- Gentleman-Intellektueller ohne Hybris
Er war Historiker, Museumsmann, Politiker, Buchautor, Essayist. Und so viel mehr. Mit Christoph Stölzl ist einer der herausragendsten Protagonisten der deutschen Nachkriegskultur von uns gegangen.
Einerseits verkörperte er den raren Typus des Universalgelehrten und Homme de lettres, der als begnadeter Redner mit Extempores verblüffte, in denen er seinen schier unerschöpflichen Wissensfundus mit ebenso brillanter wie unaufdringlicher Eloquenz ausbreitete und zu neuen Erkenntnissen verknüpfte. Andererseits scheute er sich nicht, die Mühen der Ebene auf sich zu nehmen.
Unter anderem als Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Museums, ein anfangs polemisch debattiertes Projekt, das er durch maßstabsetzende Ausstellungen zum Erfolg führte. Oder als langjähriger Präsident der Musikhochschule Franz Liszt in Weimar, wo er einen Lehrstuhl für die Geschichte der jüdischen Musik installierte, um den Blick „auf ein bedeutendes Erbe der Musikkultur der Welt“ zu eröffnen.
Kultursenator, Feuilletonchef, Krisenmanager
Ein Weltbürger und Brückenbauer war Christoph Stölzl von Anfang an. In seinen Reden, Essays und Büchern plädierte er unermüdlich für das Anderssein als Chiffre eines Reichtums in der Vielfalt. Das hatte auch biografische Gründe. Als bayerischer Protestant mit jüdischen Wurzeln warb er für einen universalen Kulturbegriff, integrativ statt polarisierend, der Idee einer verbindenden kulturellen Matrix verpflichtet. So war es nur konsequent, dass er sich jüngst als Stiftungsdirektor für das geplante Berliner Exilmuseum engagierte – eine Herzensangelegenheit, um die „große Geschichte des Exils im Sinne einer Brücke des von den Nazis terrorisierten Europa hinüber in die anderen Welten“ erfahrbar zu machen.
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Neben seinen vielen Funktionen und Stationen, vom Berliner Kultursenator bis zum Feuilletonchef der Welt, vom RBB-Moderator bis zum Krisenmanager des Jüdischen Museums, gilt es vor allem, den Menschen Christoph Stölzl zu würdigen. Er war ein Gentleman-Intellektueller ohne Hybris und somit eine Ausnahmeerscheinung in der zunehmend aggressiven Debattenkultur, die den Diskurs nur zu oft durch Shitstorms ersetzt. Wer ihn persönlich erlebte, traf einen ungewöhnlich freundlichen, zugewandten Mann. Seinem Gegenüber zollte er stets Respekt, durch geduldiges Zuhören und außergewöhnliches Einfühlungsvermögen, auch durch seinen eleganten Auftritt mit Jackett und Fliege, den er als Ausdruck kultivierter Höflichkeit verstand.
Seine wache Neugier wird uns fehlen
Nicht zuletzt war Christoph Stölzl, der die Anfangsjahre von Cicero mit seiner Expertise als hochkompetenter Berater begleitet hat, ein leidenschaftlicher Musiker. Bereits zu Studienzeiten verdiente er sich sein Geld mit Auftritten in Münchner Jazzclubs. Ob an Kontrabass, Gitarre oder Banjo, seine Spiellust und sein Improvisationstalent zeigten einen Afficionado, der lebte, wofür er eintrat: Kunst und Kultur als unverzichtbares Grundnahrungsmittel des Menschen.
Seine wache Neugier wird uns fehlen, sein überragender Geist, seine gleichermaßen sanften wie meinungsstarken Interventionen. Er selber sprach über unsere Gegenwart als einer Ära der Transformationsgesellschaft. Dass er sie mitgeprägt hat, immer klug, immer anteilnehmend, immer für Toleranz plädierend, gehört zu seinen großen Verdiensten.
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