Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Tugendwächter - Politisch korrekt oder die Kultivierung des Misstrauens

CICERO ONLINE schaut zurück auf ein Jahr voller interessanter, bewegender, nachdenklicher oder einfach schöner Texte. Zum Jahreswechsel präsentieren wir Ihnen noch einmal das Beste aus 2013.Die Geringschätzung des Menschen stellt den Kern der „PC“-Kultur dar. Hinter dem Label der politischen Korrektheit verbirgt sich nicht selten ein autoritärer Kern

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

So erreichen Sie Matthias Heitmann:

Es gibt nur wenige bedingungslose Anhänger der politischen Korrektheit. Beinahe jeder hat sein eigenes Lieblingsbeispiel für die schrillste „PC“-Blüte: Bei vielen stehen Wortkreationen die „BürgerInnenmeisterInnenkandidatIn“ oder auch das „NichtraucherInnenabteil“ hoch im Kurs, während andere genüsslich einen „Negerkuss“ essen oder aber mit selbstbewusster Stimme ein „Zigeunerschnitzel“ bestellen und anschließend laut das Kinderlied „10 kleine Maximalpigmentierte“ singen. Eins meiner persönlichen Lieblingsbeispiele stammt aus dem Afghanistankrieg vom Oktober 2001. In der Vorbereitung auf einen Luftangriff auf Stellungen der Taliban hatte ein Soldat der US-Navy eine der abzuwerfenden Bomben mit der Aufschrift „Hijack this, you faggots“ versehen („Faggots“ heißt so viel wie „Schwuchtel“). Als die oberen Sphären der Navy davon erfuhren, reagierten sie äußerst verärgert und wiesen die Soldaten an, künftig von ehrverletzenden Beschriftungen Abstand zu nehmen.

Unabhängig von der Frage, ob mit diesem Graffiti nun Homosexuelle oder aber die Taliban beleidigt werden sollten, gefällt mir dieses Beispiel aus zweierlei Gründen: Zum einen wird deutlich, wie gut die Obsession mit Sprache dafür geeignet ist, den Blick auf die Wirklichkeit, sogar auf die des Krieges, zu verstellen. In diesem Falle suggeriert sie, dass das Töten von Menschen unter Umständen, unter keinen Umständen aber die Beleidigung von Menschen akzeptabel ist. Zum anderen zeigt dieses Beispiel, dass das Bemühen um „politische Korrektheit“ eben nicht nur die Lebensaufgabe linker, feministischer und liberaler intellektueller Kreise ist, sondern auch in konservativen und traditionalistischen Kreisen Fuß gefasst hat.

Dennoch wird heute derjenige, der öffentlich Kritik an „PC“ äußert, zumeist verdächtigt, „rechts“ zu sein und vergangenen Zeiten nachzutrauern. Dass dieser Verdacht plausibel erscheint, liegt auch an den Kritikern der politischen Korrektheit: Sie beschränken sich leider zumeist darauf, die Dominanz linker Intellektueller in Politik, Medien und Wissenschaften anzuprangern. Glaubt man den zahlreich im Internet anzutreffenden Anti-PC-Hasstiraden, so steckt hinter „PC“ eine von einer einflussreichen Kulturelite bewusst vorangetriebene Verschwörung mit dem Ziel, sich die Welt im wahrsten Sinne des Wortes „schönzureden“ und abweichenden Gedanken das Wort zu entziehen.

Solche Verschwörungstheorien verschleiern sowohl die tatsächlichen Ursachen für den Aufstieg als auch den inhaltlichen Kern der politischen Korrektheit. Es ist nicht die argumentative Stärke des Systems der „political correctness“, die seinen seit den 80er-Jahren andauernden Siegeszug begründet. Vielmehr ist das durch den Zerfall traditioneller Werte und die Krise der alt hergebrachten Moralität entstandene Vakuum mit ausschlaggebend dafür, dass wir heute in immer mehr Bereichen des Lebens „PC“ zu sein haben. Die inhaltliche Leere des Konservatismus äußert sich gerade darin, dass entweder politisch korrekte Gepflogenheiten übernommen werden oder aber das Aufbegehren gegen „PC“ verschwörungstheoretische Formen annimmt, ohne dass offensiv für eigene Positionen argumentiert und gestritten wird. Dies wohl, weil es einfacher ist, die Verlogenheit der „Anderen“ anzuprangern, als sich mit dem Zerfall der traditionellen Moral auseinanderzusetzen. Es ist bequem, andere dafür zu kritisieren, dass sie mehr Einfluss haben als man selbst. Das Problem daran ist: Es zementiert die eigene Ohnmacht, denn man erklärt sich selbst zum Opfer.

Nächste Seite: Der politisch korrekte Autoritarismus unserer Zeit basiert auf einem anderen Menschenbild

Meine Kritik an der PC-Kultur basiert nicht darauf, dass ich alten Traditionen nachtrauere. Auch halte ich es für falsch, die politische Korrektheit dafür zu kritisieren, dass sie das Alte hinwegfegt habe. Die alten gesellschaftlichen Moral- und Politikvorstellungen waren von rückschrittlichen Menschen- und Weltbildern, von der Angst vor den praktischen Konsequenzen individueller Autonomie und Freiheit der Menschen zutiefst durchdrungen. Dass diese Vorstellungen erodieren, ist nichts Negatives. Zudem brechen veraltete Normen in der Regel von alleine zusammen, wenn sie nicht mehr den Realitäten entsprechen. Mein Problem ist also nicht der Zerfall des Alten, mein Problem ist der Inhalt des Neuen!

Die sich ausbreitende neue Kultur der politischen Korrektheit basiert keinesfalls auf einer freieren gesellschaftlichen Moral. Sie bedient sich teilweise sogar noch autoritärer und tyrannischerer Methoden als die vorangegangene, da sie die robuste Autonomie und die aktive Handlungsfreiheit des Menschen nicht einmal mehr theoretisch für grundlegend erachtet. Stattdessen trachtet sie danach, den Menschen möglichst umfassend vor eigenem oder fremden Fehlverhalten zu schützen – also auch vor sich selbst und auf Kosten seiner Freiheit.

Wie anders wäre es zu erklären, dass sich Deutschland seit Monaten aufgrund altbackener Herrenwitze oder aber der Verwendung veralteter deutscher Begriffe in Kinderbüchern erhitzt? Auch ich hege zwar keine Sympathie für offen herablassend sexistische Äußerungen oder die Benutzung des Wortes „Neger“ im allgemeinen Sprachgebrauch. Das bedeutet aber nicht, dass ich sprachliche Säuberungsaktionen gutheiße. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass Erwachsene wie Kinder davon profitieren, wenn sie durch eigenes Experimentieren Erfahrungen mit dem Umgang von Sprache und Ideen machen. Es ist gerade dieses Vertrauen, dass Menschen lernen, sinnvoll, „erwachsen“ – und das bedeutet sowohl austeilend als auch einsteckend – sowie frei miteinander umzugehen, das für mich die Notwendigkeit begründet, Freiräume zu verteidigen.

Der politisch korrekte Autoritarismus unserer Zeit basiert auf einem anderen Menschenbild: Er betrachtet den Menschen als schutzbedürftiges und verletzliches, daher aber auch als leicht verführbares, gefährliches und zutiefst rücksichtsloses und deshalb umfassend kontrollbedürftiges Wesen. Jeder nicht regulierte oder nicht überwachte Freiraum gilt als potenzieller Ausgangspunkt für persönliche Verletzungen oder gesellschaftsschädigende Verführungen. Deshalb ist diesem Denken schon die Forderung nach Freiheit suspekt: Für „ungezügelte“ Meinungs- und Redefreiheit kann sich demzufolge nur derjenige einsetzen, der Schaden anrichten will. Und wer sich gegen die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen ausspricht, muss ebenso viel Dreck am Stecken haben wie derjenige, der den Herrenwitz nicht als Einstieg in die sexuelle Belästigung ansieht.

Dieses Misstrauen sowohl gegenüber der Entwicklungsfähigkeit als auch gegenüber der Robustheit des Menschen macht den eigentlichen, aber leider oft verkannten autoritären Kern der PC-Kultur aus. Fatalerweise zeichnen sich viele Kritiker der politischen Korrektheit trotz aller Erregung ob moderner Sprachregulierungen und der daraus abgeleiteten Bedrohung „ihrer“ Freiheit durch ein ganz ähnliches Misstrauen gegenüber ihren Mitmenschen aus.

So dominant dieses Menschenbild derzeit auch sein mag – es ist gleichzeitig sehr fragil, denn es hat sich keinen geringeren Gegner ausgesucht als das gesunde menschliche Selbstwertgefühl. Dieses gekränkt und mit Schaum vor dem Mund verteidigen zu wollen, läuft Gefahr, die vorherrschende Auffassung zu bekräftigen, derzufolge dem Menschen nicht zu trauen ist. Das einzige Gegengift gegen die politische Korrektheit besteht meiner Meinung nach darin, eigene Standpunkte zu entwickeln, diese offensiv zu vertreten und sich nicht den Mund oder das Denken verbieten zu lassen. Es gibt keine effektivere Waffe gegen die politisch korrekte Misstrauenskultur als das Pflegen einer eigenen, ausstrahlenden und ansteckenden Vertrauenskultur.

Das Thema "pc" ist Schwerpunkt der Aprilausgabe des Magazins Cicero. Dort lesen Sie unter anderem die Titelgeschichte zum Thema "Furor des Fortschritts" und einen Essay von Udo di Fabio zum Kulturkampf um die Homo-Ehe. Ab Donnerstag (21.03.) am Kiosk oder im Online-Shop erhältlich.

 

 

 

Matthias Heitmann ist freier Publizist. Seine Website findet sich unter www.heitmann-klartext.de

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.