- Kiew und Moskau streiten um Getreideabkommen
Im Streit um das Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide im Schwarzen Meer verweist Russland auf die Vereinten Nationen. Kiew hingegen warnt vor einer Lebensmittelkrise.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einem Gespräch mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan auf eine Rückkehr zum Abkommen für den Getreideexport über das Schwarze Meer gedrängt. „Die Öffnung des Getreidekorridors hat absolute Priorität“, teilte Selenskyj nach einem Telefonat mit Erdogan am Freitagabend in Kiew mit. „Zusammen müssen wir eine globale Ernährungskrise verhindern.“ Nach der Aufkündigung des Abkommens durch Russland am Montag gibt es eine neue Seeblockade. Moskau hat den Getreidefrachtern die Sicherheitsgarantien in den von ihm kontrollierten Regionen des Schwarzes Meeres entzogen.
„Wegen Russlands Handlungen ist die Welt erneut am Rande einer Lebensmittelkrise. Insgesamt 400 Millionen Menschen in vielen Ländern Afrikas und Asiens sind einem Hungerrisiko ausgesetzt“, teilte Selenskyj weiter mit. Durch das vor einem Jahr mit den Kriegsparteien Russland und der Ukraine unter Vermittlung der Türkei und der Vereinten Nationen geschlossene Abkommen konnte Kiew weiter sein Getreide über das Schwarze Meer verschiffen lassen. Durch den Verkauf erzielte die Ukraine für ihren Haushalt wichtige Einnahmen.
Eine noch stärkere Konsolidierung der Welt
Schon seit Tagen bombardiert Russland den ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa und zerstört dort Getreidelager – unter dem Vorwand, dort gebe es militärische Ziele. In seiner am Abend verbreiteten Videobotschaft warf Selenskyj Russland Terror gegen die Menschen in Odessa vor. Er kündigte an, Russland dafür zu bestrafen.
„Darüber hinaus wird es eine noch stärkere Konsolidierung der Welt für die Verteidigung und für gemeinsames Handeln geben, noch mehr Energie für den Sieg, noch mehr Verlangen nach Gerechtigkeit, einer gerechten Bestrafung Russlands für alle Kriegsverbrechen“, sagte er. Die Ukraine wisse, wie sie sich verteidige und produziere neben den Waffenlieferungen des Westens immer mehr eigene Drohnen und Munition.
Selenskyj informierte in dem Video auch darüber, dass in dem Dorf Druschba im östlichen Gebiet Donezk bei russischem Artilleriebeschuss zwei Kinder getötet worden seien. Medien zufolge handelte es sich um Geschwister. Nach Darstellung Selenskyjs starben außerdem durch Raketenbeschuss in Hontschariwske im Gebiet Tschernihiw zwei Frauen. Es seien ein Kulturzentrum, eine Schule und Wohnhäuser beschädigt worden. Selenskyj sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus.
Zum Getreideabkommen machte der russische Vizeaußenminister Sergej Werschinin deutlich, dass Moskau in dem Streit um eine mögliche Wiederaufnahme die UN am Zuge sieht. „Der Ball liegt - wie jetzt manchmal gesagt wird – auf der Seite unserer Partner, mit denen wir gearbeitet haben“, sagte Werschinin am Freitag in Moskau.
Ausschluss russischer Banken
Der Vizeminister betonte, dass im Zuge des Getreideabkommens vor einem Jahr mit den Vereinten Nationen auch ein Memorandum mit einer Gültigkeit von drei Jahren unterzeichnet worden sei, das Russlands Bedingungen für den Deal beinhalte. Russland verlangt vom Westen etwa eine Lockerung von Sanktionen, um eigenes Getreide und Dünger leichter auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Moskau beklagt, dass im Zuge der EU-Sanktionen etwa der Ausschluss russischer Banken vom Finanzverkehrssystem Swift Geschäfte behindere. Auch Versicherungen könnten nicht abgeschlossen werden für die Frachter.
Zwar betont die EU, dass russisches Getreide und Dünger von den Sanktionen ausgenommen und auch viele Banken weiter an Swift angeschlossen seien. Allerdings entgegnete Werschinin, dass der „Geist der Sanktionen“ ausstrahle und viele Partner auch legale Geschäfte mit Russland scheuten. Deshalb will Russland grundsätzlich Lockerungen erreichen. Zugleich machte er deutlich, dass Russland Wege finden werde, sein in Entwicklungsländern gefragtes Getreide und den Dünger auf den Weltmarkt zu bringen.
Unter Vermittlung der UN und der Türkei
Das Abkommen zur Verschiffung von Getreide aus ukrainischen Schwarzmeerhäfen war vor einem Jahr am 22. Juli unter Vermittlung der UN und der Türkei geschlossen worden. Werschinin sagte, Russland sei weiter bereit, mit der Türkei ein neues Abkommen auszuhandeln. Man habe „eine sehr enge Zusammenarbeit“. Präsident Erdogan hatte vor einem Jahr zwischen den Kriegsparteien vermittelt.
Russland fordert neben dem Anschluss seiner Banken an Swift auch eine Wiederaufnahme von Lieferungen von Bauteilen für seine Landwirtschaftstechnik und für Anlagen zur Produktion von Dünger. Zudem solle die Blockade von russischen Aktiva im Ausland, die mit der Landwirtschaft in Verbindungen stehen, aufgehoben werden, hatte Kremlchef Wladimir Putin gesagt. Russland sei bei Erfüllung aller Bedingungen bereit, zum Abkommen zurückzukehren.
Quelle: dpa
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1) Russland ist kein seriöser Verhandlungspartner. Es hält sich nicht an Vereinbarungen, sondern erfindet bei Bedarf nachträglich neue Bedingungen - hier: „den Geist von Sanktionen“.
2) Russland ist völlig skrupellos. Das sieht man nicht nur daran, dass es, gewissermaßen flankierend zur Kündigung des Abkommens, Odessas Getreidespeicher bombardiert. Zudem nimmt der Kreml auch die verheerenden Auswirkungen insbesondere für die afrikanischen Länder billigend in Kauf. Möglicherweise sind diese sogar beabsichtigt - um mehr Migrationsdruck auf die EU auszuüben.
3) Die Sanktionen wirken. Sonst würden die Machthaber im Kreml wohl kaum das Risiko eingehen, sich mit Staaten zu überwerfen, die ihnen bei ihrem Angriffskrieg gegen die Ukraine mehr oder minder offen zur Seite stehen. Man darf gespannt sein, wie viel Druck die diktatorischen Verbündeten in China und mehreren afrikanischen Staaten auf Putin ausüben werden und ob das reicht, das Getreideabkommen wiederherzustellen.