
- Schöne Bilder reichen nicht
Eine einfache Liebesgeschichte. Die wollte der japanische Schrifsteller Haruki Murakami schreiben und es gelang. Nun wurde „Naokos Lächeln“ verfilmt und Regisseur Tran Anh Hung wollte eindeutig zu viel. Warum schöne Bilder manchmal einfach nicht ausreichen.
Wenn es Sardinen und Blutegel vom Himmel regnet, weiß man, Haruki Murakami hat die Feder geführt. In seinen Romanen zelebriert der japanische Schriftsteller einen unverkennbaren magischen Realismus, kunstvoll gestrickte, latente Grotesken, in welchen sich die Wirklichkeit scheinbar lautlos mit dem Surrealen verbindet. „Naokos Lächeln“ ist eine Ausnahme, eine vergleichsweise einfache Liebesgeschichte, in der sehr leise Töne angeschlagen werden. Was hier abgestanden klingt, könnte nicht treffender bezeichnet sein. Denn im sphärischen Universum Murakamis wachsen selbst oder gerade leise Töne zu einer Symphonie heran.
Transzendenz an falschen Stellen
Nun hat die Welt darauf gewartet, dass sich ein fähiger Regisseur seiner Geschichten annimmt, sie kongenial adaptiert und auf die Leinwand zaubert. Kein leichtes Unterfangen. Zumal nicht dann, wenn man einer dermaßen treuen Leserschaft entgegenblickt, deren Erwartung und Ansprüche so hoch sind, dass man sie eigentlich nur enttäuschen kann.
Der koreanische Regisseur Tran Anh Hung traute sich dennoch und allein dafür verdient er ein bisschen Anerkennung. Sein Debüt „Der Duft der grünen Papaya“ brachte ihm 1993 die Goldene Kamera von Cannes und eine Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film ein. Virtuos bediente er sich hier einer eindrucksvollen Bildsprache, die gekonnt den narrativen Stil des Films unterstützte. Sein Verständnis für die phantastischen und teilweise hochgradig absurden Welten Murakamis und sein feines Gespür für die japanische Kultur hätten eine gelungene Verfilmung bedeuten können. Warum sich Tran Anh Hung nun aber dazu entschieden hat, jene einfache Liebesgeschichte aus „Naokos Lächeln“ krampfhaft aufzubrechen und Transzendenz an den falschen Stellen einzubinden, bleibt schleierhaft.
Murakamis unendliche Geschichte
Toru Watanabe entwächst den Toten. Mit jeder vorbeiziehenden Jahreszeit ein bisschen mehr. „Kizuki bleibt 17. Naoko 21. Für immer.“ So das nüchterne Fazit des Titelhelden. Der Roman erzählt in einer Rückblende die Geschichte Torus, der sich an seine Studienzeit erinnert, an die innige Beziehung zu seiner Freundin Naoko, die von dem tragischen Suizid ihres gemeinsamen Jugendfreundes Kizuki überschattet wird. Begleitet von den Studentenunruhen der 1960er Jahre in Tokio, dem Stürmen und Drängen einer neuen Generation, suchen sich alle Figuren gleichermaßen von den traumatischen Fesseln der Vergangenheit zu lösen. So wird ein Kampf mit eigenen und fremden Dämonen inszeniert, der sie dazu zwingt, sich zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Tod und Leben zu entscheiden.
Murakamis Figuren oszillieren dabei zwischen unerfüllten Sehnsüchten und asketischer Zurückhaltung. Zwischen fragiler Schönheit und lustvoller Sinnlichkeit. Zwischen Poesie und kalter Realität. Zwischen stiller Kontemplation und dem puren Chaos. Eine unendliche Geschichte, die das Leben schreibt und die bei Murakami nicht mit dem Tod endet sondern abermals mit dem Leben. „Naokos Lächeln“ lebt von der Nostalgie, die den Boden einer von Melancholie begleiteten Selbstfindung seiner Protagonisten bereitet und trotz herber Verluste zum Hoffnungsträger wird. Ein Hochgesang auf die Liebe und das Leben; das Damoklesschwert der Vergänglichkeit dabei stets nah über jedem einzelnen der Häupter.
Ein wesentlicher Bruch, den Regisseur Tran Anh Hung nun begeht, ist der mit der Erzählzeit. Um den verklärten Blick auf Torus Schicksal auszuhebeln und damit den „rohen Schmerz der frischen Wunden“ aufleben zu lassen, verfasste er das Drehbuch im Präsens. Keine Rückblende, keine Nostalgie. Stellenweise gelingt Tran das mit dem rohen Schmerz dann auch. Doch für den Zuschauer, der die literarische Vorlage nicht kennt, wirken die Charaktere unzugänglich, die Handlung unmotiviert und kryptisch.
Zuschauer bleibt Zaungast des Lückenstücks
Forciert wird der Eindruck des Lückenhaften durch Trans dokumentarischen Stil, wobei die gestückelte Bildkomposition mehr an einen Rohschnitt erinnert als an alles andere. Es scheint, als hätte der Regisseur eine Schere genommen und die Filmrolle vergewaltigt, sie in unzählige Teile zertrennt, Szenen wahllos aussortiert, den Rest Stück für Stück wieder zusammenmontiert und dabei Wesentliches auf dem Schneidetisch vergessen. Zwar folgt der Film einer kausallogischen Chronologie, doch klaffen zwischen den einzelnen Sequenzen tiefe inhaltliche Verständnislücken, die sich der Zuschauer nur schwer durch die rar gestreuten, sehr subtilen Verweise erschließen kann.
So kommt es auch, dass der Sog der Bilder bei Tran Anh Hung kontinuierlich abreißt und der Zuschauer, anstatt immer tiefer in die Seelenlandschaft der Figuren vorzudringen, Zaungast des Geschehens bleibt. Kameramann Mark Lee Ping Bin versteht es zweifellos poetische Aufnahmen einzufangen, die mit der grandiosen Filmmusik von Jonny Greenwood (Radiohead) zu einer Einheit verschmelzen (allein die ist einen Kinogang wert). Sie bieten sodann einen audio-visuellen Spiegel, in dem sich das Innerste der Charaktere abzeichnet: Die saftig grünen Wiesen, die sich sanft im Wind wiegen, werden zu einem Meer der Gefühle, in dem sich Toru und Naoko geschützt treiben lassen. Der Schnee, der in den Weiten der japanischen Berge lautlos zu Boden fällt, begräbt das eben noch so hoffnungsvolle Grün unter seiner schweren, weißen Decke; ein Verweis auf die emotionale Kälte, die sich im Stillen, ganz langsam und unbemerkt über das Liebespaar legt. Schließlich die Flutwelle, die erbarmungslos gegen karge Felsen peitscht und Torus Verzweiflung über Naokos Selbstmord Ausdruck verleiht; musikalisch unterlegt von einer sich motivisch wiederholenden Solovioline, die sich schrill gegen ein kontrastierendes Streichensemble zu wehren sucht. Eigentlich phantastisch.
Schöne Bilder und ein bisschen Gefühl
Auch auf schauspielerischer Ebene hatte es Tran Anh Hung gut gemeint. Rinko Kikuchi brilliert als Naoko. Wenn ihr zart gehauchtes Stimmchen bei beinahe jedem Satz unter dem emotionalen Ballast zu ersticken droht, wirkt ihr Flüstern ohrenbetäubend. Doch bleibt Kikuchi, wie dem Rest der Besetzung (allen voran Reiko, gespielt von Reika Kirishima), zu wenig Zeit, die Intimität und Zerbrechlichkeit, die das soziale Gefüge im Film bestimmt, richtig auszuspielen. Zu früh und zu hektisch kommt auch hier der Schnitt von Mario Battistel.
Hier hätte zweifelsohne ein cineastisches Großod entstehen können. Doch was nützen schöne Einstellungen, wenn das große Ganze letztlich versagt? Viel zu abrupt reißen die Bilder ab, ebenso wie die Musik. Kompromisslos wechselt Tran Anh Hung die Szenerie, hetzt von einem Seelenstrip zum nächsten, ohne der einfachen Liebesgeschichte, um die es letztlich geht, die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu erklären, sich zu entwickeln und so ihren Murakami’schen Zauber zu entfalten. Denn davon hätte es genug gegeben – der Buchvorlage sei Dank. Was bleibt, sind schöne Bilder und ein bisschen Gefühl. Mehr aber auch nicht.
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