Meiden Sie Peymanns Theater!
Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, bezeichnet den RAF-Terroristen Christian Klar als „tragische Figur“.
Ihre 30 Lebensjahre, liebe Freundin, konnten Sie bislang nicht fürs Theater gewinnen. Sie schauen lieber TV; insbesondere die subtilen neuen Serien aus den USA, The Sopranos, Six Feet Under, Deadwood, Sie kommen kaum hinterher. Und dann werde im Regietheater, wie man höre, auf der Bühne immer so viel gekackt und gewichst… eklig.
Als chronischer Nichttheatergeherin sagt Ihnen der Name Claus Peymann (Cicero-Ranking: Nr.26) also wenig. Bochum, Burgtheater, Berliner Ensemble – eh alles ahns. Gemerkt habe ich mir Ihre Beobachtung, dass Claus Peymanns Haarschnitt unverkennbar mit dem von Adolf Hitler flirte; bei Theaterleuten müsse man doch auf so etwas achten, vermutlich, Sie kennten sich da halt schlecht aus.
Was Claus Peymann über Christian Klar als tragische Figur hat verlauten lassen, der 68 aus dem großen Aufbruch in die Freiheit halt zur RAF, zum sogenannten bewaffneten Kampf konvertiert sei, das verbuchen Sie, liebe Freundin, entschlossen unter peinliche Persönlichkeit. Es erinnere Sie einfach zu deutlich an Ihre Sozialkundelehrer, die immer viel zu stark auf die Reinheit der Absichten setzen, Friedensbewegung, rettet den Wald, rettet das Klima, Brot für die Welt.
Das leuchtet mir ein, liebe Freundin, doch muss man noch ein paar Schritte weiter gehen. Claus Peymann steht unter dem Bann einer Berufsideologie. So wie der Innenminister nur Ordnungs- und Kontrollprobleme, der Mediziner nur Physiologie, so kennt der Theatermann nur die Bühnenwirklichkeit. Den Unterschied zwischen Christian Klar und – sagen wir: Hamlet, einer tragischen Figur, die zum politischen Mörder wird, dieser Unterschied ist für Claus Peymann aus beruflichen Gründen unsichtbar. Er kommt im Zusammenhang mit der RAF auch gern auf Dostojewski zu sprechen, Schuld und Sühne – doch ist Christian Klar so wenig wie Hamlet ein Raskolnikow. Mit einem Theatermann, der den Unterschied zwischen literarischen und wirklichen Personen ignoriert, weil er Christian Klar und seinesgleichen mit den ausschweifenden Deutungen und Spekulationen bedenken möchte, zu denen Hamlet und Raskolnikow einladen, mit einer solchen Person ist schlecht über außerkünstlerische Fragen der Politik und Moral zu diskutieren. Er anerkennt eben nur die Bühne.
Es kommt noch etwas hinzu, liebe Freundin, wenn Sie mir die Bildungshuberei verzeihen. Die Avantgardebewegungen des 20.Jahrhunderts, von Dada und dem Surrealismus bis zu dem Theater Bert Brechts (den Peymann am BE beerbt) und Antonin Artauds, bis zu den Happenings der siebziger Jahre, sie alle wollten die Unterscheidung, die Grenze zwischen künstlerischer und wirklicher Wirklichkeit aufheben. Kunst ist Leben, Leben ist Kunst. Wenn Sie sich erinnern, liebe Freundin, mit welcher durchdringenden Peinlichkeit Sie der Großkomponist Karlheinz Stockhausen erfüllte, als er nach 9/11 erklärte, die Zertrümmerung des World Trade Centers durch die beiden Jets, das sei das größte denkbare Kunstwerk – das ist dieselbe Tradition.
Man gerät hier in eine qualvolle Konfusion hinein. „Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin“, verfügt André Breton 1930 in seinem zweiten surrealistischen Manifest, „mit Revolvern auf die Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen“. Nein, nein, das ist natürlich nicht alltagspraktisch, vielmehr künstlerisch gemeint. Im Juli 1967 standen in Berlin Mitglieder der Kommune I vor Gericht, weil sie in Flugblättern Kaufhäuser anzuzünden gefordert hatten, um bei den Konsumenten „jenes knisternde Vietnamgefühl“ zu erzeugen. Peter Szondi, Jacob Taubes und andere Gelehrte legten dem Gericht Gutachten vor, denen zufolge jene Flugblätter keinesfalls als Aufforderungen zu strafbaren Handlungen zu verstehen seien, vielmehr ästhetisch-literarisch, als Satire, in der Tradition des Surrealismus. Anfang April 1968 explodierten in Frankfurter Kaufhäusern mehrere Brandbomben, die, es war Nacht, keinen Personenschaden anrichteten; im Oktober 1968 stehen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und andere deswegen vor Gericht und werden verurteilt. Im Mai 1971 erscheint das Manifest der RAF, das den bewaffneten Kampf eröffnet, der schon begonnen habe. Im Oktober 1971 ertränkt sich Peter Szondi – ein, wie seine Schriften unverändert zeigen, vorbildlicher Gelehrter – im Halensee. Gibt man sich der Spekulationsfreude hin, der Claus Peymann so leicht anheimfällt und die Sie, liebe Freundin, als schweren Gehirnschwurbel zu bezeichnen pflegen, so darf man Peter Szondi als eines der ersten Opfer der RAF bezeichnen, Kollateralschaden.
Es ist Ihnen entgangen, liebe Freundin, dass Christian Klar in diesem Frühjahr, seit Jahrzehnten in der Isolationshaft seiner Ideale, einer linken Konferenz seinen Aufruf zur Fortsetzung des Kampfes gegen das Kapital hat zukommen lassen, den Dämon, der uns ums Leben bringt. Claus Peymann, liebe Freundin, weiß, dass drei Viertel der Menschheit Christian Klars geschichtsphilosophische Diagnose teilen, sich aber unter die herrschenden Verhältnisse ducken. Am stärksten ähnelt die Kunst, wie Claus Peymann und seinesgleichen sie betreiben, der bolschewistischen Partei Lenins, mit ihrer überlegenen Einsicht in alle Lebensverhältnisse…
Aber Sie haben recht, liebe Freundin, jetzt gerate ich selber in einen schweren Schwurbel. Im Übrigen sind wir uns ja einig, dass Christian Klar per Begnadigung aus der Isolationshaft seiner Ideale entlassen werden sollte. Und dass Sie weiterhin nie und nimmer in Claus Peymanns Theater gehen.
Michael Rutschky ist soziologisch und philosophisch inspirierter Essayist. Er kennt die 68er-Bewegung als teilnehmender Beobachter. Zuletzt erschien „Wie wir Amerikaner wurden“ (Ullstein)
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