- „Schimanski war revolutionär“
Die Kieler Tatort-Ermittler sieht der schleswig-holsteinische SPD-Vorsitzende am liebsten: Ralf Stegner über seine große Tatort-Leidenschaft, darüber, ob die Folgen früher besser waren und was er von Til Schweiger als neuem Kommissar hält
Herr Stegner, Sie haben sie alle: 852 Filme, die Tatorte
von 1970 bis 2012. Warum das?
Das ist sicherlich eine Marotte. Ich habe den Tatort von Beginn an
erst bei meinen Eltern geguckt, später dann alleine und fand ihn
immer klasse. Er hat mir deutlich besser gefallen als amerikanische
oder andere Krimis. Dann habe ich angefangen alles aufzunehmen, mit
den Wiederholungen mehr und mehr mein Repertoire ergänzt,
irgendwann alles auf DVDs überspielt und einen Jägerehrgeiz
entwickelt, so dass ich auch noch die restlichen Sammlerstücke
besorgte.
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Welche waren am Schwersten zu bekommen?
Österreichische oder Schweizer Tatorte zum Beispiel. Die sind
schwieriger zu besorgen als die vom NDR. Ich habe viel
herumtelefoniert, meistens haben mir am Ende freundliche Damen
geholfen und manchmal auch Aufzeichnungen besorgt obwohl sie das
gar nicht durften. Da will ich jetzt lieber nicht jeden Weg
beschreiben...
[gallery:Die 20 Cicero-Cover zum Tatort]
Unter vielen Tatortfans gehört es dazu, sich nach jeder
Ausstrahlung darüber auszulassen, dass die Tatorte früher besser
waren. Sie müssten es wissen, oder?
Ich finde das nicht. Natürlich gibt es welche, die einem
besser gefallen als andere. Nicht jedes Drehbuch, jede Geschichte,
jedes Thema ist gleich gut oder reizt einen. Aber wenn man den
Tatort mit anderen Serien vergleicht, ist er immer noch deutlich
realistischer, vielfältiger und politischer. Ob Kindesmissbrauch,
Asylrecht, Kriegseinsatz in Afghanistan, der Umgang mit Neuen
Medien, die alternde Gesellschaft oder Fußball – was politisch
relevant ist, kommt auch vor. Und zwar nicht nur in den schicken
Münchener Gegenden, die man von Derrick kennt sondern in
Ludwigshafen am Rhein, in Münster, Kiel, Berlin oder München. Das
ist schon ziemlich konkurrenzlos.
Welches Bundesland kommt im Tatort am
besten weg?
Schleswig-Holstein kommt natürlich sehr gut weg, mit seinen
wundervollen Bildern, mit Kiel, dem Meer. Der Kommissar (Axel
Milberg als Klaus Borowski, Anm. d. Red.) wird vielleicht noch ein
bisschen grummeliger dargestellt als es die Norddeutschen sind,
aber schlecht ist das auch nicht. Nordrheinwestfalen hat mit seinen
vielen verschiedenen Regionen auch einiges zu bieten von Köln, dem
Ruhrpott bis nach Münster. München oder Berlin werden auch anders
dargestellt als in vielen anderen Serien. Frankfurt mit seinen
guten Drehbüchern, mit Joachim Król und Ulrich Tukur ist natürlich
erste Liga.
Ihr Lieblingskriminalist?
Ich fand den Finke (Kieler Kommissar aus den 70er Jahren, Anm. d.
Red.) hervorragend. Aber passend zu meinem damaligen Alter hat mir
natürlich auch Götz George als Schimanski sehr gut gefallen. Das
war revolutionär, ein Stück Jugendkultur ins Fernsehen zu bringen,
die man sonst nur aus Kinofilmen kannte.
Die schlimmste Personalentscheidung in Sachen
Kommissarbesetzung? Til Schweiger hat ein ziemliches Raunen in der
Tatort-Szene ausgelöst...
Ich bin auch nicht sicher, dass das klappt mit dieser Methode, sich
einen Kinostar zu holen und zu glauben, dass er das mal so eben
kann. Und dann kommt der auch gleich mit Vorschlägen, was man so
alles anders machen muss – in der Regel geht so etwas daneben. Ein
guter Schauspieler schlägt eben nicht immer ein. Trotzdem guck ich
mir das an, mal schauen.
Seite 2: Ist Stegner beim Tatort-Gucken eher der gesellige Typ oder der ruhige?
Vermissen Sie auch noch Maren Eggert alias Frieda Jung
an der Seite von Axel Milberg alias Borowski?
Die hat das richtig klasse gespielt, hat mir gut gefallen. Obwohl
ich die Neubesetzung mit Sibel Kekilli als Sarah Brandt auch nicht
schlecht finde. Vielleicht wollte man dem unterkühlten Part etwas
entgegensetzen – das ist dann künstlerische Freiheit der
Macher.
So abgebrüht sind Sie da als Tatort-Fan?
Naja, nicht immer. Natürlich gucke ich mir auch an, wie Politik
dargestellt wird. Am Sonntag wird ein Tatort mit einem wohlhabenden
Staatssekretär gezeigt und der ist korrupt. Da ich selber einmal
Staatssekretär war, würde ich das nicht bestätigen wollen. Die
meisten Staatssekretäre, die ich kenne, sind eher ordentliche
Leute. Da ist das Milieu ein bisschen überzeichnet, gerade was das
Materielle angeht. Das ist aber nicht tatorttypisch sondern typisch
für die Darstellung von Politik in Fiktion.
Das
bemängeln viele Berufsgruppen, etwa auch
Staatsanwälte, die bei den Tatorten nicht gut weg
kommen...
Andererseits werden grüne Polizisten heute nicht mehr als Deppen
dargestellt, so wie früher. Mein Schwiegervater, der Polizist war,
hat sich in den 70er Jahren darüber sehr aufgeregt.
Ihre Eltern zeigten bereits in den
70ern in ihrer eigenen Gastwirtschaft sonntagabends den Tatort. Was
sind Sie für Typ: Haben Sie es gern gesellig zum Tatort oder muss
im Wohnzimmer heilige Ruhe herrschen und niemand
darf dazwischen quatschen?
Meistens guck ich schon zuhause und das auch am liebsten. Aber es
kommt schon mal vor, dass ich eingeladen werde, weil sich meine
Vorliebe herumspricht. Ich hab mir schon Premieren im Kino
angesehen und ein paar der Tatortkommissare kennen gelernt. Zum
Beispiel die Kölner, die Dresdener, Mario Kopper aus Ludwigshafen.
Mit denen ein Bier zu trinken und festzustellen, dass die sich
teilweise selbst spielen, ist schon witzig.
Was sagt es über ein Land aus, das alle
gesellschaftlichen Fragen nur noch mithilfe eines Leichenfundes in
den Wohnzimmern erörtert?
Ich sehe das gar nicht so kritisch. Es ist doch die alte Geschichte
mit der gut gemachten Unterhaltung: Wenn es darum geht, wie sich
unsere Soldaten in Afghanistan fühlen und diese Diskussion so in
die Familien getragen wird, finde ich das richtig gut. Ich vermute,
manche Leute denken über bestimmte Dinge wie Rassismus oder
Zustände im Pflegeheimen sonst nicht nach. Und so bleibt vielleicht
etwas hängen.
Das Interview führte Marie Amrhein
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