- Wer schweigt, ist cool
Sonntagskolumne Stadt, Land, Flucht. Wer schweigt, demonstriert Coolness und Kontrolle. Wir wissen das – und trotzdem fällt es uns wahnsinnig schwer. Auf dem Land aber kann man das Stillsein üben
Es gibt ja Menschen, die nicht besonders viel erzählen. Die sprechen nur, wenn es nötig ist oder wenn sie betrunken sind. Ich bin mit so einem verheiratet. Aber Bauer B. hat eine andere Dimension erreicht. Da saßen wir beim Kaffee und stellten ihm eine Frage. Ich glaube, es ging darum, wie feucht das Heu sein darf, wenn man es einlagert. Bauer B. schwieg. Kein unfreundliches Schweigen. Einfach schweigen. Irgendjemand anders sagte etwas, das Gespräch ging in eine andere Richtung.
Netzwelt vs. Landleben
Am nächsten Tag stand B. plötzlich auf unserem Hof und sagte: „Ihr habt mich etwas gefragt.“ Und dann antwortete er. Er hatte sich Zeit gelassen. Die Zeit, die er brauchte, um einen klaren Gedanken zu fassen. Ohne sich unter Druck setzen zu lassen. Ich bewundere ihn dafür. Und es verunsichert mich. Ich kann das nicht. Wird am Tisch geschwiegen, fange ich an zu reden, ob früher beim Mittagessen mit Kollegen oder heute am Kaffeetisch mit Landwirten aus der Nachbarschaft. Das ist nicht immer klug, aber ich kann nicht anders.
Wer heute schweigt, fällt aus dem Rahmen. Der Cicero widmete dieser ungewöhnlichen Eigenschaft der Kanzlerin bereits einen Titel. Bauer B. und sie würden sich gut verstehen, wenn auch vielleicht nicht politisch. Ich dagegen fiel mit meinem Rededrang in unserer verquatschten Netzwelt bisher nie besonders auf. Da laufen Diskussionen um Markus Lanz und Julia Engelmann innerhalb von Tagen heiß, nie verebbt der Strom der Eilmeldungen, die verheißen, ob Michael Schumacher noch schläft oder schon blinzelt. Hier auf dem Land dagegen fühle ich mich manchmal verkehrt. Während ich in meinem Büro innerhalb von drei Tagen Persönlichkeiten dabei zuschaue, wie sie in den Facebookhimmel gehoben werden und dann krachend wieder zu Boden fallen, bringen draußen beim Nachbarn die Kühe im Durchschnitt ein Kälbchen zur Welt und geben sechs mal Milch.
Diese Milch wollte ich neulich mit meiner silbernen Kanne holen, als ich ein Muhen hörte. In der größten Box, abgetrennt von den anderen Kühen, stand eine Mutterkuh mit ihrem Kalb. Es war noch feucht, von Mutter und Kind hing jeweils noch ein Teil der Nabelschnur herab. Die Kuh muhte aufgeregt, das Kalb versuchte vergeblich, das Euter zu erreichen. Ich – ganz die kribbelige Ex-Städterin – eilte in den Stall und erzählte dort, was ich beobachtet hatte. Meine nervösen Schilderungen wurden lakonisch pariert – „Ja, das hast du sehr gut beobachtet. Das ist alles sehr aufregend.“ – dann fuhr man mit dem Melken der anderen Kühe fort.
Nach harter körperlicher Arbeit redet man weniger
Es fühlte sich an, als hätte Sascha Lobo einen Post abgesetzt und dafür kein einziges Like bekommen. A propos: Zu meiner Schafszüchterfreundin, die sich für das Faslam – eine norddeutsche Version des Karneval – verkleidetet hatte, sagte ich neulich: „Du siehst aus wie Sascha Lobo.“ Sie daraufhin: „Sascha wer?“ Ähnliches habe ich das letzte Mal erlebt, als ich auf dem Steinfußboden einer senegalesischen Behausung Pommes Frites aß und mein Kommentar „Schmeckt wie bei McDonalds“ nur verständnislose Blicke erntete.
Nun musste ich in der vergangenen Woche meinen Mann auf dem Hof vertreten. Pünktlich nach seiner Abfahrt froren die Tränken zu, der Trecker soff ab und aufgeregte Kunden sorgten sich darum, dass ihre Tiere verdursten würden, jetzt, da kein Mann auf dem Hof war. Ich tat mein Bestes, hackte Eis, überbrückte Kabel, verschob Baumstämme und verteilte Heuballen.
Aber als nach all der körperlichen Arbeit plötzlich wieder jemand vor mir stand, dem ich zu erklären hatte, was ich gerade tat, warum ich das tat und was ich danach vorhatte, da merkte ich, wie ich langsam müde wurde. Mein Redefluss kam ins Stocken. Ich dachte an Bauer B. Und dann schwieg ich.
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