- Kinder, welch Theater!
Die Dresdner Intendantin Felicitas Loewe leitet eines der größten Häuser für Kinder- und Jugendtheater in Deutschland. Ein Gespräch über das Schauspiel von morgen
Frau Loewe, was reizt Sie an dem Titel „Kulturhauptstadt“?
FELICITAS LOEWE: Es geht mir bei meinem Engagement für Dresden nicht primär um den Titel. Eher schon finde ich es spannend, wie man sich in der Stadt mit dem Bewerbungsprozess und den dahinterstehenden Fragen auseinandersetzt. Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Was haben wir? Und wo wollen wir hin? Im besten Fall können wir mit dem Bewerbungsprozess nachhaltige Entwicklungen für die Stadt anstoßen.
Was für Entwicklungen haben Sie da im Sinn?
Im Moment ist das natürlich noch sehr abstrakt. Aber ich meine damit nicht irgendwelche kostspieligen Neubauten oder etwas, das man mit den Händen greifen kann. Es könnte am Ende auch eine Position oder eine Haltung sein. In den Städten, die bisher Kulturhauptstadt gewesen sind, sind stets ganz unterschiedliche Impulse zurückgeblieben.
Sie gehören dem Kuratorium an, das den Oberbürgermeister der Stadt Dresden bei der Bewerbung berät. Was ist Ihnen bei dieser Arbeit wichtig?
Bei all meinen kulturpolitischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten geht es mir darum, Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben. Ich setze mich dafür ein, dass junge Menschen beteiligt werden – und zwar nicht erst, wenn Dresden 2025 Europäische Kulturhauptstadt geworden sein sollte, sondern jetzt während des Bewerbungsprozesses. Eine Möglichkeit der Beteiligung sehe ich etwa in der Gründung eines Jugendbeirats.
Was verbirgt sich hinter dieser Idee?
Der Jugendbeirat soll den Prozess der Bewerbung begleiten. Es geht darum, Jugendliche einzubeziehen. Wir sind gerade dabei, ein erstes Modell für diese Idee zu entwickeln. Wichtig ist es, dass man dabei zum Beispiel Entwicklungen und Veränderungen berücksichtigt: Wer heute zwölf Jahre alt ist und im Beirat mitarbeitet, der interessiert sich mit vierzehn vielleicht für etwas ganz anderes. Zwei Jahre können für junge Menschen eine Ewigkeit sein.
Würden Sie sagen, dass Kinder und Jugendliche jenseits dieses Bewerbungsprozesses noch viel zu wenig Aufmerksamkeit genießen?
Ja. Aber das gilt nicht nur für Dresden. Man denkt zwar immer wieder darüber nach, Kinder und Jugendliche besser zu beteiligen; in der Praxis aber ist es meistens so, dass man junge Menschen auf bestimmte Themen reduziert. Man traut ihnen nur gewisse, im Vorhinein abgesteckte Bereiche zu, in denen sie sich engagieren.
Um hier Abhilfe zu schaffen, organisieren Sie in Kooperation mit dem Kulturhauptstadtbüro sogenannte Zukunftskonferenzen.
Ja, mit diesen Konferenzen wollen wir zeigen, wie man Kinder und Jugendliche einbezieht. In inszenierten Formaten zu gesetzten Themen können Kinder und Jugendliche in Gesprächen mit Experten ihr Interesse an einem Thema herausfinden und vertiefen. Die Zukunftskonferenzen bieten keinen Frontalunterricht. Es geht nicht darum, Wissen zu vermitteln, das dann später wieder abgerufen werden kann. Vielmehr wollen wir einen Dialog auf Augenhöhe eröffnen. Danach erhalten die Kinder und Jugendlichen die Gelegenheit, ihre eigene Meinung und erarbeitete Haltung mit künstlerischen Mitteln auszudrücken. Wenn das gelingt, machen die Kinder eine Wirksamkeitserfahrung. Sie erleben, dass sie gehört werden. Wir stellen Öffentlichkeit her. Es entstehen zum Beispiel Ausstellungen oder die künstlerischen Ergebnisse werden auf einer Bühne präsentiert.
Und was können Erwachsene von diesen Zukunftskonferenzen lernen?
Neugier! Wenn man die Kinder begleitet, dann erkennt man bei ihnen eine große Offenheit. Oft stürzen sie sich mit immenser Ernsthaftigkeit in die Arbeit hinein und gehen sehr ergebnisoffen an die einzelnen Fragestellungen heran. Das ist sehr beeindruckend. Wenn man die Kinder konsequent ernst nimmt, dann könnte man von ihnen lernen, wie man aus alten Mustern und Verstrickungen wieder herausfindet. Durch die Kinder lernt man den Abbau von Vorurteilen. Denn es sind doch die Vorurteile, die uns im Alltag für gewöhnlich im Wege stehen.
Wurde von Ihren bisherigen Zukunftskonferenzen auch schon etwas in die Realität umgesetzt, oder verpuffen all die schönen Ideen am Ende wirkungslos?
Nein. Entstanden in der Zukunftskonferenz zum Thema Nachhaltig ist beispielsweise das Projekt „Friends Day“: Dabei hatten die Kinder die Idee, an einem Tag im Jahr ihre Handys abzugeben und mit Freunden in Museen oder Theater zu gehen. Bei diesem Projekt hat es sehr viel Kritik vonseiten der Erwachsenen gegeben: „Friends Day“ sei nicht nachhaltig, lautete so ein Vorwurf, oder die Kinder hätten nur keine Lust, in die Schule zu gehen. Aber tatsächlich ging es bei diesem Projekt um die Ressource Zeit. Die Kinder haben die Möglichkeit erdacht, mehr Zeit für ihre ganz handfesten sozialen Beziehungen aufzubringen. Das ist doch wunderbar! Wir haben das Projekt mit aller Konsequenz begleitet. Ein lohnenswertes Unterfangen. Wenn der Dialog mit Kindern auf Augenhöhe stattfindet, dann ist das oft sehr aufwendig. Es sprengt auch immer wieder unsere gewohnten Arbeitsstrukturen. Aber all das ist nicht umsonst.
Sie gehen mit dem tjg also immer wieder einen entscheidenden Schritt über den Kernauftrag des Theaters hinaus?
Unser Kern ist und bleibt das künstlerische Arbeiten auf der Bühne. Aber wir haben uns darüber hinaus auch immer wieder als Ort der Vermittlung und der künstlerischen Kommunikation verstanden. Das tjg ist nicht nur ein Theater, es ist ein Ort der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und natürlich auch ein Ort für Freizeit und Familie.
Wie betrachtet man dieses wichtige Engagement in der Stadt selbst?
Über die Jahre ist die Aufmerksamkeit für unsere Arbeit gewachsen. Wir haben pro Jahr 92 000 Besucher. 75 Prozent unserer Karten verkaufen wir über die Schulen und Kindergärten. Damit erreichen wir alle Schulformen und Altersklassen. Wir werden also wirklich ernst genommen. Das ist toll!
Dabei heißt es doch immer, dass Facebook, YouTube und Instagram die Theatersäle leerfegen würden.
Das stimmt aber nicht. Wir haben am tjg einen Dramaturgen für digitale Medien, und die neuen Medien bekommen bei uns auch Raum auf der Bühne, weil wir natürlich unser Publikum ganz genau kennen, auch im Umgang mit den entsprechenden Medien. Zum Beispiel in der Inszenierung „Kein Zutritt/No entry“, einem interaktiven Videowalk, bekommen Kinder Kopfhörer und Tablets und bewegen sich digital vernetzt durchs Haus. Solche Formate interessieren die Jugendlichen. Aber es ist dennoch nicht so, dass die neuen Medien das alte Medium Theater ablösen. Theater bleibt Theater, und es ist die reale Schauspielerin, die mit ihren Handlungen auf der Bühne bewegt; die Erfahrung der Unmittelbarkeit bleibt von all diesen Entwicklungen unberührt.
Dies ist ein Artikel aus dem Sachsen-Sonderheft „Einblicke“ von Cicero und Monopol.
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