- Filmprofi für das Absonderliche
Philip Seymour Hoffman, König der Nebendarsteller, spielt in dem Kinomelodram „Saiten des Lebens“ lustvoll die zweite Geige
Es gibt Schauspieler, die funkeln mit ihren immer gleichen Hochglanz-Gesichtern durch jeden Hollywoodfilm. Bei Philip Seymour Hoffman glänzt allenfalls der Schweiß, den ihm seine Rollen abverlangen. Er ist ein Meister aus der zweiten Reihe, ist König der Nebendarsteller – und dieser Kategorie zugleich entwachsen.
Gerade eben spielte er in Paul Thomas Andersons „The Master“ einen an L. Ron Hubbard angelehnten Sektengründer, wofür er prompt für den Oscar nominiert wurde: seine dritte Nominierung in Folge in der Rubrik „Nebendarsteller“. Nun erscheint die Rolle als zweiter Geiger im Kinofilm „Die Saiten des Lebens“ wie eine Blaupause der eigenen Karriere, des eigenen Schicksals. Frustriert als ewiger Sekundant Robert in einem weltberühmten Streichquartett an der Seite der Violaspielerin Jules (Catherine Keener) und des Cellisten Peter (Christopher Walken), versucht er kurz vor dem 25-jährigen Bühnenjubiläum aus dem Korsett des Ensembles auszubrechen und die erste Geige Daniel (Mark Ivanir) mit allen Mitteln streitig zu machen.
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In einer Schlüsselszene des nuancenreichen Künstlerdramas von Yaron Zilberman probt das Quartett, als Robert erfährt, dass Daniel mit seiner jungen Tochter eine Liaison eingegangen ist. Er ist konsterniert, den Tränen nahe, nur um dann wie aus dem Nichts die Wut eines Berserkers hervorzustemmen. Er schlägt Daniel zu Boden. Der ganze Frust einer zweiten Geige entlädt sich – ansatzlos, hinterrücks, wie es Hoffmans Art ist. Sein Schauspiel ist immer Körpersprache und lässt so die Verzweiflung der Figur physisch werden. Er weiß zu überwältigen. Dabei ist die zweite Geige der ersten nicht untergeordnet, sondern nimmt lediglich eine andere Position ein; die wichtigere sogar, weil sie die Soli vorbereitet und das Quartettspiel zusammenhält. Doch wer möchte nicht die erste Geige sein, der Star, dem die anderen zuarbeiten?
Aus einer anderen Perspektive hat Hoffman den Durchbruch zum Hauptdarsteller schon vollzogen. 2006 wurde er für sein feinsinniges Porträt Truman Capotes als bester Hauptdarsteller mit dem Oscar bedacht. Ihm gelang dabei das Kunststück, seine massige Statur in den 17 Zentimeter kleineren und zierlich wirkenden Schriftsteller zu verwandeln. So weit können metamorphische Kräfte tragen.
Hoffman gilt als Spezialist für das Absonderliche. So spielte er in Todd Solondz’ bitterböser Tragikomödie „Happiness“ einen übergewichtigen, beständig transpirierenden Telefon-Stalker, der seine Nachbarin mit Obszönitäten überhäuft, um dabei im Dunkeln zu masturbieren. In „Cold Mountain“ gab er einen triebhaften Pastor, in „Punch Drunk Love“ einen schmierigen Matratzenhändler. Hoffman, dreifacher Vater, verwahrt sich jedoch gegen das Vorurteil, er bediene sich lediglich im Kuriositätenkabinett. Sein Anspruch sei es, Normalität zu dekonstruieren und gerade so Menschlichkeit herzustellen. Schließlich habe jeder Mensch ein Quantum Leid zu tragen: „Ich denke, tief im Inneren wissen die Menschen, mit wie vielen Makeln sie behaftet sind. Je harmloser man einen Charakter spielt, desto unglaubwürdiger wirkt er.“
Anfänglich sah alles danach aus, als sollte Philip Seymour Hoffman nie auf einer Leinwand erscheinen. Der heute 45-Jährige wuchs mit drei Geschwistern im 5000-Seelen-Nest Fairport am Ontariosee im Staat New York auf. Das Scheidungskind begeisterte sich für Baseball und Wrestling, bis ihn im 15. Lebensjahr eine Halsverletzung außer Gefecht setzte. Nach der Scheidung wuchs Hoffman bei seiner Mutter auf. Sie, Menschenrechtsaktivistin und Familienrichterin, begeisterte ihren Sohn für das Theater. Nach seinem Abschluss an der Tisch School of Arts der New York University jobbte er als Kellner und Rettungsschwimmer.
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Damals lebte er exzessiv, nahm Drogen, litt an einer Alkoholsucht. „Mit 22 Jahren geriet ich in Panik um mein Leben. Hätte ich so weitergemacht, wäre ich daran gestorben“, gestand er einem TV-Sender. Seit einer Therapie ist er trocken. In Interviews ist Hoffman einsilbig, wenn Fragen persönlich werden. „Eine der Aufgaben eines Schauspielers ist es, privat zu bleiben. Wenn man den Leuten alles aus seinem Privatleben erzählt, fangen sie an, es auf die Arbeit zu projizieren.“
Dem Theater bleibt Hoffman treu. Im West Village in Lower Manhattan besitzt er ein Off-Broadway-Theater. Dort führt er Regie oder ist auf der Bühne zu sehen. Am Broadway spielte er vergangenes Jahr Willi Loman in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. In Deutschland führte ihn der Weg an das Bochumer Schauspielhaus. Dort gab er 2009 in einer internationalen Produktion des Star-Regisseurs Peter Sellars in Shakespeares „Othello“ die Rolle des diabolischen Fähnrichs Jago – eine, wen wundert’s, Nebenrolle. Auch der Bochumer Teilzeit-Schauspieler Harald Schmidt ist von Hoffman beeindruckt. „Ich gehe ins Kino und sehe Philip Seymour Hoffman. Und sage: Donnerwetter, es ist ja irre, was der kann, ich kann es nicht. Warum sollte ich es dann überhaupt versuchen, wenn er es schon kann.“
Doch Hollywood will Hoffman nicht den Rücken kehren. Er wird 2013 in der Fortsetzung der „Tribute von Panem“-Trilogie und in John le Carrés „Marionetten“ zu sehen sein. Eigentlich, sagte er einmal, will er nur noch für seine Familie da sein. Die Erfüllung dieses Traumes muss auf sich warten lassen. Hoffman weiß: Die zweite Geige hält alles zusammen.
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