- Die gefährliche Willkommenskultur
Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Sind wir zu nett zu den Wölfen? Eine Willkommenskultur hat dazu geführt, dass der Wolf seine Angst vor dem Menschen ablegt, sagen Experten. Das birgt Gefahren – für Mensch und Tier
Ein gellender Schrei weckt mich. Mal ist es zwei Uhr, mal vier Uhr – immer mitten in der Nacht. Dann murmele ich: Nein Liebes, es gibt keine bösen Hexen, keine Gespenster, keine Monster. Ich schaue unter Bettdecken nach aggressiven Hähnen („Eben gerade war er noch da!“) und in unserem vergangenen Stadtleben in Berlin schloss ich Türen ab, damit der Fuchs nicht hereinkäme. In den Träumen sucht das Böse die Kinder heim. Kinderängste halt. Das geht vorbei, dachte ich.
Jetzt aber habe ich vom Wolf geträumt. Plötzlich stand er in meinem Wohnzimmer. Gegenwärtig sind mir noch immer seine gefletschten Zähne, die gierigen Augen, das struppige graue Fell. Und nun? Klar, kein Rotkäppchen mehr vor dem Einschlafen. Aber sonst?
Die Angst ist real
Die Angst vorm Wolf ist keine mehr, die aus Kindermärchen geboren wird. Sie ist real. Unsere Kreiszeitung berichtete vor einigen Monaten von einem einzelnen Wolf, der einer Mutter im Garten erschienen sei. Kurz darauf zitierte das Blatt einen entfernten Nachbarn, der schon länger ein Wolfsrudel an einer Waldlichtung nahe seines Hauses beobachte. Die Geschichten spielen keine drei Kilometer von unserem Hof entfernt. Für einen Wolf, der 70 Kilometer am Tag zurücklegt, nicht viel. Er ist sicher schon mal vorbeigekommen auf seinen Streifzügen. Mit seinen scharfen Ohren und der großen Nase kann er kilometerweit riechen und hören. Er weiß um unsere Schafe, Gänse und Hühner.
35 Wolfsfamilien gibt es Schätzungen des Naturschutzbundes zufolge in Deutschland. Zu einem solchen Rudel gehören neben Mutter, Vater und den Kindern meist noch ein paar Nesthocker vom vergangenen Jahr, so dass wir auf etwa 300 Wölfe in der Bundesrepublik kommen. Mit dem „Hüter des Waldes“, wie ihn der WWF nennt, ist ein Puzzleteil in unserem Ökosystem zurück, das lange Zeit gefehlt hat. Der Canis Lupus findet genügend Wild in den umliegenden Wäldern, frisst vor allem alte und kranke Tiere und sichert so ein natürliches Gleichgewicht. Er gilt als scheu aber neugierig. Gefährdet, so heißt es bei seinen Fans, seien nur die Schafe auf den Weiden. Und hier zahlt die Politik Ausfallprämien, wenn er mal zuschlägt.
Also gibt es keinen Grund, den Wolf zu fürchten. Eigentlich. Aber dieses „eigentlich“ ist unheimlich genug. Denn das Raubtier verliert zunehmend seine Angst. In den vergangenen Tagen riss ein Wolf vier Schafe einer schleswig-holsteinischen Herde, zwei von ihnen starben. Und etwas war neu: Es geschah am helllichten Tag und das Tier ließ sich erst durch Gummigeschosse durch Menschen vertreiben. Im niedersächsischen Vechta, wo bereits 60 Schafe gerissen worden sind, wird seit einigen Tagen ein Waldkindergarten mit bunten Flatterbändern vor einem neugierigen Wolf aus der Gegend geschützt und eine Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch, nachdem sie mit zwei Hunden an der Leine auf ein sehr neugieriges siebenköpfiges Rudel junger Wölfe traf, die sie freundlich aber hartnäckig eine Zeitlang ihres Weges begleiteten.
Keine Angst mehr vorm Menschen
Die Wölfe in diesen Geschichten sind nicht aggressiv, aber eben auch nicht ängstlich. Unsere Willkommenskultur hat dazu geführt, dass der Wolf seine Angst vor dem Menschen ablegt, warnt Eckhard Fuhr, Autor des Buches die „Rückkehr der Wölfe“. War er für die Jäger- und Sammlervölker noch ein Bruder mit ähnlichen Raub-, Jagd, und Familienstrukturen, wurde er mit dem Umstieg auf Ackerbau und Viehzucht zum Konkurrenten, zum fremden feindlichen Wesen. Und so zum bösen und bejagten Isegrimm.
Nun aber muss das Zusammenleben von Wolf und Mensch erst wieder einen natürlichen Charakter annehmen. Das bedeutet, dass alle Beteiligten begreifen: Der Wolf kann nicht des Menschen Freund sein. Aber eine Gesellschaft, die dazu tendiert, Tiere allzu sehr zu vermenschlichen, muss dabei vieles erst wieder lernen. Der schleswig-holsteinische Wolf ist jetzt als erstes Tier in Deutschland zum Abschuss freigegeben – „wenn Gefahr für Leib und Leben“ bestehe.
Arte zeigte vergangene Woche die Dokumentation Wolfsschluchten über das Leben der Wölfe im Norden Spaniens. Schöne Bilder aus der Wildnis, die Kommentare der Zuschauer ausnahmslos positiv: „Schön“, „Traumhaft“, „Merken wir uns als Urlaubsort“, hieß es.
Spanien ist weit weg. Aber ob ich meine Kinder künftig im niedersächsischen Wald alleine lasse? Auf jeden Fall sind mir Hänsel, Gretel und Rotkäppchen gerade zu krass.
Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.
Danke für die mutige Meinung, auf die Sie anzunehmenderweise nicht wenige unfreundliche (gelöschte) Kommentare ernteten! Selbstzensur - die beim Thema Wolf auch in Redaktionen ganz sicher eine erhebliche Rolle spielt - tut niemandem gut. Der "Wolf im Garten" , dessen Bericht Sie oben noch (korrekt) als Möglichkeitsform behandeln, während Sie den "Hüter des Waldes" (nur weil viele davon reden?) dagegen als Tatsache behandeln, ist jetzt - und später sicher auch in Plural - bereits Realität. Zäune sind kein Hinderungsgrund, bis zu 3 Meter Zaunhöhe und mehr. Ob das nur ein weiteres "Märchen" eines "Wolfshassers" ist und welche Märchen von der Gegenseite so erzählt werden, erfahren Sie unter meinem Namen auf Youtube. Mehr Material zum Thema finden Sie u.a. in der Beschreibung zum Video "Wölfe im Garten - Vertrauen Sie den Ideologen?" sowie der Playlist "Wölfe - Unzensiert". Mit freundlichen Grüssen und ja, lassen Sie Ihre Kinder nicht im Wald spielen, auch wenn Sie dafür belächelt werden.