- „Wir lassen eine ganze Generation kaputtgehen“
Die griechische Reparationsfrage dürfe nicht mit der Gründung eines Deutsch-Griechischen Jugendwerkes verknüpft werden, warnt die SPD-Politikerin Sigrid Skarpelis-Sperk. Sie hatte schon vor 15 Jahren die Idee für ein solches Austauschprogramm, wartet aber immer noch auf die Umsetzung
Sigrid Skarpelis-Sperk ist Präsidentin der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften. Sie gilt als Erfinderin des Konzeptes eines Deutsch-Griechischen Jugendwerkes. Sie war 40 Jahre mit einem Griechen verheiratet.
Frau Skarpelis-Sperk, bei ihrem Treffen mit Alexis Tsipras sagte Angela Merkel, die Frage nach Reparationen sei für die Bundesregierung „politisch und rechtlich abgeschlossen“. Sehen Sie das auch so?
Politisch und rechtlich ist eine solche Forderung erst abgeschlossen, wenn alle Seiten zustimmen. Aber 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges muss jedes Land wissen, ob wir uns mehr der Vergangenheit oder der Zukunft zuwenden. Man darf die Verantwortung für unsere Geschichte und ihre Schrecken nicht wegschieben. Aber ebenso sehr dürfen wir als Deutsche auch darauf hinweisen, dass es seither ein anderes demokratisches Deutschland gibt, dass etwa während der griechischen Militärdiktatur Hunderttausenden Griechinnen und Griechen Schutz und Arbeit bot.
Inoffiziell aber will die Bundesregierung eine andere Antwort auf die griechische Reparationsfrage gefunden haben: das Deutsch-Griechische Jugendwerk. Am kommenden Wochenende will sich Außenminister Steinmeier mit seinem griechischen Amtskollegen Kotzias über das Thema austauschen.
Für mich ist das keine Antwort. Zum ersten habe ich die Gründung eines solchen Deutsch-Griechischen Jugendwerks (DGJW) schon im Jahr 2000 angeregt, dann fand es 2013 Eingang in den Koalitionsvertrag. Damals wie heute hatte und hat das mit Reparationsforderungen nichts zu tun. Neuere Vermutungen in der Presse halte ich für hergeholt und politisch für falsch.
Sie sagen, wenn man die Idee des Jugendaustausches gerade jetzt mit der Reparationsfrage verknüpft, wird sie ein Stück weit politisch zweckentfremdet?
Ja. Sehen Sie, die Gründung der beiden bestehenden Jugendwerke mit Frankreich und Polen hatte nichts mit Reparationsforderungen zu tun. Adenauer und der damalige französische Präsident de Gaulle folgten damals der Erkenntnis, dass es nötig war, die Feindbilder, die nach 600 Jahren Kampf in Mitteleuropa entstanden waren, durch persönliche Kontakte und Freundschaften abzubauen. Im polnischen Fall waren es die zwei katholischen Kirchen, die das Projekt voranbrachten. Wir dürfen Europa nicht allein den politischen und wirtschaftlichen Akteuren überlassen. Junge Europäer müssen sich begegnen.
Aber wie sollte Deutschland dann die Kriegsverbrechen wiedergutmachen?
Ich habe für die Reparationsfragen drei Fragen des Anstandes formuliert: Wir müssen heute jenen wenigen über 80-Jährigen helfen, denen wir damals Unrecht zugefügt und schwer geschädigt haben, und die heute in Elend leben. Ein Spezialfonds zur Versorgung dieser Leute – ein Modell wie in Tschechien – wäre hier hilfreich.
Und die zwei weiteren Vorschläge?
Da ist das Thema Jugendarbeitslosigkeit. Wir brauchen mehr Stipendien, Austausch in der Wissenschaft, mehr Qualifikation durch Berufsbildung und vor allem ein wirklich wirksames Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland. Über 50 Prozent junge Leute ohne Chancen – das ist eine verlorene Generation.
Und die Flüchtlingsfrage: Griechenland hat derzeit geschätzt eine Million Flüchtlinge, zwölf Prozent der Bevölkerung. Umgerechnet auf Deutschland hieße das neun Millionen Flüchtlinge. Ich finde es nicht fair, dass man Griechenland damit alleine lässt.
Sie würden also gar keine Reparationen zahlen?
Nein. Wenn die Nachfahren der 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges heute alle ihre Forderungen geltend machten – das könnte Deutschland finanziell gar nicht stemmen. Für mich ist das eher eine moralische Frage – also eine „Wiedergutmachung“.
Ich versuche unseren griechischen Freunden auch stets zu erklären, was die Reparationen des Ersten Weltkrieges für Deutschland und Europa bedeutet haben: Staatsbankrott, Zerrüttung der öffentlichen und privaten Finanzen, Massenarbeitslosigkeit, Massenelend – und die Besetzung von Grenzgebieten, Erschießung streikender Arbeiter... Es gab Gründe, warum wir in den Faschismus geraten sind. Wir sollten den Griechen sagen: Wir helfen euch, wieder auf die Beine zu kommen. Im Gegenzug müsst ihr euch verpflichten, euer Wachstum zu steigern, den Staat und die Institutionen zu reformieren und energisch gegen die Spezlwirtschaft anzugehen. Beenden wir endlich die Grabenkämpfe und die wechselseitige öffentliche Hetze und geben Griechenland und seiner Jugend eine Zukunft.
Aber nun reden die Politiker auch schon seit September über das Thema, es gab ein deutsch-griechisches Jugendgipfeltreffen. In Aktion ist dieses Werk immer noch nicht. Was läuft da schief?
Das ist doch kein Wunder. Bei den vorhandenen Jugendwerken hat es ja auch eine Weile gedauert. Und nun geht man zu den Griechen und verlangt eine 50-50-Finanzierung – das ist im Übrigen bei all diesen Staatsverträgen und Jugendwerken so. Jetzt schaffen das die Griechen sicher nicht.
Also fordern Sie, dass Deutschland 100 Prozent der Kosten übernimmt?
Zumindest einen hohen Teil, laufende Kosten, sagen wir 80 Prozent, wie es am Anfang auch bei Polen war. Aber im Moment sind im Bundeshaushalt für dieses Jahr 300.000 Euro dafür vorgesehen. Damit können Sie vielleicht ein paar Grüppchen zusammensetzen, aber kein Jugendwerk aufbauen. Vergessen Sie’s. Das deutsch-französische Jugendwerk hat mehrere Millionen dafür.
Brauchen die Griechen so ein Werk überhaupt? Damit wird doch kein einziger Arbeitsplatz geschaffen.
Das hat mit Arbeitsplätzen nichts zu tun. Es geht um Begegnung, darum, Feindschaften abzubauen, Freundschaften zu knüpfen. Wenn sich nur die Eliten kennen und der Rest das Gefühl hat, Europa geht über unsere Köpfe hinweg, dann haben Sie Pegida und AfD das Feld überlassen.
„Feindschaften abbauen“? Sehen Sie das deutsch-griechische Verhältnis als derart zerrüttet?
Nein, ich meinte das vor allem in Bezug auf die deutsch-französische Aussöhnung. Aber: auf der offiziellen Ebene und in den Medien ist das Verhältnis sehr wohl zerrüttet. Wenn Sie sich die Hetze in der Bild-Zeitung angucken! Aber auch in der Welt, der FAZ sind zum Teil unmögliche Tonarten zu lesen. Oder nehmen sie den Focus-Stinkefinger. Andersherum auch in Griechenland: Seit wann sind Hakenkreuz und Hitlerbärtchen richtige Bilder für das Deutschland heute? Das ist unmöglich, unerträglich!
Es hat üble Aussagen aber auch in der Politik gegeben: „Verkauft eure Inseln, ihr Pleite-Griechen.“ Ich habe bis jetzt vergeblich auf eine klare Ansage gegen solche Reden gewartet, auf ähnlich distanzierende Worte, wie Merkel und Gauck sie gegen Pegida fanden. Vergeblich. Es beunruhigt mich tief, dass wir in ein Medienzeitalter der Hetzer und Hasardeure kommen. Wir sollten uns andere Beispiele aus der Geschichte nehmen: Das sind Charles de Gaulle, Brandt, Schmidt und Jacques Delors und Helmut Kohl.
Die rechten Parteien in Griechenland haben Ihren Vorschlag eines Deutsch-Griechischen Jugendwerkes anfangs als „Make-up der Merkel“ bezeichnet. Jetzt sind die Rechten sogar an der griechischen Regierung beteiligt. Wie soll ein solches Projekt da überhaupt je Erfolg haben?
Also erst einmal: Das sind Rechtsextreme. Ich war entsetzt, dass Tsipras sie ins Kabinett geholt hat. Das fand ich sehr unklug. Zum zweiten: Ich habe immer wieder gesagt, Angela Merkel hat das DGJW nicht erfunden und das ist die schlichte Wahrheit.
Wenn Merkel das nicht erfunden hat und erst so spät ins Spiel gebracht hat: Hat die Bundesregierung die Jugend in der Rettungspolitik dann völlig ignoriert?
Ja. Wenn Sie in Griechenland über 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit haben, in Spanien sogar 54, dann ist das nicht hinnehmbar. Wir reden viel von Überalterung und demografischem Wandel. Zugleich lassen wir eine ganze Generation in Südeuropa kaputtgehen. Das schadet uns in Europa und in Deutschland. Wenn wir diesen jungen Leuten nicht helfen, schaden wir auch unseren eigenen Interessen.
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