Gott spielt nicht im FC Buddha

Mit der Fifa-Gala wollte er ein Milliardenpublikum in Staunen versetzen. Dabei hat André Heller sich nie für Fußball begeistert. Hausbesuch bei einem, der die Gesellschaft von Literaten und Malern den Jungs auf der Straße vorzog.

Das Klingeln ist schon lange verhallt, als Dina, die philippinische Hausangestellte, die Türe öffnet. Die Wege im Palais Windischgraetz im Herzen von Wien sind lang. Mozart und Schubert musizierten hier im ersten Stock. Napoleon war im Haus zu Gast, wenn auch ein ungebetener. Heute bewohnt André Heller die Beletage. Aktionskünstler, Liedermacher, Schriftsteller oder Selbstdarsteller, wie manche sagen. Ein Hauch von Räucherstäbchen liegt in der Luft in diesen meterhohen Räumen, die angefüllt sind mit Kunstwerken aus der ganzen Welt: Buddhas aus Asien, Masken aus Afrika, Skulpturen, Gemälde, Antiquitäten und Designer-Möbel. Leise bewegt sich der Hausherr inmitten seiner Schätze und führt durch das Arbeits- ins Esszimmer, wo ein riesiger Baselitz hängt. Zum Glück gebe es im Palais Windischgraetz keine Fresken wie in vielen Bauten dieser Art, sagt Heller. Sie hätten es unmöglich gemacht, das Bild aufzuhängen. Die Kunstwerke und Sammlerstücke stehen nicht zufällig an ihrem Platz. Der 59-Jährige komponiert sein Interieur auf das Genaueste. Und er dekoriert immer wieder um: „Ich will die Dinge miteinander bekannt machen. Da soll die eine Skulptur mal neben der anderen stehen. Sie sollen miteinander reden und eine gute Atmosphäre verbreiten.“ Sie sind kein Fußballfan. Haben Sie als Kind nie mit anderen Ball gespielt? Mein Leben war glückhaft verändert, nachdem ich als Fünfeinhalbjähriger lesen konnte. Bis dahin war das Draußen für mich hochinteressant – Gasse, Park, See. Dann kam das Wunder der Buchstaben und des Alphabets, und ich habe, wann immer ich es mir aussuchen konnte, gelesen. Was? Zuerst das, was Kinder gerne lesen – eher die interessanteren Dinge – Robinson Crusoe, Jules Vernes, Dr. Dolittle, Erich Kästner. Sehr bald aber, so mit neun, dann auch Erwachsenen-Literatur, weil die Geschichten so spannend waren, die von Arthur Schnitzler, Joseph Roth oder auch Somerset Maugham. Ich war nie in einer typischen Kinderwelt eingesponnen und fand relativ früh ein Schubert-Lied interessanter als „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, und „La Traviata“ hielt ich für inspirierender als Humperdincks „Hänsel und Gretel“. Waren Sie immer ein Einzelgänger, nie ein Teamspieler? Das war doch das Erstrebenswerteste. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich in der Gruppe besser aufgehoben war als etwa bei einem Spaziergang durch ein Labyrinth oder dem Schauen in ein Kaleidoskop. Ich wollte zwar so oft wie möglich beste, beflügelnde Gesellschaft haben, aber die konnte auch eine Landschaft, ein Theaterstück oder ein Gemälde sein. Ich liebte schon damals die großen Maler und ihre Bilder. Meine Großmutter mütterlicherseits erzählte mir süchtig machende Geschichten über Gauguin, den Zöllner Rousseau, Picasso, Degas. Wie sie mir den Garten von Monet in Giverny schilderte, interessierte mich tausendmal mehr als Karl May und hatte wohl Jahrzehnte später meinen eigenen Paradiesgarten in Italien zur Folge. Dann saßen Sie meistens zu Hause? Nicht nur. Ich habe einen Großteil meiner Freizeit im Palmenhaus von Schloss Schönbrunn verbracht. Da war ich gern, weil es etwas Exterritoriales besaß und ich nie in Wien sein wollte. Warum eigentlich? Ich bin ganz und gar für den Süden geschaffen. Mir war schon als Kind immer kalt. Von meinem ersten Taschengeld habe ich mir tatsächlich eine Wärmflasche gekauft. Die nahm ich dann oft heimlich mit in die Schule und trug sie unterm Pullover. Im schönen, barocken Palmenhaus des Kaisers gab es eine Tropen-Abteilung. Da war es heiß, und es gab Fleisch fressende Pflanzen, Baumfarne und Orchideen. Wegen dieses Ortes habe ich den einzigen wirklichen Streit mit meiner kostbaren Großmutter geführt. Ich glaubte, unsere Familie sei mächtig genug, um durchzusetzen, dass ich mein Bett im Palmenhaus, umgeben von Botanik und meinen Büchern, aufschlagen dürfte. Dort, im kaiserlichen Dschungel, wollte ich in ein wohlriechendes Anti-Österreich verreist sein. Heute arbeiten Sie allerdings für die Massen. Zu Ihren Kunstprojekten kommen Millionen. Freundlicherweise stellt sich heraus, dass das, was mich interessiert, was meinem Wunsch, sich lernend zu verwandeln, am besten dient, ein paar Millionen andere auch begeistert. Ich wollte immer etwas Erstaunliches herstellen, etwas, das Ermutigung und Kraft aussendet, woran man sich hochranken kann. Offensichtlich haben viele Menschen ähnliche Bedürfnisse. Gegenwärtig erscheint ein Kampf der Kulturen als Bedrohung. Sie heben die Unterschiede der Kulturen hervor… Wir sollten respektieren, bestaunen oder von mir aus fremdelnd hinnehmen, was uns voneinander unterscheidet. Ich will jedenfalls nicht nach Neu-Delhi fahren, um dort das Gleiche zu erleben wie in Wien. Ich will überall das andere erfahren und wenn möglich davon lernen. Das setzt aber voraus, dass man nicht als „Gscheiterl“ durch die Welt reist. Allzu viele Herrschaften auf allen Seiten sind besessen von dem intoleranten Gedanken, Steine der Weisen zu besitzen. Es gibt jedoch einige Kriterien, die erkennen lassen, ob eine Gesellschaft sich selbst in den Abgrund stößt, oder ob sie etwas Sinnhaftes vor sich hat. So ist zum Beispiel wichtig, ob man unmanipuliert der sein darf, der man zutiefst ist. Wir leben vielerorts in Geiselhaft eines Grundmusters, in dem uns ein gigantischer Werbeterror ununterbrochen erklärt, dass wir nicht sein dürfen, wie wir tatsächlich sind… Zum Beispiel? Wir dürfen nicht alt sein und dürfen nicht krank sein. Wir dürfen nicht dick werden und schon gar keine Glatze haben, um nur Weniges zu nennen. Die uns das einreden, bedienen eine Unglücksvermehrungsmaschine und werden reich durch die Verzweiflungs- und Einschüchterungsreflexe. Mir gefällt dagegen eine Kultur, in der eine dicke alte Frau geachtet dick und alt sein darf. Mir gefällt eine Gesellschaft, die Erfahrung für etwas Großartiges hält, und eben nicht bloß unerfahrener Jugend huldigt. Ich mag es zum Beispiel, wenn in Afrika Kunst und Kultur nicht vom Alltag abgekoppelt sind. Da sind Initiationen, Hochzeiten und auch Begräbnisse selbstverständlich mit der höchsten schöpferischen Qualität aufgeladen. Es gibt nicht die Hochkultur-Trommler oder das Bayreuth der afrikanischen Musik für eine bestimmte abgehobene Gesellschaftsschicht, während für die Leute unten nur der afrikanische Musikantenstadl da ist. Damit stellen Sie der europäischen Kunst- und Kulturszene ein miserables Zeugnis aus. Zu Recht. Die abendländischen Kunstschaffenden können eine bedeutende negative Leistung verbuchen: Ihnen ist es gelungen, einem Großteil der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, das Leuchten der Kunst gehe sie nichts an. Man hat vielen Menschen weisgemacht, es handele sich um eine Qualität, die ihnen verwehrt ist, weil sie nicht genügend ausgebildet seien und kein ausreichendes Feingefühl besäßen. Man hat eigene Paläste für die Kultur errichtet, die für viele Angst einflößend sind. Dann war auch ein Arbeiter, der zehn Stunden hart gearbeitet hat, nicht elegant genug, um dort willkommen zu sein. Die Künstler der westlichen Welt sind zumeist unheimlich stolz darauf, zu einer Art Geheimbund zu zählen. Obendrein bestehen ihre Heroen noch darauf, Avantgarde genannt zu werden. Der herrschende Avantgarde-Begriff ist allerdings etwas ziemlich Reaktionäres. Man stelle sich vor, begabte Wissenschaftler wären stolz darauf, dass bestimmte, von ihnen entwickelte, wirksame Heilmittel nur ganz wenigen zur Verfügung stehen dürfen. Das würde rasch als menschenverachtend durchschaut werden. Spricht da jemand, dem bisweilen nachgesagt wurde, Kunst ins Spektakel zu wandeln? Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich versage meine Achtung und häufig leidenschaftliche Zuneigung vielem Sperrigen und hochgradig Experimentellen nicht im Geringsten. Einiges davon hat mich ja nachhaltig beeinflusst und inspiriert, gleichzeitig bin ich aber der Überzeugung, dass auch Arbeitsergebnisse von Bob Dylan oder Charlie Chaplin und sogar Steven Spielberg in vielem wirklich avantgardistisch waren und sind. Nur dass sie damit erfreulicherweise ein Massenpublikum, das ja wohlgemerkt aus immer sehr individuellen Einzelnen besteht, anregen und erreichen. Im meinem sehr speziellen Fall ist es absurd, wenn der Feuilleton-Kameradschaftsbund moniert, dieses oder jenes meiner Projekte habe nichts mit Kunst zu tun. Herrschaften, das habe ich doch nie behauptet – und das ist auch nicht mein Anspruch. Ich habe stets gesagt, woran ich arbeite, orientiert sich daran, ob es kluges und leidenschaftliches Entwicklungspotenzial für meine Person bietet, und nicht, ob es den häufig wechselnden Regeln und Ritualen des Kunstbetriebes entspricht. Klingt reichlich egozentrisch. Man könnte es auch verantwortungsvoll nennen. Ich bemühe mich, so zu handeln, wie es sich jeder schuldet, der begriffen hat, dass sein Hauptjob in dieser Welt der ist, sich selbst auf’s Genaueste auf den Grund zu gehen, sich mit seinen Fähigkeiten und Unfähigkeiten bekannt zu machen, seine Begabungen zu fördern und solidarisch zu sein mit den Bedürfnissen seiner Seele sowie zu lieben und geliebt zu werden. Spielt Gott in Ihrem Leben eine Rolle? Gott ist in uns, und wir sind in ihm. Ich halte Gott für etwas ganz Gelassenes, von unübertrefflicher Qualität, und bin mir deshalb sicher: Er ist in keinem Verein, nicht im FC Buddha, nicht im FC Mohammed oder FC Luther. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ein intelligenter Mensch wie Herr Ratzinger ernsthaft glaubt, dass der oberste Schöpfer exklusiv Vorstand von seinem katholischen Machtgefüge ist. So etwas zu glauben, wäre, mit Verlaub, doch einfältig. Mit Ihrem Kunstverständnis und Ihrer Lebensphilosophie wollten Sie bei der Fifa-Gala ein Milliarden-Publikum begeistern. Hadern Sie mit der Tatsache, dass das nun nicht mehr möglich ist? Nein. Ich dachte lange Zeit, die Herausforderung dieses Projektes könnte es sein, zwei Milliarden Menschen etwas Erstaunliches anzubieten. Stattdessen war es die Herausforderung für mich und ein Team von tausenden von Menschen, den Schock einer solchen Absage ohne Wehleidigkeit zu handhaben. Sie hatten sich das WM-Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ausgedacht. Kann das auch nach der Absage der Gala noch mit Leben erfüllt werden? Natürlich ist es ewig schad um diese Gala. Ich gehe aus diesem Projekt mit Sicherheit klüger heraus, als ich hineingegangen bin. Die Fifa ist ein faszinierendes Aquarium mit bizarren Fischen. Ich habe anschauliche Eindrücke von politischen Verhandlungsweisen und Entscheidungsmotivationen hoher Herren gewonnen. Und ich habe über mich gelernt, wie strapazierfähig mein Gleichmut und meine Selbstironie sind. Sie wollten Deutschland selbstironisch und sinnlich darstellen… Es ging zuletzt nicht mehr um Deutschland. Das hatten wir im Blick, solange die Gala eine Veranstaltung der Bundesregierung war. In dem Moment aber, als die Fifa das Ereignis übernommen hat, musste ein anderes Konzept her. Da ging es um Fußball und seine Geschichte sowie die Assoziationen, die meinem Team dazu eingefallen sind. Zum Beispiel den Sport einmal aus der Perspektive des Rasens zu betrachten. Der ist ein gutes Symbol, denn auf ihm wird stets herumgetrampelt, er ist der klassische Underdog. Also wollten wir in einer witzigen Passage den Aufstand dieses Underdogs inszenieren. Der Rasen schlägt zurück. Das hatte interessanterweise auch die Fifa akzeptiert… Underdog „Rasen“ hat am Ende auch Sie geschlagen. Das ist ein hübscher Gedanke. Eine zentrale Theorie unserer Fabel war nämlich, dass der Rasen ein ICH hat, ein Wesen ist, das plötzlich erklärt: „Ab sofort bestimme ich die Spielregeln.“ Jetzt ist das vielleicht das Ergebnis der etwas ungewöhnlichen Freundschaft zwischen unserem Team und dem Rasen: Dass er sich schlussendlich erbeten hat, es findet überhaupt keine Gala statt. Okay, Rasen, sage ich heute, wenn dir das so lieber ist, machen wir’s eben nicht. Sie haben einmal gesagt, Sie mischten sich gern in Politik ein. War Ihr Engagement für die WM eine solche Einmischung? Schließlich sollte die Bundestagswahl ursprünglich erst nach dem Turnier stattfinden. Da musste ich Herrn Stoiber einmal beruhigen. Er hatte Sorge, die Gala werde eine riesige Wahlwerbung für Rot-Grün. Mein Ziel war aber einzig und allein, mit den begabtesten Verbündeten, wie Peter Gabriel, Brian Eno oder dem durchaus genialen Choreografen Philippe Decouflé, ein fantasievolles, querdenkerisches, zum Lachen, Staunen und Sinnieren anregendes, technisch innovatives, äußerst energetisches Ereignis auf dem höchsten Qualitätsniveau zu erarbeiten. Man muss bei jeder Gelegenheit, die man am Schopf packen kann, versuchen, sich selbst und andere zu verfeinern. Das ist allerdings durchaus etwas sehr Politisches. Was heißt das? Man kann sich als Intellektueller doch nicht nur hinstellen und beispielsweise am Wahlabend klagen, was die Leut wieder für ein komisches Ergebnis zusammengewählt haben und welch enttäuschender Geist sie beherrscht. Man muss seine Begabung für diese Menschen einsetzen. Ich zähle nicht zu den Kreativen, die denken, was wir tun, sei gesellschaftspolitisch machtlos. Ich bin überzeugt, dass ein Kind, das liebevoll in einer guten Architektur aufwächst, das von subtiler künstlerischer Qualität umgeben ist und gelegentlich ein Bild von Matisse oder Baselitz genau erklärt bekommen hat und nicht nur Rambo-Filme, sondern als Gegenwelt Fellini, Woody Allen und Bergmann erfahren durfte, auf einen anderen Ton gestimmt ist, und dass man ihm mit einer bestimmten Grobheit und Rüpelhaftigkeit nicht mehr imponieren kann. Da die Politik meist in groben Rastern funktioniert und sich stets herausredet, dies sei nötig, weil die Menschen es so bräuchten, ist meine These, dass wir die Mehrheit verfeinern müssen und auf mitreißende Weise an Zwischentöne heranführen sollten, die sie hellhöriger, klarsichtiger und eleganteren Handlungsweisen zugänglicher machen. Dann wird als zwingende Folge eines Tages auch eine andere Art von Politik und Politikern kommen. Das Gespräch führte Martina Fietz

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