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Subkulturen - Liebeserklärung an den Hipster

Der Hipster nervt, heißt es, gibt seinen Kindern blöde Namen, ist albern, dumm und unoriginell. Unsere Bauernhof-Kolumnistin Marie Amrhein wäre trotzdem froh, wenn sie auf dem Land mal einen zu Gesicht bekäme

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Jetzt ist es soweit, unser Landei-Status zementiert sich: Wir haben den ersten Trend verpasst. In der Stadt, so hören wir, ist der Gemüsesmoothie auf dem Vormarsch. Wer etwas auf sich und seine Gesundheit hält, erstehe eine moderne Häckselmaschine und stelle in Heimarbeit einen chlorophyllhaltigen Vitaltrank her. Schlanke, schöne Menschen mit glänzenden Haaren und gesunden Zähnen schlucken Brennnessel, Giersch und Grünkohl im Glas. So berichtet uns der Besuch aus der Stadt.

So ein Gemüsesmoothie-Trend ist nichts Weltbewegendes, kann man nun sagen, die nächste Modeerscheinung kommt eh und ohne die geht es auch, sehr gut sogar. Aber dieses Gefühl, etwas nicht mitbekommen zu haben, das da in den Städten vor sich geht, ist auch ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, wie sich nach dem ersten Jahr euphorisierten Landlebens zarte Mankos bemerkbar machen. So beobachte ich an mir eine seltsame Regung: Ich vermisse den Hipster. Dieses rätselhafte Geschöpf, das der gemeine Städter beschimpft, belächelt, von dem er sich abgrenzt, während er selbst häufig irgendwie dazugehört.

Der Hipster verkörpere die „prekäre Balance zwischen Insider- und Outsidertum, Avantgarde und Mainstream“, dichtete der Schweizer Tagesanzeiger vergangene Woche, um ihm im gleichen Text seinen Tod zu bescheinigen. Das ist insofern zu kurz gegriffen, als dass der Hipster keine neue Erscheinung ist: Mark Greif hat für seine soziologische Annäherung an den Hipster kluge Autoren, Wissenschaftler und Journalisten versammelt und verortet in seinem Werk die ersten Hipster in die US-Jazzszene der 20er und 30er Jahre.

Und was die damals konnten, macht den Hipster bis heute aus: Er erkennt Trends als erster, hört Musik unbekannter Plattenlabels, sitzt in ungewöhnlichen Kleidern in exklusiven Bars und lässt sich außergewöhnliche Speisen servieren. Er verkörpert Individualität. Und genau das sei es auch, was die Hipsterhasser auf den Plan rufe, meint die amerikanische Journalistin Jane Baumgartner. Der Hass entspringe einem „versteckten Neid auf Stil, Wissen und Wagemut“.

Seid froh, dass ihr die Hipster habt!
 

So veralbert die Huffington Post den Hipster für die unmöglichen Namen seiner Kinder, der Deutschlandfunk beobachtet einen Stilwandel in der rechten Szene zum „Nazi-Hipster“, New York widmet dem Hassobjekt Hipster eine Prangerseite im Netz und überhaupt – ganz Berlin sei mittlerweile ein „unangenehmer Hipster-Selbstdarsteller unter den Städten“, urteilt das Hauptstadtmagazin tip.

All das ist weit weg hier zwischen niedersächsischen Wiesen und Äckern. Der Hipster nervt, weil er immer so mühsam darauf bedacht ist, aus dem Rahmen zu fallen? Immerhin fällt er aus dem Rahmen. Und ich kann nach einem Jahr Erfahrung auf dem Land sagen: So schön es hier ist, aus dem Rahmen fällt nicht vieles. Nicht die Autos auf den Straßen, nicht die Kaffees in den Nachbardörfern, nicht die Einrichtung in den Häusern der Menschen.

Wie würde ich mich dagegen freuen, in meinem angestammten Supermarkt hinter den Tomaten einmal einen hornbebrillten, röhrenjeanstragenden Nerd mit Smartphone unter dem Arm zu entdecken. Vielleicht täte es auch ein herkömmlicher Punk, ein queerer Emo oder ein Rockabilly im Ausgehdress. Ich wünschte mir wirklich ein wenig mehr Subkultur hier auf dem Land.

Also seid froh, dass ihr die Hipster habt, liebe Städter! Dass sie so etwas wie Gemüsesmoothies ausprobieren. Denn in Wahrheit bedeutet das nichts anderes, als dass die Stadt lebt, dass hier Bewegung ist. Dass die Menschen dort sich aufeinander beziehen, sich abgrenzen und neu erfinden, während wir Arrivierten auf dem Land aufpassen müssen, dass wir offen bleiben für Neues.

In unserem Gemüsegarten wächst jetzt der Mangold, von dem wir im Eifer des Gefechts ein bisschen viel angebaut haben. Nun gibt es also Mangoldpasta, Mangoldauflauf, Mangoldlasagne – und ich habe die erste Béchamelsauce meines Lebens gekocht. Mit Mangold. Vielleicht versuche ich es nun mal mit einem Mangold-Smoothie. Oder ist das jetzt schon wieder out?

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