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Medien - Warum Amazon den Journalismus retten könnte

Seit der Amazon-Gründer die Washington Post gekauft hat, jammern Deutschlands Medien noch lauter. Sie sollten ihre Zukunft selber in die Hand nehmen. Das Vorbild? Amazon

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Als die Rechnung seiner Kreditkartenfirma kam, war Amazon-Gründer Jeff Bezos außer sich. 250 Millionen Dollar – ein „reiner Wahnsinn“. „Ich wollte die Washington Post auf gar keinen Fall kaufen. Ich lese sie nicht einmal!“ Bezos habe sich doch nur unachtsam durch die Post-Webseite geklickt. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich nicht weiß, wie das in meinen Warenkorb gekommen ist.“

Der bislang spektakulärste Deal im US-Zeitungsmarkt ist so unglaublich, dass man auch einmal auf eine frei erfundene Szene wie diese hereinfallen kann. So erging es einigen chinesischen Medien, darunter der Nachrichtenagentur Xinhua: Sie verbreiteten die Satire des Komikers Andy Borowitz im New Yorker, wonach der 49 Jahre alte Bezos die Washington Post ungewollt beim Onlineshopping erworben habe, als echte Meldung.

In Deutschland konnte darüber aber niemand so richtig lachen.

Die Branche reagierte entsetzt, dass die Post ausgerechnet an ein Internetunternehmen verkauft wurde. Die Frankfurter Allgemeine geißelte Bezos als Monopolisten, „der die Buchbranche vernichtet“, und fragte sich, ob Lenin nicht doch recht behalten habe: „Die Welt wird bestimmt von einer Finanz-Daten-Online-Oligarchie, mit besten Verbindungen zum Geheimdienst.“ Der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner nannte den Kaufpreis der Washington Post während einer Telefonkonferenz mit Analysten „schockierend“ niedrig.

Ein Markenartikel zum Schnäppchen-Preis


Döpfner und seine Kollegen sehen das Ende einer Ära. Die Washington Post galt jahrzehntelang als Flaggschiff des investigativen Journalismus. Hier heuerte Joseph Pulitzer an, Namensgeber des wichtigsten US-Journalistenpreises; hier deckten Carl Bernstein und Bob Woodward den Watergate-Skandal auf.

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Doch Eigentümer Donald Graham sah für sich und seine Zeitung keine Zukunft mehr. Der Verlegererbe mit Harvard-Abschluss wurde sich mit dem Selfmademilliardär von Amazon schnell handelseinig: Jeff Bezos schnappte sich den Markenartikel zum Tiefstpreis. „Bei 188 Millionen Euro – dafür hätte ich die Washington Post auch gerne genommen“, sagte Springer-Chef Döpfner noch während der Telefonkonferenz mit den Analysten.

Eine überraschende Bemerkung. Schließlich hatte die Axel Springer AG erst zwei Wochen zuvor selbst zwei Qualitätszeitungen verkauft: die Berliner Morgenpost und das Hamburger Abendblatt, die erste von Verleger Axel Springer gegründete Zeitung. Dazu veräußerte der Konzern noch fünf Programm- und zwei Frauenzeitschriften. Kosten: 920 Millionen Euro. Ein Geschäft auf Pump. Denn das Geld hat die Käuferin, die Essener Funke Mediengruppe, eigentlich gar nicht.

Der Milliardendeal nährte die Furcht vor einem Ausverkauf des Journalismus: Wenn Deutschlands größter Verlagskonzern nur noch an Bild und Welt festhält, heißt das dann nicht, dass er im Printgeschäft eigentlich keine Zukunft mehr sieht?

 

Auch viele Journalisten der Funke-Gruppe fürchten um ihre Jobs: Springers Welt soll bald auch Inhalte für den Essener Verlag liefern. In den Funke-Redaktionen erinnert man sich noch mit Schrecken an den Sparkurs der hauseigenen Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vor vier Jahren. Damals wurden in mehreren Sparrunden hunderte Stellen gestrichen.

Der nordrhein-westfälische Verlag hatte damit auf Entwicklungen reagiert, die die gesamte Branche erfassen. Nicht nur die Kostenloskultur im Internet frisst Löcher in die Bilanz. Vor allem brechen Werbeerlöse weg. Denn Unternehmen erreichen ihre Kunden über das Internet mittlerweile zielgenauer als über Printmedien.

Die Folge: Verlage investieren zunehmend selbst in Shopping- und Serviceportale. 2012 erwirtschaftete Springer im Internet über eine Milliarde Euro – mehr als in jedem anderen Geschäftsbereich. Das Geld verdienten aber nicht bild.de oder Welt Online, sondern Rubrikenmärkte wie immonet.de oder stepstone.de. Wenn die Axel Springer AG verkündet, bald „das führende digitale Medienunternehmen“ Deutschlands zu werden, hat das wenig mit Journalismus zu tun.

Sind die Entwicklungen bei Springer und bei der Washington Post also wirklich schlechte Nachrichten für die Medienindustrie?

Nicht unbedingt.

Die Krise bietet auch neue Chancen


Zum einen lässt sich in der Bemerkung Döpfners auch ein Bekenntnis zum – printbasierten – Recherchejournalismus lesen. Zum anderen begrüßt sogar ein alter „Watergate“-Haudegen den Amazon-Deal. Bob Woodward sagte, er hoffe, dass die Washington Post künftig journalistische Werte mit „dem gesamten Potenzial des digitalen Zeitalters“ verbinden könne.

Jeff Bezos wäre das zuzutrauen: Sein Erfolg beruht auf der Vermarktung immaterieller Güter. Er begann als Buchhändler, baute ein Vertriebswesen auf, erfand das „Kindle“ und eine Plattform für Selbstautoren. Bezos ist längst ein Verleger. Der Schritt ins Nachrichtengeschäft ist da nicht nur logisch, sondern geradezu genial.

Für die Washington Post bieten sich völlig neue Vertriebsmöglichkeiten. Über Koppelangebote könnten ihre Inhalte den Verkauf des Amazon-Lesegeräts ankurbeln. Es könnten Aboempfehlungen in der Kategorie „Kunden, die dies gekauft haben, kauften auch …“ auftauchen. Das ausgeklügelte analoge Vertriebsnetz von Amazon könnte sogar für das Printprodukt lebensverlängernd wirken – indem das Unternehmen seinen „Prime“-Kunden die Zeitung als Bonus frei Haus liefert. Von Amazon-Themen-Specials mit per Post versandten DVDs über den Aufbau einer eigenen Suchdatenbank wäre alles denkbar.

Apple hat es mit iTunes in der Musik­industrie vorgemacht: Da war sie plötzlich, die leicht zu bedienende Bezahlplattform, auf die alle Plattenfirmen gewartet hatten und an die keiner mehr glauben wollte. Viele Nutzer, die zuvor ihre Songs raubkopiert hatten, zahlten dank Apple wieder für Musik.

Deutsche Verlage sollten angesichts dieser Potenziale nicht länger über den Untergang ihres Geschäftsmodells jammern. Sie sollten selbst über den Aufbau eines eigenen großen Digitalkiosks nachdenken.

Keine Chance gegen Amazon? Das Image des Unternehmens in Deutschland  leidet doch gerade deswegen, weil es zu miserablen Bedingungen arbeiten lässt und die Preise für Bücher brutal drückt.

Die Frage, wie die Washington Post künftig über solche Zustände im eigenen Haus berichten wird, ist noch nicht beantwortet. Auch nicht die, ob Jeff Bezos die Meinungsmacht seiner Zeitung zur Durchsetzung von Geschäftsinteressen nutzen wird.

Wer bei Amazon shoppt, gibt Daten preis, für die sich die NSA interessiert – auch das könnte zum Wettbewerbsnachteil werden. Gerade haben T-Online, GMX und Web.de eine „E-Mail made in Germany“ vorgestellt. Sie soll bald nur noch verschlüsselt verschickt werden. Auch wenn es bei der Umsetzung noch hapert: Es ist ein Anfang.

Warum können sich deutsche Verlage nicht für ein ähnliches Projekt zusammentun? Für ein „Amazon-iTunes made in Germany“? Ein Vertriebskanal könnte das sein, den jeder deutschsprachige Nutzer zuerst ansteuert, auf dem er Zeitungen und Magazine einkaufen, spielen, in Büchern stöbern und sich die individuellen Nachrichten all seiner Lieblingsseiten selbst zusammenstellen kann – das wäre doch mal was. Diese Plattform würde damit werben, dass sie die Daten ihrer Nutzer schützt. Mit Blick auf Amazons vertikale Angebotspalette müssten die Verlage aber auch mit anderen Händlern zusammenarbeiten. Erfahrungen gibt es da, deutsche Verlage verkaufen längst auch Rotwein und DVDs.

Um ein solches Portal zu entwickeln, müssten die beiden Interessenvertreter der Presse – der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger – eine gemeinsame, innovative Spezialeinheit einrichten. Oder ist das zu viel verlangt? Vielleicht wäre eine gemeinsame Tochter der wichtigen Verlage der bessere Weg.

Ein gemeinsamer Digitalkiosk? Eine realistische Chance!


Der Haken: Ein derartiges Kooperationsmodell hätte eine marktbeherrschende Stellung. Das Bundeskartellamt würde ziemlich sicher tätig, die Behörde in Bonn untersagte ja auch die Fusion von Tagesspiegel und Berliner Zeitung.

Andererseits: Ist der Wunsch nach heimischer Pressevielfalt nicht naiv, wenn Amazon auch den hiesigen Medienmarkt erobert? Gegen iTunes, Facebook und Google rennen deutsche Datenschützer und deutsche Verlage bereits vergeblich an.

Aus gutem Grund gibt es im Vertrieb schon seit der Nachkriegszeit staatlich geduldete Monopole: das Pressegrosso. Das sind Zwischenhändler, die in ihrem jeweiligen Vertriebsgebiet bestimmen, welche Zeitschriften in den Kiosks ausliegen. Sie unterliegen der Preisbindung der Verlage – und sichern so die Pressevielfalt in Deutschland. Ohne die Grossisten hätte es auch Cicero vor neun Jahren deutlich schwerer gehabt, seine Leser zu finden.

Man müsste für einen Onlinekiosk der deutschen Verlage nicht einmal das Gesetz ändern. Denn im Kartellrecht existiert die Möglichkeit der sogenannten „Minister­erlaubnis“. Philipp Rösler (oder ein Nachfolger) könnte mit diesem Instrument eine Kooperation zum Wohle der Meinungsvielfalt erlauben.

Nicht umsonst hatte sich der Holtzbrinck-Verlag des Tagesspiegels damals an Wirtschaftsminister Wolfgang Clement gewandt. Doch der folgte im Wesentlichen dem Bundeskartellamt. Das war 2002. Damals waren Amazon und Google noch Winzlinge; iTunes war gerade ein Jahr alt. In der Zwischenzeit sind die Start-ups zu Webgiganten herangewachsen.

Ein digitaler Kiosk der deutschen Verlage müsste auch erst wachsen. Er wäre mehr eine unternehmerische als eine juristische Herausforderung. Sie könnte sich lohnen.

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