Kurz und Bündig - Georg Brandes: Der Wahrheitshass

Georg Brandes war ein Mann, dessen intellektuelle Wirkung weit über die Grenzen seiner dänischen Heimat hinausreich­te. Der mehrsprachige Lite­ratur- und Kunstkritiker blieb zeit seines Lebens ein wahrer Kulturvermittler, der bis zu seinem Tod im Jahr 1927 eine Fülle von Artikeln, Büchern, Manifesten und Essays verfasst hat. Dauerhaften Nachruhm bescherte ihm die Entdeckung des Ende der 1880er Jahre noch weithin unbekannten Friedrich Nietzsche. Brandes’ 1890 publizierte Abhandlung «Aristokratischer Radicalis­mus» prägte die Nietzsche-Rezeption für lange Jahre. Schon diesen berühmten Text hat der Berenberg Verlag neu aufgelegt. Nun folgt eine weitere lobenswerte Verleger-Tat: eine Auswahl aus Brandes’ politisch engagierten Einlassun­gen. Wer sich vom pathetischen Titel der Sammlung nicht abschrecken lässt, findet in den zwanzig Artikeln und Aufsätzen das eindrucksvolle Werk eines historisch gebildeten Empörungskünstlers. Diesen hat die Unterdrückung religiöser oder ethnischer Minder­heiten ebenso umgetrieben wie der Chauvinismus im deutschen Kaiserreich, für den er das schöne Kunstwort «Vaterländerei» erdachte. Ergreifend ist sein Bericht vom Berliner «Schle­sischen Bahnhof», in dem er 1882 die Ankunft russischer und polnischer Juden schil­dert: traumatisierte Überleben­de von Pogromen. Überhaupt bildete der publizistische Kampf, den Brandes gegen den zeit­genössischen, immer wieder en­de­misch auftretenden Nationalismus und Antisemitismus führte, einen zentralen Bestand­teil seines Autorenlebens. Nicht nur, aber vor allem davon zeugt auch diese Textsammlung, der viele Leser zu wünschen sind.

Georg Brandes
Der Wahrheitshass. Über Deutschland und Europa 1880–1925
Aus dem Dänischen von Peter Urban Halle und Hanns Grössel.
Berenberg, Berlin 2007. 176 S., 21,50 €