- Endlich Ruhe!
Nach der Niederlage der deutschen EM-Mannschaft gegen Italien ist endlich Schluss mit einer der nervigsten Medienkampagnen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Seufzer von Michael Naumann
Tränen sind in der Kabine der deutschen Nationalmannschaft nach der EM-Niederlage gegen Italien geflossen. Gut so. Die Enttäuschung in den Massen der Fan-Meilen – eine halbe Million siegessicherer Zuschauer allein in Berlin – wog schwer, in den Kneipen der Nation zog schwarze Trauer ein. Mag sein, dass die schöne Europäische Union in den nächsten Monaten auseinander fällt wie die deutsche Hintermannschaft im Halbfinale, doch die halbe Bevölkerung – oder waren es zwei Drittel? – lag wochenlang im Bann einer der erfolgreichsten PR-Kampagnen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Als hätte sich ganz Deutschland das Nationaltrikot über das Gehirn gezogen. Der Euro verfällt? Soll er doch. „Wir“ werden jedenfalls Europameister!
Und dann das!
Es sei, so der Tenor eines wochenlangen Dauergeplauders auf den diversen TV-Stationen und in den Massenmedien, die beste Mannschaft aller Zeiten, die da im schwarz-weißen Dress auftrat. „Jogi“ Löws junge Spieler trugen die komplette Last einer bundesdeutschen Illusion, dass „wir“ ganz anders geworden seien als unser altdeutsches Image suggeriert: Weder treten „wir“ wie Panzer auf, und was kümmert es uns, dass nur die Hälfte der deutschen Mannschaft vor dem Spiel in Warschau die Nationalhymne mitsang; denn schwarz-rot-gold beflaggt bewegten sich Millionen Fans durch die Großstädte, das musste reichen. „Wir“ spielten, so dachten „wir“, besser als die Spanier, Italiener oder gar die Portugiesen. „Wir“ haben uns aber getäuscht.
Es stimmt ja, die deutsche Mannschaft pflegte gegen Italien einen risikoreichen, inspirierenden Fußball. Sehen wir davon ab, dass weder Schweinsteiger noch Müller und auch nicht der hölzerne Gomez einen Vergleich mit den Italienern bestehen konnten. Mesut Özils und Sami Khediras Solistenrollen stachen heraus, gewiss, doch verloren hat das Italien-Spiel ihr Trainer. Einzig und allein. Er wusste es; denn sonst hätte er nicht in der Halbzeit den Sturm ausgewechselt, hätte nicht Klose und Reus und Müller auf den Platz geschickt, die als glückloses Dementi seiner missglückten Erstaufstellung dem Sturm immerhin einige neue Impulse verliehen. Vergebens. Die Italiener, in einem Wort, waren besser – besser in der Defensive, besser im Sturm und im übrigen auch besser beraten, Löws Elf das Mittelfeld zu überlassen.
Mag sein, dass sein Team nicht das beste aller Zeiten ist (ganz gewiss nicht), aber es ist sympathischer als die berühmten Titelträger vor ihm. Das mag als Trost gelten – gäbe es nicht noch einen besseren: Die alle politischen Katastrophen unserer Tage überwölbende Fußball-Berichterstattung aus der Ukraine und aus Polen und von der Insel Usedom hat nun ein heiß ersehntes Ende. Ihr Tonfall, zwischen Kumpanei und Heiligenverehrung hin und her schwankend, unterbrochen von unerträglichen Werbeeinblendungen und dem hässlichsten Signet aller Sportereignisse, eine Art himmelwärts wuchernde Bohnenranke mit seltsamen Töpfen an ihren Ästen – das alles ist nun Geschichte. Schön wäre es, das ZDF würde seine Fußball-Experten für ein paar Jahre statt nach Usedom nach St. Helena schicken, ohne Standleitung, bitte. (Ja, Toni Schumacher hat viele Bälle in seinem Leben gehalten, aber seine Klappe leider nicht. )
Unerträglich war diesem Fußballfan die Akustik der Leere geworden, die das Gesäusel und Gequatsche der Hofberichterstattung aus den diversen Quartieren der Nationalmannschaft auszeichnete, zum Abschalten waren die Endlosschleifen der absolut nachrichtenlosen Korrespondenten-Beiträge von den Spielstätten, und kein Wort mehr bitte über „Bastis“ Sprunggelenk.
Das alles ist nun vorbei, sehen wir vom Endspiel ab, und die Tränen werden bald getrocknet sein. Was bleibt, ist Jogi Löw. Das zu ertragen, ist schon schwer genug.
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