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Kunstgeschichte - Wie Masken wirken

Der Kunsthistoriker Hans Belting betrachtet in „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“ das Wechselspiel von Maske und Gesicht in historisch-anthropologischer Perspektive und kommt zu dem Schluss: „Wir sind Maske“

Autoreninfo

Macho, Thomas

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m Sommer 1883 notierte Nietzsche: «Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigenes Gesicht». Scharf kritisierte der Philosoph die physiognomische Erstarrung zeitgenössischer Gesichter. Und ließ in «Also sprach Zarathustra» seinen Propheten wettern: «Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch – erkennen!»

Hier stellte sich auch die Frage nach der Differenz von Gesichtern und Masken, die Frage nach dem historischen Apriori: Gibt es Masken, weil es Gesichter gibt? Oder gibt es Gesichter erst, seitdem Masken geformt wurden? Imitieren die Masken das Gesicht, oder imitieren wir selbst, mit Hilfe feinster Muskeln – vom Musculus frontalis, dem «Augenbrauenheber», bis zum Musculus mentalis, dem «Schmollmuskel» –, was uns die Masken zeigen? Noch komplexer wird es, sobald nach der Beziehung zwischen eigenen Gesichtern/Masken und den Gesichtern/Masken anderer Personen gefragt wird. Was sehen wir in einer Face to face-Begegnung? Das eigene Gesicht im Spiegel des anderen? Oder die Macht des anderen Gesichts in den zuckenden Muskeln des eigenen?

In Masken verkörpern sich Personen und Identitäten


In diesem Spannungsfeld entfaltet der Kunsthistoriker Hans Belting seine «Geschichte des Gesichts»: keine Natur- oder Sozialgeschichte, inspiriert von Evolutionstheorie oder Ideologiekritik, sondern eine Kultur- und Bildgeschichte, die nicht von Masken erzählen kann, ohne vom Gesicht zu sprechen – und umgekehrt. Die Maske ist ihm nichts Äußerliches, Täuschendes, Oberflächliches, dem ein inneres, wahres und ‹eigentliches› Selbst gegenübergestellt werden könnte; das Vorurteil gegen «Charaktermasken» – von Jean Paul bis Karl Marx oder Nietzsche – teilt Belting zumeist nicht.

In Masken verkörpern sich Personen und Identitäten nicht weniger als im Gesicht. Regelmäßig führt mimische Perfektion zur Inkarnation von Masken. Wir üben die Gesichtsmuskulatur, um andere Gesichter nachzuahmen, aber auch um bestimmte Haltungen – von unbewegter Ruhe bis zu Leidenschaft und Zorn – auszudrücken. Es geht buchstäblich darum, das Gesicht zu wahren, das Ansehen (als soziale Bedingung der Möglichkeit, angesehen zu werden) nicht zu verlieren; oder darum, das Gesicht – Mut und Zivilcourage – offen zu zeigen.

Hans Belting betrachtet das Wechselspiel von Maske und Gesicht in historisch-anthropologischer Perspektive. Im Zentrum steht die kultische Ursprungsgeschichte der Masken: jenes elementare Verhältnis zwischen Bild und Tod, Maske und Totengesicht, das der Autor bereits in seiner «Bild-Anthropologie» aus dem Jahr 2001 untersucht hatte. Die Leiche ist das erste Bild; aber sie verlangt auch danach, zum dauerhaften Bild, zur Statue, zur «Maske einer Maske» gemacht zu werden.

Revolte gegen die Maske im Selbstbildnis


Vom Totenkult schlägt Belting eine Brücke zum Kolonialmuseum und dessen Faszination für Masken und von dort zum Bedeutungswandel des Theaters, in dem die Masken allmählich von den Gesichtern ersetzt wurden. Er zeichnet die physiognomischen Ursprünge der modernen Hirnforschung in Franz Joseph Galls Phrenologie nach und kommentiert, in einer anrührenden Interpretation einer Zeichnung Artauds, die Gesichtsnostalgie der Moderne. Im engeren Sinne kunsthistorisch: Beltings Ausführungen zur Geschichte des Porträts. Er betrachtet sie unter dem Aspekt der Ähnlichkeit zwischen dem Porträtierten und seinem Abbild; und kommt erneut auf den künftigen «Gesichtsverlust» durch den Tod. Dieser zeigt sich, im Verhältnis von Gesicht und Schädelknochen, schon zu Lebzeiten als Symbol der Vanitas und des Memento mori.

Mit größter Sorgfalt analysiert Belting dies fallstudienartig anhand konkreter Bilder. So üben Rembrandts Selbstbildnisse eine Maskenkritik, die der eigenen Spiegelung ent­­­springt: «Deshalb kommt es im Selbstbildnis zur Revolte gegen die Maske. Wir kennen alle die Maskenerfahrung, wenn wir uns beim Blick in den Spiegel erstarren sehen. Die Selbstbeobachtung hat sofort zur Folge, dass wir den spontanen Selbstausdruck verlieren. Deshalb lädt uns der Spiegel so oft dazu ein, Gesichter zu schneiden, nur um der Maske zu entfliehen, der wir dort ausgeliefert sind. (…) Ein Subjekt, das sich im Spiegel sucht, findet einen anderen.» Im Selbstporträt werden lebendige Gesichter gesucht, keine Masken: Francis Bacons Porträts hingegen bezeugen bildnerische Strategien zur Entfesselung des Gesichts.

Schließlich spricht Belting vom Verhältnis zwischen Medien und Masken; die Bedingungen der Produktion von Gesichtern bezeugen dabei den Fortschritt der Bilderzeugung und Bildverbreitung. Beispiel «Cyberfaces»: In solchen Masken ohne Gesicht kehren, nach Belting, just im virtuellen Raum der digitalen Epiphanien die «alten Archetypen« wieder. Diese bevölkern das «Intervall zwischen Traum und Beweis». Es bleibt also dabei: «Wir sind Maske», doch stets bewegt von einer utopischen Sehnsucht nach dem «echten Bild» – dem Kultbild, dem wirklichen Selbstporträt.

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