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Parapsychologie - Kinder glauben an den Weihnachtsmann und kluge Frauen an die Wahrsagerin

Kolumne Stadt, Land, Flucht – Esoterik ist im Trend, sogar in studierten Kreisen. Warum aber lassen sich kluge Frauen reihenweise aus dem Kaffeesatz lesen? Marie Amrhein untersucht ein Phänomen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Kluge Frauen saßen da. Studierte Mittdreißiger. Einige von ihnen waren auf der Suche nach dem Mann fürs Leben. Andere haderten mit ihren Jobs, unsicher, welche Art von Beruf sie im Leben glücklich machen würde. Sie hatten also viele Fragen, wie sie das Leben täglich an uns stellt. Und noch etwas vereinte sie: Sie hatten sich in die Hände einer kaffeesatzlesenden Wahrsagerin begeben, um den drängendsten Problemen auf den Grund zu gehen.

Diese Frau mache ihren Job nur nebenher, das verdiente Geld gebe sie sofort für ihre Tochter aus, denn „mit so einer Begabung solle man keinen Gewinn machen“, hatte die begnadete Seherin selbst erklärt. Die Schilderung der verschiedenen Sitzungen nahm an diesem Abend großen Raum ein und tendierte zwischenzeitlich zum Missionarischen beim Versuch, die fragwürdige Praxis zu verteidigen. Es endete damit, dass auch ich eine halbherzige Zusage abgab, doch einmal diese Frau aufzusuchen. Dann werde man ja sehen.

Sie setzen auf die Dummheit der Menschen


Walter von Lucadou, Leiter der „Parapsychologischen Beratungsstelle in Freiburg“, würde mich warnen: Gerade die Skeptischen laufen Gefahr, wahrsagenden Scharlatanen auf den Leim zu gehen, erklärt er in seiner Abhandlung „Wie ‚hell‘ sehen Hellseher?“. Nicht alle von ihnen seien wissentlich oder willentlich Betrüger. Viele handelten im festen Glauben, diese Fähigkeiten wirklich zu besitzen, andere aber setzten auf die Dummheit der Menschen – „nach dem Erfolg zu urteilen, ein nahezu unerschöpfliches Kapital“. Nicht umsonst ist auf der ganzen Welt noch nie ein Laborexperiment geglückt, in dem außersinnliche Wahrnehmungen demonstriert wurden.

Warum dann aber rennen Akademikerinnen wie die Lemminge zu diesen heilsversprechenden Damen, um den eigenen Kaffeesatz entschlüsseln zu lassen? Lucadous Haupterklärung: Wir alle unterschätzten maßlos, zu welchen psychologischen Prozessen der Mensch fähig sei. Zu einer zweifelsohne besonderen Menschenkenntnis der Hellseher komme etwas viel Bedeutenderes hinzu: die Nutzung der nonverbalen Kommunikation. Wenn meine Freundinnen überzeugt davon sind, „einfach nur stillschweigend da gesessen“ und nichts von sich preis gegeben zu haben, so empfindet eine gute Wahrsagerin diese Situation wahrscheinlich so, als hätte sie eine redselige und zudem beschwipste Marktschreierin zu Besuch. Timbre, Sprechweise, Gestik und Mimik demonstrieren spontane Zustimmung oder Ablehnung, ohne dass der Sender dies will.

Lucadou vergleicht das Vortasten der Hellseherin mit dem des Zauberers, der sich die Hand eines Zuschauers schnappt und – ohne dass dieser es bemerkt – sich durch dessen unbewusste Muskelbewegungen zu einem versteckten Gegenstand führen lässt. Mit einer bestimmten Fragetechnik, in Feststellungen verpackt, erfährt der Hellseher, was er wissen will. So könnten durch etwa 20 geschickte Äußerungen „mehr als eine Million verschiedene Möglichkeiten überprüft werden“.

Niedriger Wahrheitsgehalt, beträchtlicher Einfluss


Während der Besucher des Hellsehers an eine übersinnliche Informationsübertragung glaubt, die nicht an Raum und Zeit gebunden sind, spricht Lucadou von einer „nichtlokalen Korrelation“, wie sie in der Physik vorkommt. Der Seher fischt demnach nicht im leeren Raum. Er imaginiert Dinge, die geschehen sind oder passieren könnten und erfährt mithilfe des gegenübersitzenden Parts, ob dies wahrscheinlich ist oder eben nicht. Gemeinsam mit seinem Besucher webt er so ein Bild mit vielen Ebenen, das, je nach Blickwinkel, anders interpretiert werden kann. So sind die Voraussagen von WahrsagerInnen in ihrem Wahrheitsgehalt zutiefst anzuzweifeln. Ihr Einfluss auf das Leben des Fragenden aber kann beträchtlich sein. Lucadou berichtet von einer Frau, die ihre Liebhaber einen nach dem anderen vergraulte, als sie diese nach kurzer Kennenlernzeit vor den Traualtar zerren wollte. Eine Hellseherin hatte ihr versprochen, der nächste Mann sei jener, den sie heiraten werde.

Und noch ein Detail kommt der Glaubwürdigkeit der Seherin zugute: Liege die Kaffeesatzleserin mit einer Aussage daneben, blende die Psyche diese Nieten in der Erinnerung aus. Was dagegen stimmig ist, wird überhöht.

Mir bereitete in den vergangenen Wochen eine Frage Sorgen: Würde unsere fünfjährige Tochter ihren Vater als Weihnachtsmann verkleidet erkennen? Seitdem ich weiß, woran meine klugen Freundinnen bereit sind zu glauben, habe ich da zumindest keine Bedenken mehr.

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