- Wenn der Westmann zweimal klingelt
Bert Rebhandls Band über die Geschichte des Western erzählt von den Mythen des Genres – und versöhnt die Theorie mit der Kritik
Früher nannte man es Schwarzweißmalerei, heute heißt es binäre Codierung: dass es in einem Western Helden und Schurken gibt, Nähe und Weite, Kulturland und Prärie. So unversöhnlich, wie sich dort oft Siedler und Indianer gegenüberstanden, so begegnen sich heute Filmkritik und Filmtheorie. Kritiker sehen sich gern in der Rolle der Pioniere. Mit forscher Hand, mit Axt oder Machete, schlagen sie Schneisen durch den Wildwuchs der Filmproduktion. Finden sie dabei ein rares Pflänzchen, benennen sie es, bevor es ein anderer tut und ziehen weiter. Von den Theoretikern, die sie heimlich um ihren Status beneiden, fühlen sie sich oft bestohlen. Den offenen Konflikt aber scheuen sie, denn über akademische Weihen und entsprechend spezialisierte Munition verfügen sie so wenig wie ein Scout über ein Offiziersabzeichen der Kavallerie. So kommt es, dass Kritiker und Theoretiker zwar das gleiche Territorium beackern, aber sich dort nur selten begegnen.
Auch wenn die Mehrzahl der in Bert Rebhandls Reader «Western. Genre und Geschichte» vertretenen Texte der Theorie-Sparte zugehörig sind, leistet das Buch Erstaunliches: Es bringt beide Lager einander näher. Ja, man kann sich durchaus vorstellen, dass dieses Buch, obwohl es sich zunächst an Kulturwissenschaftler richtet, gerade von Cinephilen geschätzt wird. Zugegeben, Vorurteile gegen die Filmtheorie finden hier reichlich Nahrung: dass zeitgenössische Theoretiker stets über dieselben bekannten Filme und Regisseure schreiben – und das, obwohl sie gleichzeitig nichts mehr verachten als Regisseurskunde und «politique des auteurs». Auch ohne Register sind die Vorlieben in diesem Band klar erkennbar: Niemand schreibt über Allan Dwan, aber alle über John Ford, Samuel Fuller, Sam Peckinpah.
Ist der Scout gut oder böse?
Eine Ausnahme ist der schöne Beitrag über den Surrealismus, den Scott Simmons in den B-Western der 1930er Jahre ausmachen will. Und auch die Filmtheoretikerin Pam Cook reitet in «Frauen und der Western» notwendigerweise auf einigen weniger ausgetretenen Pfaden. Feministische Texte sind oft Fundgruben für Fans, weil in ihnen Filme vorkommen, die kaum jemand kennt. Indem sich die Blickrichtung auf die Rollenzuweisungen änderte, wird auch die Kanonbildung der Filmgeschichte hinterfragt. Das führt zu einer Begegnung mit Burt Kennedys Western «Hannie Caulder», auf Deutsch «In einem Sattel mit dem Tod». Und Brian Hendersons klassischer Aufsatz «The Searchers. Ein amerikanisches Dilemma» zeigt: Es ist sehr wohl möglich, über den wohl meistdebattierten Western – deutsch: «Der Schwarze Falke» – Eigenständiges zu sagen, wenn man nur einmal aufhört, ihn als gebrochene Heldengeschichte der von John Wayne verkörperten Hauptfigur zu lesen.
Der US-amerikanische Autor Richard Slotkin schließlich vermittelt in seinem Beitrag «Der Western ist amerikanische Geschichte» die wechselnden politischen Dogmen des «Frontier»-Gedankens, des Grenzlandes, das für das US-Kino der Kriegs- und Nachkriegszeit von größter Bedeutung war. Dieses Kapitel seines kulturhistorischen Standardwerks zur amerikanischen Geschichte, «Gunfighter Nation», ist eine unerwartete, aber überaus sinnvolle Ergänzung für ein Filmbuch.
Kein Western-Fan wird dieses Hintergrundwissen verschmähen. Andererseits bleiben grundsätzliche Vorbehalte gegenüber jedweder Genre-Theorie bestehen: Wie sollte ein Begriff zu fassen sein, der selbst nur auf einer vagen filmkritischen Übereinkunft beruht: Was ist überhaupt ein Western? Wer hat das jemals festgelegt? Fällt Robert Altmans Schausteller- und Gesellschaftsportrait «Buffalo Bill und die Indianer», dem der Herausgeber Bert Rebhandl viel Platz einräumt, überhaupt in diese Kategorie? Und wie viel Unbefangenheit gehört zu einer Formulierung wie: «Der Scout (eine im Western insgesamt schlecht angesehene Figur zwischen den ‹reinen Lebensformen›) …»?
Waren nicht in der langen Geschichte des Genres zwischen «The Big Trail» (1930) und «Jeremiah Johnson» (1972) diese Außenseiterfiguren immer wieder besondere Sympathieträger? Oder erscheint das nur dem lesenden Filmkritiker so, der sich zu gern mit diesen einsamen Suchenden identifiziert?
Es ist der Widerspruch jeder Genre-Theorie, dass sie nach generalisierenden Aussagen sucht, die sich in der Fülle des Materials nie beweisen ließen. Dieses Buch aber ist ein Lesevergnügen, besonders bei den Texten, die Bert Rebhandl selbst übersetzt hat – und in denen der «Westerner» noch wie in seligen Karl-May-Tagen ein «Westmann» ist.
Bert Rebhandl (Hg.)
Western. Genre und Geschichte
Zsolnay, Wien 2007. 364 S., 24,90 €
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