- Im Zeichen der Schlange
Der Serpent Mound, eine 380 Meter lange Anlage in Ohio, ist ebenso rätselhaft, wie dessen Alter umstritten war. In jedem Fall zeugt er von einer faszinierenden Kultur
Im Februar 2013 treten wir ein ins chinesische Jahr der Schlange, eines Tiersymbols, das in allen Kulturen der Welt Verbreitung fand. Ein rätselhaftes Gebilde ist der Serpent Mound im Staat Ohio, zwischen Cincinnati und Columbus auf einer Anhöhe gelegen, zwischen dem Zusammenfluss zweier Bäche, die den Ohio-Fluss speisen. Die künstliche Anlage ist 380 Meter lang, sechs Meter breit und etwa einen Meter über gewachsenem Terrain. Aus der Vogelschau ergibt sich das Bild einer Schlange, deren aufgesperrte Kiefer etwas zu verschlingen scheinen: Ein Ei, sagen die meisten, einige aber sehen einen Frosch, andere gar das Zeichen der Sonne. In sieben Windungen schlängelt sich der Körper von Nord nach Süd zum wirblig eingerollten Schwanz. Das Material des künstlichen Hügelzugs ist aus Tonerde, in der Eiform beim Schlangenkopf fanden sich rußgeschwärzte Steine.
Das Alter des Erdwalls ist umstritten. Die Datierung schwankt zwischen 1200 vor und 1200 nach Christus, wobei die frühe Datierung wohl eher vom Wunschdenken derer gelenkt ist, auch in Nordamerika menschliche Zivilisationsreste zu wissen, die es mit dem alten Ägypten aufnehmen können. Eine Untersuchung nach der Radiokarbonmethode datiert die Kunstschlange auf 1070 nach Christus, in die Zeit der ackerbauenden Fort-Ancient-Kultur.
Wo immer prähistorische Funde Rätsel aufgeben, wird gern nach Astrologie und Esoterik gegriffen. So sollen Kopf und Schwanz der Schlange in Richtung Sommer- und Wintersonnenwende zeigen. Formale Übereinstimmungen mit dem Sternbild des Drachen wurden bemerkt. Ja, es gibt sogar die These, das monumentale Bodenrelief sei inspiriert von der Beobachtung jener Supernova, die im Jahr 1054 den Krabbennebel schuf, gefolgt vom Auftreten des Halleyschen Kometen am Himmel des Jahres 1066. Es erhöht das Menschenwerk, wenn es in Konjektur zu kosmischen Vorgängen steht.
Doch wir wollen nicht den Himmel befragen, sondern auf dem blutgetränkten Boden historischer Tatsachen bleiben. Die Schlange wurde 1815 bei Vermessungsarbeiten entdeckt. Endlich konnte man die Gegend ungestört in Besitz nehmen; zwei Jahre zuvor waren die Shawnee aus dem Ohio-Tal vertrieben worden. Der Stamm war dort seit Mitte des 17. Jahrhunderts nachgewiesen – was man auch nur weiß, weil den weißen Siedlern die Indianer beim Vordringen in die fruchtbaren Flussebenen des Mississippi lästig wurden. Bei der Kolonisierung des Kontinents hatte der Stamm stets das Pech, sich auf die falsche Seite zu schlagen: Im Französisch-Indianischen Krieg gegen England verloren die indianischen Alliierten 1763 mit den Franzosen; zusammen mit den englischen Kolonialtruppen verloren sie im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Einen letzten Versuch, die Ansiedlung der Weißen aufzuhalten, unternahm der legendäre Häuptling Tecumseh. Sein Traum einer nordindianischen Allianz gegen die Einwanderer aus Europa endete mit dem Tod des charismatischen Helden bei der Schlacht am Thames River am 5. Oktober 1813. Der Widerstand der Shawnee war gebrochen. Die Landvermesser konnten ihre Arbeit aufnehmen.
Über private Spenden gelangte Serpent Mound in den Besitz der Archäologischen Gesellschaft des Staates Ohio. Barnett Newman, der New Yorker Künstler, hat das archäologische Gelände 1949 in den aktuellen Kunstdiskurs eingeführt: Griechen und Römer waren ihm überflüssig geworden. Nachdem das europäische Vorbild in Schande, Schutt und Asche versunken war, entdeckte der abstrakte Expressionist die Indianer, jene Antiken im eigenen Land.
Mit Sigmund Freud können wir den Akt „Totemisierung“ nennen: Die nachträgliche Einverleibung einer eroberten Fremdkultur macht aus einem bedrohlich Anderen das Eigene. 2006 erging der Vorschlag der amerikanischen Regierung, Serpent Mound in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufzunehmen.
Und die Shawnee? Ihnen wurde, nach etlichen Zwangsumsiedlungen, dezimiert durch Kriege, Vertreibungen, eingeschleppte Seuchen und Alkohol, ein Reservat in Oklahoma zugeteilt.
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