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Zum Rücktritt Gregor Gysis - Der Unvollendete

Gregor Gysi zieht sich im Herbst aus der ersten Reihe der Politik zurück. Er hinterlässt eine beim Wähler erfolgreiche, aber zerstrittene Partei. Zukunft ungewiss

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Die Inszenierung seines Abschiedes hat Gregor Gysi vermutlich gefallen. Erst spekulieren die Medien tagelang darüber, wie sich der Fraktionsvorsitzende der Linken erklären würde, anschließend lässt er auch die Delegierten des Parteitages lange zappeln. Seine Rede in Bielefeld war am Sonntag der letzte Tagesordnungspunkt. Gregor Gysi tritt ab, nach 25 Jahren in der Politik und zehn Jahren an der Spitze der Linksfraktion beendet er seine politische Karriere. Mit 67 Jahren zieht er sich im Herbst in den politischen Ruhestand zurück. Er kann auf erfolgreiche Jahre zurückblicken, aber seine letzte politische Mission bleibt unvollendet.

Gregor Gysis erste politische Mission beginnt am 9. Dezember 1989. Die Welt war da noch eine andere. Ist gespalten in Ost und West, am Brandenburger Tor in Berlin steht noch die Mauer. Links und rechts davon haben hochgerüstete Armeen Atomraketen aufeinander gerichtet. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der SED-PDS überreichen ihm die Delegierten einen Besen. Seine erste Dienstreise führt ihn nach Moskau. Der kleine Rechtsanwalt ist nun Vorsitzender einer Staatspartei, die gerade ihren ökonomischen, politischen und moralischen Bankrott erlebt. Das Volk ist der Partei im wahren Sinne des Wortes davon gelaufen. Gysi ist nun der Chef von 2,2 Millionen Parteimitglieder, die auf der Straße bespuckt und verhöhnt werden.

Auf dem Gipfel des Erfolgs
 

Nur wer an den Anfang von Gysis Karriere zurückgeht, kann die Genugtuung verstehen, mit der er in diesen Tagen davon erzählt, wie er als Vorsitzender der größten Oppositionspartei im Bundestag selbst von ehemaligen Klassenfeinden hofiert werde. Wie sich selbst Arbeitgeberverbände darum reißen, ihn als Gastredner für ihre Verbandstage zu gewinnen. Gysi genießt es. Er ist auf dem Höhepunkt seines persönlichen politischen Ansehens. Und zumindest auf den ersten Blick kann es kaum einen besseren Zeitpunkt geben, sich zurückzuziehen. Die Linke steht in Umfragen stabil bei neun bis zehn Prozent, ihre gesellschaftliche Akzeptanz reicht mittlerweile weit über die eigene Anhängerschaft hinaus. In Thüringen stellt sie erstmals einen Ministerpräsidenten. Die politische Zukunft der Linken scheint gesichert.

Im Grunde allerdings ist es bereits das dritte politische Leben, das für Gysi jetzt zu Ende geht.

Als PDS führt Gysi die ehemalige DDR-Staatspartei SED 1990 in die Wiedervereinigung. Eigentlich ist er in jenen Jahren kein Politiker, sondern der politische Anwalt von 17 Millionen DDR-Bürgern. Selbst Stasi-Vorwürfe schaden ihm nicht. Den Parteivorsitz übergibt er 1993 an Lothar Bisky, er selbst wird Vorsitzender der kleinen PDS-Gruppe im Bundestag. Aber er bleibt ihr Wortführer und wichtigster Wahlkämpfer. Gysis größter Verdienst ist es fortan, dass er die Transformation des diktatorischen SED-Staates in eine westliche Demokratie begleitet, die gelernten DDR-Bürger in den Westen führt. Dafür wird er von den einen verehrt, von den anderen gehasst.

Plaudern statt streiten
 

Ein freches Mundwerk und Schlagfertigkeit sind fortan Gysis wichtigste Waffen. Im Jahr 1998 zieht die PDS in Fraktionsstärke in den Bundestag ein, aber sie hat als Ost-Partei keine politische Zukunft. Die Ausdehnung in den Westen ist gescheitert. Als Gysi im Jahr 2000 auf dem Parteitag der PDS in Münster vom Fraktionsvorsitz zurücktritt und zum ersten Mal seinen Rückzug aus der Politik ankündigt, hinterlässt er eine völlig zerstrittene und personell ausgezehrte Partei. Schon damals hatte es Gysi versäumt, seine Autorität und sein Ansehen in der Partei dafür zu nutzen, um die Weichen in der PDS Richtung Realpolitik und Regierungsbeteiligung im Bund zu stellen. Gysi besitzt schon in jenen Jahren die einmalige politische Gabe, solange unterhaltsam zu reden, bis sich alle politischen Widersprüche in seinem Wortschwall aufgelöst haben. Gysi plaudert lieber, als dass er streitet.

Lange allerdings hält er es im politischen Vorruhestand nicht aus. Es folgt ein kurzer Ausflug in die Realpolitik. Im Januar 2002 wird der PDS-Politiker Wirtschaftssenator in der rot-roten Landesregierung in Berlin. Aber zum Aktenfresser ist er nicht gemacht. Schon nach sieben Monaten tritt er zurück. Anlass sind berufliche Bonusmeilen, die er privat genutzt hat. Aber tatsächlich fühlt sich der Selbstdarsteller Gysi in seiner engen Berliner Amtsstube alles andere als wohl. Außerdem muss er die ganz große Bühne in der Berliner Landespolitik dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit überlassen. Sein zweites politisches Leben währt also nur kurz.

Wie Phönix aus der Asche
 

Gregor Gysis doppelter Rücktritt hat Folgen. 2002 fliegt die PDS aus dem Bundestag. Umso spektakulärer kehrt er drei Jahre später zusammen mit Oskar Lafontaine zurück. Der ehemalige PDS-Chef und der ehemalige SPD-Vorsitzende haben eine gemeinsame Mission. Sie wollen die neue Partei, die aus der Fusion von PDS und WASG entsteht, im bundesdeutschen Parteiensystem etablieren und vor allem der SPD dabei von links Konkurrenz machen. Der Widerstand gegen Schröders Agenda 2010 soll ihnen dabei helfen. 2005 zieht die Linkspartei mit 8,7 Prozent in den Bundestag ein, sie schneidet sogar besser ab als die Grünen. Auch bei mehreren westdeutschen Landtagswahlen überspringt die Linkspartei die 5-Prozent-Hürde. 2010 zieht sich Lafontaine ins Saarland zurück. Gysi ist nun der alleinige Fraktionsvorsitzende und der starke Mann in der Linken, völlig egal, wer unter ihm Parteivorsitzender ist.

Mit einer großen Rede hat sich Gregor Gysi nun in Bielefeld aus der großen Politik verabschiedet. Anders als bei seinem ersten Rücktritt im Jahr 2000 in Münster wirft er nicht einfach wütend hin, sondern erklärt sich den Delegierten souverän und selbstbewusst. Gysi lässt sich feiern und kämpft mit den Tränen. Gysi geht, ob es in der Partei und in der Fraktion auch ohne ihn geht, das muss sich erst noch erweisen. Der Großmeister des Wortes tritt ab, aber wie schon im Jahr 2000 hat er das politische Feld nicht bestellt. Es war nie seine Stärke, Richtungsentscheidungen durchzusetzen. Noch immer lautet die Gretchenfrage bei der Linken deshalb: Soll sie auch im Bund regieren oder ist ihr Platz dauerhaft in der Opposition? Soll sie sich auf das schwere Ringen um politische Kompromisse einlassen oder weiter die reine Lehre verkünden?

Partei uneins zum weiteren Kurs
 

Gysi rät seiner Partei zum Abschied eindringlich zum Regieren. Ob die Partei diesem Rat folgt, bleibt offen. Einerseits haben die Realos bei den Linken mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow einen neuen mächtigen Wortführer. Andererseits hat der Parteitag in Bielefeld vor allem jene Politiker bejubelt, die vor einem Bündnis mit der SPD und den Grünen warnen.

Gysi wird nicht mehr dabei sein, wenn die Partei in den kommenden Jahren einen Weg in die Realpolitik sucht, zumindest nicht in der ersten Reihe, nicht in politischer Verantwortung. Er verneigt sich, verlässt die politische Bühne und hinterlässt eine beim Wähler erfolgreiche, aber zerstrittene Partei. Zukunft ungewiss.

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