- Tod im Gerstenfeld
Im Sommer 1992 werden zwei Rumänen an der polnisch-deutschen Grenze erschossen. Der Dokumentarfilm „Revision“ von Philip Scheffner rekonstruiert die Tragödie – und deckt eklatante Ermittlungspannen auf. Jetzt ist er auf dem Globale-Filmfestival in Berlin zu sehen
In den frühen Morgenstunden des 29. Juni 1992, wenige Minuten, nachdem sie die polnisch-deutsche Grenze illegal überquert haben, sterben Eudache Calderar und Grigore Velcu auf einem Gerstenfeld in der Nähe der Ortschaft Nadrensee in Vorpommern. Eine einzige Kugel, abgefeuert aus einer großkalibrigen Jagdwaffe, zertrümmert die Schädel der beiden Männer.
Die Schützen, zwei Jäger aus Niedersachsen, ergreifen die Flucht. Später sagen sie aus, sie hätten die beiden Rumänen für Wildschweine gehalten. Die Familien der Toten erfahren lediglich, dass Calderar und Velcu erschossen worden sind. Als die Leichen nach mehreren Wochen in billigen Särgen nach Rumänien überstellt werden, sind sie von Würmern angefressen.
Über sieben Jahre schleppt sich der Prozess gegen die Jäger hin, ehe er 1999 aus Mangel an Beweisen eingestellt wird. Die Angehörigen erfahren nicht einmal, dass es zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist – schließlich handelte es sich um einen Vorfall auf deutschem Boden, der ohne weitergehende Ermittlungen geklärt werden konnte: Ein tragisches Jagdunglück; weiter nichts. Die Toten im Gerstenfeld geraten bald in Vergessenheit.
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Zwanzig Jahre später rollt der Dokumentarfilmer Philip Scheffner den Fall wieder auf. Er spricht mit Polizisten und Feuerwehrleuten, Rechtsmedizinern und dem Anwalt eines der Schützen; vor allem aber besucht er die Familien der Toten in Rumänien. Die minutiöse Chronik der Tragödie, die er in seinem Film „Revision” vorlegt, weckt Zweifel an der offiziellen Lesart.
Denn Scheffners Recherchen legen eklatante Ermittlungspannen offen. So herrschten in jener Juninacht gute Sichtverhältnisse – was die Jäger im Prozess vehement bestritten. Außerdem findet der Filmemacher Hinweise darauf, dass einer der beiden Männer seine Verletzung um mehrere Stunden überlebte. Wäre ähnlich schlampig ermittelt worden, wenn es sich bei den Toten um Deutsche gehandelt hätte?
„Revision“ erzählt eine allzu gern vergessene Episode deutscher Nach-Wende-Geschichte. Verdienterweise ist der Dokumentar-Thriller ins Programm der diesjährigen „Globale“ aufgenommen worden.
Das 2003 ins Leben gerufene Filmfestival ist auf politische Filme aus aller Welt spezialisiert. In diesem Jahr werden insgesamt 49 Filme gezeigt, darunter der preisgekrönte „Call me Kuchu“ von Katherine Fairfax Wright und Malika Zouhali-Worrali über den ersten offen schwul lebenden Mann in Uganga oder die (leider etwas verworrene) Doku-Collage „Winter, go away“ über die Oppositionsbewegungen in Russland.
Zwar sind nicht alle Festivalbeiträge so überzeugend wie Scheffners Dokumentarfilm – aber als Störfeuer gegen eine allzu makellose Fassadenwirklichkeit sind sie durchaus sehenswert.
„Revision“ wird in Anwesenheit des Regisseurs am Montag, 15. April, um 21 Uhr im Eiszeit-Kino gezeigt. Das Globale-Filmfestival zeigt vom 11. Bis zum 17. April an verschiedenen Spielstätten in Berlin insgesamt 49 Filme.
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