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Kriminalstatistik 2014 - Gebt der Polizei mehr Geld!

Kisslers Konter: Obwohl die Steuereinnahmen sprudeln, sind keine Pläne bekannt, die Polizei dauerhaft deutlich besser auszustatten. Die Privatisierung der Sicherheit verschärft aber die soziale Spaltung. Es ist Zeit für einen Aufschrei

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Die Bundesrepublik Deutschland ertrinkt im Geld, und die Verbrecher freut es. Wer hier einen Fehler vermutet, musste letzte Woche lange suchen. Innerhalb von 24 Stunden fanden in der Verkündigung jeweils aktuellster Zahlen die Welt der Staatsfinanzen und die Unterwelt der Kriminalität passgenau zusammen. Die Steuereinnahmen explodieren, die Verbrechen kommen kaum hinterher, sind aber in einem sehr stabilen Aufwärtstrend begriffen. Die „Kriminalstatistik 2014“ brachte es an den Tag: Der reiche Staat ist der Staat, der gerne mal wegschaut, notgedrungen.

Die Statistik lässt, wie jedes Jahr, grübeln über die bundesdeutschen Zeitläufte. Warum nur haben die Fälle von Bestechlichkeit nach Paragraf 332 StGB um 259 Prozent zugenommen und sich damit – relativ – das oberste Plätzchen auf dem Podest des Bösen gesichert? Wenngleich es sich mit 790 Fällen noch immer um ein Nischenphänomen handelt, das ganz gewiss den Flughafen BER beispielsweise nicht tangiert. Warum sind mit einem Anstieg von jeweils mehr als 60 Prozent der „besonders schwere Landfriedensbruch“ und die „Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ zu Trenddelikten geworden? Bewegen wir uns auf eine Rüpelgesellschaft zu? Und was folgt aus dem Umstand, dass die Quote „deutscher Tatverdächtiger“ um anderthalb Prozent zurückging, während die „Anzahl nichtdeutscher Tatverdächtiger“ um 15 Prozent nach oben ausscherte? Wie ist es um die interkulturelle Tatbekämpfungskompetenz der Beamten bestellt?

Planstellen der Polizei abgeschafft
 

Eine griffige Formel fand der „Bund Deutscher Kriminalbeamter“ BDK für die Bilanz: „Mehr Täter, mehr Taten!“ Die Politik betreibe Augenwischerei und lasse die Bürger im Stich. Die Statistik gebe keine Auskunft, wie viele Fälle mit einer Verurteilung geahndet werden. Die tatsächlichen Fallzahlen lägen weit über den registrierten 6 Millionen Straftaten. Erschütternd genug, was letzte Woche dennoch bekannt wurde: „Die Wohnungseinbruchsdiebstähle sind auf 152.123 Fälle gestiegen. So hoch wie 2014 war die Zahl der Wohnungseinbrüche seit 15 Jahren nicht mehr. Der Anstieg allein seit 2009 beträgt rund 40 Prozent.“ Einen Grund hierfür wie auch für die Aufklärungsquote von nur 16 und die Verurteiltenquote von nur 2 Prozent liefert der BDK mit: „Die notwendigen personellen und materiellen Ressourcen fehlen an allen Ecken und Kanten. Die demografische Entwicklung und die anstehende Pensionierungswellen werden die Situation gerade bei der Kriminalpolizei bereits in naher Zukunft sogar noch deutlich verschärfen.“

Sehr konkret wurde Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, im Fernsehsender n-tv. „Es sind Tausende Planstellen bei der Polizei abgeschafft worden. Vor 20 Jahren beispielsweise musste ein Einbrecher immer noch einen zweiten mitnehmen, der Schmiere stand, weil sie damit rechnen mussten, dass der Schutzmann um die Ecke kommt, auch morgens um drei. Heute braucht er diesen zweiten Mann nicht mehr, denn er weiß: Da kommt niemand, es ist schlicht und ergreifend niemand mehr da.“

Besonders drastisch sind die Verhältnisse in der Hauptstadt. Der Berliner Polizeipräsident berichtete schon Anfang des Jahres von einer Aufklärungsquote von 6,6 Prozent bei Einbrüchen und von einer Explosion der Zahl der Taschendiebstähle von 21.000 auf 32.000 – ein risikoarmes Geschäft, das mittlerweile von Rumänen dominiert wird. Vier Prozent der Fälle werden aufgeklärt.

Was haben diese trüben Fakten mit dem Reichtum des Staates zu tun? Sehr viel. Der Schätzerkreis verkündete ein Einnahmeplus der öffentlichen Haushalte von knapp 40 Milliarden Euro bis 2019; „unterm Strich steigen die Steuereinnahmen des Staates noch stärker. Denn bei dem jetzt zu ermittelnden Zusatz-Plus handelt es sich nur um die Korrektur der vorangegangenen Schätzung. (…). Bis zum Jahr 2019 könnte das Gesamtaufkommen dann auf 768,7 Milliarden Euro klettern.“ Der einzig wahre Dagobert Duck heißt Bundesrepublik Deutschland.

Privatisierung der Sicherheit
 

Wenn dank dieses Geldsegens an der Kalten Progression herumgedoktert werden soll, sind das Peanuts. Der Skandal bleibt bestehen, und er heißt Privatisierung der Sicherheit. Mit Leidenschaft und manch gutem Grund wird gegen die Privatisierung der Stromnetze, der Bahn, des Gesundheitswesens gewettert. Die Privatisierung der Sicherheit, die uns alle betrifft und die die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt, wird achselzuckend hingenommen. Der Staat kann offenbar gut damit leben, dass Einbrüche als Bagatelldelikte gelten und unaufgeklärt bleiben. Steht dahinter das zynische Kalkül, die bestohlene Familie werde stantepede einen Kredit aufnehmen und so erst den Banken, dann dem Handel unter die Arme greifen?

Die in weiten Teilen überaltete, mies bezahlte und schlecht ausgerüstete Polizei kann den kriminellen Banden kaum wehren. Wer sicher leben will in Großstädten, der braucht einen großen Geldbeutel. Der braucht Alarmanlagen, Versicherungen und gute Nachbarschaft, die sich untere Schichten allesamt nicht leisten können. Auf den knauserigen Dagobert-Staat sollte nicht unbedingt setzen, wer für seine Steuern ein Minimum an Sicherheit erwartet. „Die Polizei“, sagt Rainer Wendt, „ist in den vergangenen Jahren in den Ländern regelrecht kaputtgespart worden.“

An der Privatisierung der Sicherheit zeigt sich, dass Bund, Länder und Gemeinden wie gerissene Unternehmer agieren, sobald es den eigenen Etats zugutekommt. Hier wäre ein #Aufschrei der Gesamtgesellschaft angebracht. Er unterbleibt, weil die steuerzahlenden Untertanen es verlernt haben, abseits von Partikularinteressen und von Symbolpolitik ihre Rechte als Souverän einzuklagen. Und er bleibt aus, weil unter rot-grün-großkoalitionären Vorzeichen der Staat selbst nicht als Ordnungsmacht wahrgenommen werden will, sondern als Diskursgruppe und Lebensstilverwalter. Welch teurer, welch gefährlicher, welch unsozialer Irrtum.

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