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Rechtsextremistische Übergriffe - Fatale Toleranz für Neonazis

Rufmordkampagnen, Attacken, Todesdrohungen: Journalisten und Politiker geraten zunehmend ins Visier von Neonazis. Der NSU-Terror hat am Desinteresse für das Thema Rechtsextremismus kaum etwas verändert. Und Pegida hat völkischen Rassismus sogar wieder diskursfähig gemacht

Autoreninfo

ist Journalist und Buchautor. Er hat Politikwissenschaft, Journalistik und Neuere Geschichte studiert und ist Absolvent der Henri-Nannen-Journalistenschule. Am 1. März erscheint im freiraum-verlag sein Roman "Vorhofflimmern", der von der Gewöhnung an rechte Gewalt in Ostdeutschland erzählt.

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Dortmunder Journalisten, die über die dortige Neonazi-Szene berichten, erhalten fingierte Todesanzeigen wie diese: „Nach langem schweren Kampf gegen die Nationalen Aktivisten wird demnächst ganz elendig verrecken…“ Der Ortsvorsteher der Gemeinde Tröglitz in Sachsen-Anhalt, Markus Nierth, tritt zurück – aus Angst vor Drohungen und fremdenfeindlichen Demos vor seinem Wohnhaus. Gegen den Lokaljournalisten Martin Schöler, der regelmäßig über die rechtsextreme Szene in Leipzig berichtet, wird ein gefälschter Fahndungsaufruf in sozialen Netzwerken verbreitet, der ihn infamerweise „sexueller Belästigung von Kindern“ bezichtigt. Der Dortmunder Journalist Marcus Arndt wird mutmaßlich von Neonazis mit Steinen beworfen, verletzt und mit dem Tode bedroht. Morddrohungen erhält auch Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper, der seit Jahren Nazi-Aufmärschen in seiner Stadt entgegentritt. Und vor der Berliner Privatwohnung der linken Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die sich für Flüchtlinge engagiert, ziehen Rechtsextreme auf.

Sechs Nachrichten, eine Botschaft: Neonazis verschärfen offenbar den Kampf gegen ihre Feinde. Nunmehr geraten Journalisten und Lokalpolitiker verstärkt in deren Visier. Die Methoden werden perfider. Sie reichen von Rufmord in sozialen Netzwerken über Körperverletzung bis zur Morddrohung. Die wirklich neue Qualität dieser drastischen Ereignisse ist jedoch weniger in den Taten selbst zu sehen, sondern darin, dass sie bundesweit Beachtung finden. Das ist bitter nötig, denn die gesellschaftliche Gewöhnung an rechtsextremistische Ideologie und Straftaten geht trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse nach Auffliegen des NSU-Terrors unbeirrt weiter.

„Wir kriegen euch alle“


Dass Journalisten und engagierte Lokalpolitiker von Neonazis attackiert werden, ist nicht neu. Nur wurde das öffentlich lange Zeit kaum zur Kenntnis genommen. Die Journalistin Andrea Röpke hat immer wieder beschrieben, wie sie am Rande von Neonazi-Demos verbal und körperlich angegriffen wurde. In Spremberg wurde mehrfach die Redaktion der Lausitzer Rundschau, die kontinuierlich kritisch über Neonazi-Strukturen vor Ort berichtet, mit antisemitischen Schmähungen und Drohungen wie dieser beschmiert: „Wir kriegen euch alle.“ In der öffentlichen Wahrnehmung war das nicht mehr als eine Randnotiz.

Als der Richter und Bundestagsabgeordnete Jörn Wunderlich (Die Linke) in Limbach-Oberfrohna öffentlich darüber sprach, dass vermummte rechte Gewalttäter sein Wohnhaus belagerten, löste das keinerlei überregionale Reaktion aus, weder bei Journalisten noch bei Politikern. Damals griffen junge Neonazis in der sächsischen Kleinstadt regelmäßig einen von jungen Leuten betriebenen Kulturverein an, warfen Steine auf das verbarrikadierte Vereinsheim, jagten Andersdenkende und zogen „Sieg heil“ grölend durch die Straßen. Die CDU-geführte Kommune sah dem rechten Straßen-Terror lange Zeit tatenlos zu und prangerte obendrein die Opfer wie Täter an. In einem städtischen Gremium wurde diskutiert, die Opfer der Neonazi-Angriffe wegen Missbrauchs des Notrufs zu belangen.

Im sächsischen Geithain zerkratzten Neonazis vor Jahren das Auto der CDU-Bürgermeisterin, weil sich diese offen gegen die gewalttätigen „freien Kräfte“ im Ort ausgesprochen hatte. Aufschrei? Fehlanzeige! Am Bodensee konnte der Gründer der Neonazi-Kameradschaft Sturm 34 unmittelbar vor Auffliegen des NSU neue Kameraden um sich scharen und seine zivilcouragierten Nachbarn terrorisieren, weil das Dresdner Landgericht einen Revisionsprozess gegen seine Neonazi-Bande, die Opfer systematisch mit „Skinhead-Kontroll-Runden“ gejagt und zum Teil lebensgefährlich verletzt hatten, über Jahre aufschob.

Rechtsextremem Psycho-Terror schutzlos ausgeliefert


Das war die Lage vor Auffliegen des NSU: Rechte Straftaten wurden von Polizei und Justiz oftmals nicht als solche gewertet. Vielerorts wurde stillschweigend hingenommen, dass Neonazis ein Angst-Klima herbeiprügelten, das Andersdenkende ihrer Grundrechte beraubte. Wenn jetzt beklagt wird, dass Journalisten und Politiker dem Psycho-Terror der Neonazis schutzlos ausgeliefert sind, ist das auch eine Folge der nachlässigen Ahndung systematischer, politischer Straftaten gegen alternative Jugendliche und engagierte, aber lobbylose Bürger. Im Oktober 2012 musste ein Paar die Stadt Hoyerswerda verlassen. Eine Gruppe Neonazis hatte versucht, die engagierten Bürger in ihrer Wohnung zu überfallen. Ein Polizeisprecher hatte später mitgeteilt, es sei leichter, die Opfer weg zu bringen als wirksam gegen die Gewalttäter vorzugehen. Diese selektiven Kapitulationen des Rechtsstaates müssen rechte Überzeugungstäter seit langem als Ermutigung begriffen haben.

Im Angesicht der NSU-Mordserie sollte alles anders werden: Vom Bundespräsidenten abwärts versprachen Politiker stets die rückhaltlose Aufklärung rechtsextremer Straftaten sowie null Toleranz für Neonazis. Beide Versprechen wurden bis heute nicht eingelöst. An der polizeilichen und juristischen Praxis in Bezug auf rechte Täter und Taten hat sich seither nichts geändert. Beispiel André K. Fünf junge Männer hatten den wehrlosen Obdachlosen im sächsischen Oschatz auf unfassbar brutale Weise mit Schlägen und Tritten malträtiert, so dass er an den Folgen seiner schweren Verletzungen verstarb. Dass der Hauptangeklagte und Wortführer der Schläger zuvor auf einer NPD-Demo fotografiert wurde und ihn ein Foto unter einer Reichskriegsflagge zeigt, bewerte die Leipziger Staatsanwaltschaft als irrelevant für den Prozess und lehnte entsprechende Beweisanträge ab. Ein ideologisches Tatmotiv – nämlich die Abwertung vermeintlich minderwertigen Lebens – konnte das Gericht daher nicht feststellen.

Konsequenzen aus dem NSU-Komplex wie vom Untersuchungsausschuss des Bundestages gefordert? Nicht erkennbar. Was nicht ermittelt wird, verurteilt auch kein Richter. Noch immer klaffen die offiziellen Opferzahlen rechter Gewalt und die unabhängig, etwa von der Amadeu Antonio Stiftung recherchierten, weit auseinander. Die anhaltende Praxis innerhalb der Strafverfolgungsbehörden, auch bei eindeutigen Hinweisen rechte Tatmotive zu vernachlässigen oder gar zu ignorieren, trägt weiter dazu bei, das ganze Ausmaß der rechtsextremen Gefahr zu unterschätzen.

NSU war kein heilsamer Schock


Nach wie vor liefern nichtstaatliche Organisationen ein deutlich schärferes Bild der Lage als staatliche: So verzeichneten die ostdeutschen Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt für das vergangene Jahr einen massiven Anstieg rechter Angriffe. In Berlin stieg die Zahl laut „Reach Out“ von 179 auf 266 an. In Sachsen waren es 257, nach 223 im Vorjahr. Vor allem rassistische Taten nahmen stark zu. In der Pegida-Hochburg Dresden verdoppelte sich die Zahl der rassistisch motivierten Gewalttaten sogar.

Das mediale Aufmerksamkeitsdefizit für die alltäglichen rechten Unerträglichkeiten ist ebenfalls nicht behoben. Die Erfahrung mit dem NSU war kein heilsamer Schock, dem eine sensibiliserte Berichterstattung gefolgt wäre. Im Gegenteil. Die Latte für Relevanz hieß in der Folge Terror. Reporter wurden bei Themenvorschlägen auf Bezüge zum „Terror-Trio“ abgeklopft, wenn sie etwa über die rechte Mobilisierung im Fußball, anhaltenden Straßen-Terror oder die neonazistische Musik-Szene berichten wollten. Hatte eine rechte Gewalttat oder Organisation keine NSU-Bezüge, fielen Themen in Redaktionen oftmals durch.

Ohnehin hat die massive NSU-Berichterstattung nach ihrem Abebben in den Medien das erwartbare, konjunkturelle Schweigen zur Folge. Neonazis waren jetzt für Journalisten erst mal wieder out. Danach kamen Wulff, Syrien, Ukraine-Krise, Isis-Terror, Putin und Pegida. Die Komplexität des NSU-Themas mit Morden, Überfällen, Fahndungsfehlern und Verfassungsschutzbezügen hat dazu beigetragen, dass die rechtsextremistischen Strukturen selbst auf dem Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit unterbelichtet blieben. In Zeiten nachlassenden medialen Interesses kann beim Betrachter leicht der Irrtum entstehen, das Problem habe sich erledigt, weil nicht mehr berichtet wird.

Pegida macht das Demonstrieren mit Neonazis akzeptabel


Pegida hat einen weiteren gefährlichen Gewöhnungseffekt erzeugt. Zum einen wurden klassische rechtsextreme Ideologiebausteine wie Nationalismus und völkischer Rassismus plötzlich gesellschaftlich diskursfähig. Seite an Seite mit Neonazis zu demonstrieren, schien über Nacht ebenfalls akzeptabel, solange die Neonazis wie in Dresden nicht die Mehrheit der Demonstranten stellten. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hat in Interviews fortwährend den absurden Eindruck erweckt, bürgerliche Fremdenfeindlichkeit sei per se weniger radikal und problematisch als die von Neonazis. Anstatt den Tabubruch durch Gebrauch des Nazi-Jargons „Lügenpresse“ deutlich beim Namen zu nennen, haben Patzelt und andere Verständnis für die antidemokratische, antipluralistische Pegida-Pose geäußert. Durch die „Lügenpresse“-Kampagne von Pegida hätten Schmähungen und Beschimpfungen von Journalisten etwa in sozialen Medien neuen Auftrieb bekommen, analysiert Hendrik Zörner vom Deutschen Journalistenverband (DJV).

Die Hemmschwelle ist gesunken. Für anonymen Hass im Netz, aber offenbar auch für zielgerichtete Gewalttaten auf offener Straße wie in der Dortmunder Innenstadt, wo der Journalist Marcus Arndt angegriffen und massiv bedroht wurde. Die gesellschaftliche Botschaft, Neonazis weitgehend gewähren zu lassen und ihre Themen zu übernehmen, hat offenbar einen Eskalationsprozess begünstigt. Auf den Demos des Leipziger Pegida-Ablegers Legida konnten Neonazis und Hooligans Reporter bedrängen und an ihrer Arbeit hindern. Polizisten in Kampfanzügen standen daneben und griffen nicht ein. Ein Fotograf wurde von einem Hooligan gejagt und zu Boden getreten. An jenem Abend wurden zwar mehrere Tausend Beamte in Leipzig aufgeboten, um die Demo abzusichern, aber keiner verhinderte den Angriff auf den Journalisten oder griff ein. Das ist das Gegenteil von „null Toleranz“.

Das ist Ermutigung.

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