu lassen. Manche werfen mir dann vor: Mensch Appel, nun entscheide doch mal! Ich lasse mir aber gerne die Zeit für eine abgewogene Entscheidung.

Wie wollen Sie eigentlich nach Ihrem Ausscheiden nachhaltig als Postchef in Erinnerung bleiben?

Wenn ich mal ausscheide, soll die Deutsche Post DHL ein Synonym für Logistik werden. Was immer es für ein Logistikproblem gibt, DHL soll der natürliche Ansprechpartner sein - weltweit.

Nachhaltig genug für weitere 500 Jahre Post?

Die E-Mail wird den Brief nie ganz verdrängen, aber die Gewichte unseres Geschäfts werden sich weiter in Richtung weltweite Logistik verschieben. Unser Credo hat aber weiterhin zwei Strophen: Die Post für Deutschland und The Logistics Company for the World. Und solange man Waren nicht wie bei Star Trek teleportieren kann, braucht es Dienstleister wie uns, um die Weltwirtschaft am Laufen zu halten.

Können Sie sich vorstellen, im Anschluss an Ihre Rolle als Vorstandsvorsitzender den Aufsichtsratsvorsitz der Deutschen Post DHL zu übernehmen?

Eher nicht. Es ist besser, wenn der ehemalige Vorstandsvorsitzende nicht Aufsichtsrat wird. Allein bei Korrekturen von Entscheidungen des ehemaligen Vorstands ergeben sich die peinlichsten Situationen und besteht die Gefahr mangelnder Objektivität. Vielleicht gehe ich wieder in die Wissenschaft, das würde mir gefallen.

Herr Appel, von wem wollen Sie noch einmal Post bekommen?

Von meiner Mutter, der ich vieles verdanke und die mich sehr geprägt hat. Leider ist sie schon vor acht Jahren gestorben. Sie hat das alles nicht mehr miterlebt. Das Gespräch führte Till Weishaupt

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.