- Ist jetzt was passiert?
Wie es Wolf Haas gelingt, seinen toten Erzähler als Stimme aus dem Jenseits zu reaktivieren, und was das für die Marke «Brenner» bedeutet
Ist jetzt was passiert oder nicht? Wolf Haas legt seinen siebten Brenner-Roman vor – in gewohnter Qualität und also vom Besten, was die deutschsprachige Literatur derzeit zu bieten hat. Und doch kann man sich des Gefühls einer leichten Enttäuschung nicht erwehren.
Was bisher geschah: Der Ex-Polizist Simon Brenner löste an verschiedenen Orten Österreichs sechs Kriminalfälle. Am Ende des letzten Falls («Das ewige Leben», 2003) warf sich sein unverwechselbarer, bis dahin jedoch anonymer Erzähler in die Schussbahn, um dem Detektiv das Leben auf Kosten seiner Erzählstimme zu retten – grandioses Ende einer grandiosen Serie. Haas erfüllte anschließend die gespannten Erwartungen, wie es weitergehen könnte, mit dem furiosen Meta-Roman «Das Wetter vor fünfzehn Jahren» (2006) – zugleich Liebesgeschichte, Krimi und eine Theorie realistischen Erzählens im Medienzeitalter. Und jetzt meldet sich der alte Brenner-Erzähler mit fadenscheiniger Begründung aus dem Jenseits zurück und macht weiter, als sei nichts gewesen.
Nun hat niemand je über, sagen wir, Jimi Hendrix, Neo Rauch, Quentin Tarantino oder René Pollesch geklagt, dass sie ihren erfolgreichen Stil lieber konsequent ausagieren, anstatt sich immer wieder neu zu erfinden. Großer Stil ist, wie der ehemalige Werbetexter Haas weiß, im Zeitalter der Massen- und Medienkultur eben auch eine Marke, die – einmal am Markt etabliert – nicht leichtfertig aufgegeben werden sollte. «Haas» lautet die Prägung auf der Schokoladentafel, die den Schutzumschlag ziert, und «der Brenner» ist erstmals in den Titel gewandert, was an serielle Vorbilder erinnert («Maigret und …»). Hier wird, wie es aussieht, etwas auf Dauer gestellt nach der Logik: Wie die Marke Haas nicht ohne den Brenner, so funktioniert die Marke Brenner nicht ohne den Original-Erzähler. Vielleicht wäre es ja ein spannendes Experiment gewesen, dem grantelnden Detektiv eine neue und andersartige Erzählstimme zu erfinden – aber diese Vorstellung ist vermutlich naiv: Literarische Figuren, so lernen wir hier, sind Funktionen des narrativen Projektes, das sie hervorbringt, und nicht einer Wirklichkeit, die sich auch anders erzählen ließe.
Kindesentführung und Korruption
Der Brenner-Stil hatte immer den Vorzug, auch von unserer außerliterarischen Wirklichkeit einiges in die Texte hineinzuholen, und das gelingt ihm nach wie vor. In diesem Falle geht es um die österreichischen Traumata der Gegenwart: Entführung kleiner Mädchen, Abtreibungsgegner («Rosenkranzrowdies») und Korruption im Baugeschäft. Brenner, der diesmal als Chauffeur unterwegs ist, kommt unterdessen vom BMW über den Mondeo auf den VW-Bus. Liebevoll wird der Mikrokosmos ‹Tankstellen-Shop› entfaltet, Riesenland und Liliput-Bahn am Prater bilden ein klassisches Paar, und es wird (im Vorgriff auf die eines Tages hoffentlich fällige Büchnerpreisrede) darüber reflektiert, warum die Mächtigen heutzutage so stolz auf ihre Almhütten sind: «Wieso können die reichen Leute nicht normal in Palästen wohnen?» Das ist, wie gesagt, die erwartbare Markenqualität, wenngleich es diesmal vielleicht etwas übertrieben wird mit dem Motivgewebe ‹Leben und Tod›. Vier Kapitel lang schwebt der Brenner auf dem Höhepunkt der Geschichte zwischen beiden, erst will man ihn in einer Sickergrube versenken, dann erschießen, was jedes Mal weidlich genutzt wird für jene erratischen Abschweifungen des Denkens, für die Detektiv und Erzähler bekannt sind. Und da letzterer ja ohnehin tot ist, muss man sich auch nicht mehr fragen, woher er all das eigentlich wissen kann.
«Ich sehe nicht ein, warum nicht jeder, dem 7 Gattinnen, 4 hoffnungsvolle Söhne, 3 Töchter, 2 Väter, 1 Kind im Mutterleib verloren gingen, wenn er sich aufhängte, abgeknüpft werden kann», schrieb Carl Einstein, der klügste unter den deutschen Expressionisten, einst über den Roman, und recht hatte er: «Das Kunstwerk ist Sache der Willkür.» Willkür des gerade erst zum Star gewordenen Autors Haas war es gewesen, den Erzähler bei seinem ersten Auftritt in Person erschießen zu lassen und damit die inzwischen überaus populäre Brenner-Serie mit einem narratologischen Coup zu beenden, der – geben wir es ruhig zu! – das Versprechen von etwas ganz Großem enthielt. Und jetzt, wie stehen wir da?
Jenseits von Österreich
Sicher, es wurde uns ein weiterer Brenner geschenkt, und das verspricht ja auch so einiges, nicht zuletzt weitere Filme mit dem kongenialen Leinwand-Brenner Josef Hader. Da war zuletzt eine deutliche Entwicklung zu erkennen: «Der Knochenmann» ist die erste Haas-Verfilmung, die jenseits des österreichischen Kulturstatus der Figuren bestehen kann. Weist auch «Der Brenner und der liebe Gott» in irgendeine Richtung, in die es weitergeht? Ich kann da nichts erkennen, außer der Bewohnbarkeit einer allerdings äußerst liebgewonnenen Struktur, der verlässlichen Qualität einer Marke, mit der man sich, durchaus auch dauerhaft, identifizieren kann. Und vielleicht ist das ja wirklich das Äußerste, was man unter den gegebenen Umständen als Künstler erreichen kann.
Haas, da bin ich mir sicher, weiß, was er tut. Womöglich lag unser Fehler darin, dass wir auch noch innerhalb der Marken ‹Pop- und Medienkultur› auf so etwas gehofft hatten wie eine Avantgarde, mit Wolf Haas an der Spitze. Dann hätte man es mit Carl Einstein halten können und seiner Einsicht: «Was einmal mit Gottes Hilfe anständig traitiert ist, lasse man ruhen. Wir wiederholen ja doch.»
Moritz Baßler ist Professor für Neuere deutsche Literatur in Münster; derzeit ist er Fellow am Freiburger «Institute for Advanced Studies».
Wolf Haas
Der Brenner und der liebe Gott
Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 224 S., 18,99 €
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