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Fans von Diego Maradona / dpa

Zum Tod von Diego Maradona - Wie unfassbar ist das eigentlich?

Zum Tod von Diego Maradona, dem Jahrhundert-Fußballer aus Argentinien, muss man sich fragen: Ist Mensch überhaupt die richtige Bezeichnung für diesen außergewöhnlichen Mann. Für Alex Steudel jedenfalls war er mindestens eine Art Zwischengott. Ein Nachruf.

Autoreninfo

Alex Steudel ist freier Journalist aus Hamburg und Co-Publisher des täglichen Fußball-Newsletters Fever Pi'tch. Er war Nationalmannschaftsreporter und bis 2011 Chefredakteur von Sport-Bild.

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Das Schlimmste am Netz ist ja, dass ständig sofort alle ein Foto rauskramen, wenn jemand gestorben ist. Ich und der Tote und dann eine Geschichte posten, das kommt gut und bringt kurzen Ruhm und Reichweite. Ich mache das nicht mit.

Aber ich würde natürlich, nur dass ich eben Maradona nie selbst gegenübergestanden bin. Ich bin ihm mal nahe gekommen, ja, 2000 beim Abschiedsspiel von Lothar Matthäus im Münchner Olympiastadion stand er nur noch ein paar Meter weg von mir, und das hat schon gereicht, dass ich sehr aufgeregt war, denn Maradona, das ist bekanntermaßen der beste Spieler aller Zeiten, zu Leb- und zu Totzeiten. Und hört mir jetzt bloß auf mit Pelé oder Messi.

Auf der Leinwand als Hauptdarsteller

Manche Nachrichten treffen einen hart. Dass also Maradona im Alter von 60 Jahren gestorben ist, das ist so eine Nachricht. Der kleine Mann war ein Genie und ein Leidender, und er hat zu wenig zurückbekommen für das, was er uns gegeben hat.

Also gut, dann eben doch eine Geschichte mit ihm und mir. Sie ist etwas über ein Jahr alt, eine Sternstunde des Weltfußballs, diesmal war er mir sogar noch näher als bei Lothars Abschiedsspiel, ich saß nämlich in Reihe drei eines Hamburger Kinos – man muss in Hamburg ins Kino gehen, um guten Fußball zu sehen –, und er auf der Leinwand als Hauptdarsteller der Dokumentation „Diego Maradona“.

Das war ein besonderer Moment für mich, denn ich habe tatsächlich Fußball mit meiner Freundin Nina geguckt, die sich nicht die Bohne für Fußball interessiert, und zum ersten Mal fanden wir beide gleichzeitig etwas mit Fußball wahnsinnig gut. Ich glaube, das wird es nie wieder geben zwischen uns, und ich habe es Diego Armando Maradona zu verdanken.

Eher so eine Art Zwischengott

Ich wollte gerade schreiben, dass ich diesen Menschen nach dieser Doku ganz anders sah als vorher, aber ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob Mensch überhaupt die richtige Bezeichnung ist, Maradona war ja eher so eine Art Zwischengott; wie der in Neapel verehrt wurde, das ist nicht zu fassen, der Film zeigt es unerbittlich deutlich, sein Foto hing neben Gottesbildern und Marienbildnissen, er war also kein richtiger Mensch, eher ein bisschen der Cousin von Jesus, der war ja auch erst der Heilsbringer, und am Ende haben sie ihn ans Kreuz genagelt.

Mich hat schon zu Reporterzeiten fasziniert, was Fußballprofis durchmachen, wenn sie auf ihre Fans stoßen, aber was ich in dem Film gesehen habe, das sprengt alles selbst Gesehene, dagegen sind Begegnungen von Bundesligaspielern mit Fans kleine, nette Familienabende.

Wie unfassbar ist das eigentlich?

Was Maradona aushalten musste, wie sie alle an ihm zerrten, und was für ein lieber Kerl der im Grunde war, und dass das alles nicht zusammenpassen und gut gehen konnte, das zeigt der Film ganz wunderbar, man windet sich fast vor Pein und Fremdschämen in manchen Szenen, wenn nämlich die Menschen in ihn hineinzukriechen versuchen vor Bewunderung und Anbetung. Ja, selbst seine Mitspieler haben ihn vergöttert und sogar Lieder auf ihn gesungen, wie unfassbar ist das eigentlich? Wie soll man damit leben?

Man sieht in dem Film natürlich auch, was für ein unfassbar guter Fußballer der Argentinier war, so gut, dass seinen Gegenspielern meistens nichts anderes übrigblieb, als ihn umzulegen, aber das wusste man ja schon vorher; besonders faszinierend fand ich, wie Maradona immer wieder aufgestanden ist, und wie aufopferungsvoll er trainiert hat trotz des ganzen Trubels und der Sauferei und der Drogen, und besonders lustig ist natürlich, dass man sieht, dass in den 80ern schon prämodern intervalltrainiert wurde: Der Fitnesstrainer stoppt mit seiner kleinen goldenen Casio die Zeit und misst Maradonas Puls mit den Händen am Hals. Das ist Lauf-App mit Pulsgurt, Version Nullpunkteins.

Das ganze nochmal ganz von vorn

Traurig ist der Film natürlich trotzdem die ganze Zeit, man weiß ja, dass es nicht gut ausgehen wird, also damals schon nicht, die Hand Gottes hin, der WM-Titel her, und jetzt wissen wir es endgültig. Ich wünschte mir jedenfalls schon beim Gucken des Filmes Tarantino her, der hätte einfach ein Happy End hintendran getackert.

Aber am Ende sitzt Maradona komplett verfettet und fast nicht wiederzuerkennen in einem TV-Studio, und Tränen laufen sein aufgeschwemmtes Gesicht hinunter, und ich hatte letztes Jahr in diesem Moment selber einen dicken Kloß im Hals und wollte ihn nur in den Arm nehmen und sagen: Komm', wir machen das ganze nochmal ganz von vorn, aber diesmal helfe ich dir, und alles wird gut.

Aber nichts wird mehr gut.

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Kai-Oliver Hügle | Mi., 25. November 2020 - 20:00

Sehr gut auf den Punkt gebracht. Der von Ihnen erwähnte Film ist tatsächlich eine der besten Sport-Dokus, die je gemacht wurden; auch weil sie gänzlich ohne Kommentar auskommt.
Eine furchtbar traurige Geschichte über ein Fußball-Genie...
Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod, aber dennoch hoffe ich, dass es Diego jetzt besser geht als vorher.

Christa Wallau | Mi., 25. November 2020 - 20:02

Danke, lieber Herr Steudel.
Aus Ihren Worten spricht wahre Menschlichkeit.

Als Nicht-Fußall-Fan habe ich Diego Maradona nur vom Namen her und aus den Nachrichten über ihn gekannt. Wie Sie sein Schicksal hier schildern, das bringt ihn jedoch auch mir sehr nahe, und ich empfinde Mitleid mit diesem fantastischen Fußballspieler.

Wie tragisch ist es doch, einer Person, die man sehr mag und verehrt, nicht helfen zu können und zusehen zu müssen, wie sie sich selbst zu Grunde richtet!
Das gehört zum Schlimmsten, was Menschen passieren kann. Viele Eltern durchleben dieses Schicksal bei ihren Kindern.

Liebe Frau Wallau, schon immer mochte ich besonders die Menschen, die auch dann, wenn es nicht unbedingt ihr strahlendes Fachgebiet war, schöne und verbindende Worte finden. Danke!

Bernd Muhlack | Mi., 25. November 2020 - 20:21

Herr Steudel, Sie haben CR 7 (Christiano Ronaldo), Beckenbauer, Cruyff, etc vergessen!

Natürlich haben Sie Recht!
Diego Armando Maradona war der Beste!
Leider hat ihn mein Opa Jupp nicht mehr erlebt, er starb kurz nach der WM 74. Wir haben damals alles zusammen geguckt, seit der WM 66, da war ich fünf!

Herzstillstand?
Kenne ich, aus 2019. Sicherlich hatte Diego noch mehr Vorschädigungen als ich.

Das WM-Finale 90 in Rom - unvergesslich.
Franz "der Kaiser u Lichtgestalt" in Personalunion war der Teamchef.
Guido Buchwald war der "Manndecker" von Diego. Es ist verwunderlich, dass Diego dieses Spiel ohne Knochenbrüche überlebt hat!

Bei S3 (?) gab es vor einigen Jahren eine sehenswerte Chronik qua Maradona; ich google das einmal.

60 Jahre?
Er war auf dem Olymp und im Hades - möge ihm ein Platz im "Himmel" sicher sein.

Ich zitiere George Best, den besten irischen Fußballer ever:
"Ich habe viel von meinem Geld für Autos, Alkohol und Frauen ausgegeben, den Rest habe ich einfach veprasst!

für mich der "beste Schauspieler" auf dem Platz, Herr Muhlack!
Ja, er war gut, sehr gut vielleicht. Aber hat hat kein Spielstil geprägt.
Beckenbauer hat den Libero geprägt, Cruyff den Spielgestalter, Pele den vollendeten Stürmer.
Nicht zu vergessen G. Müller (Tore), Alfredo di Stefano, M. Neuer (Torwartspiel) F. Puskas u.v.a.m.
G. Buchwald hat 1990 Maradona den Schneidt abgekauft und das äusswerts Fair!
Und wie hat Maradona reagiert? Meckernd, Heulend u. Resigniert!
Was immer negativ hängen bleibt: seine Hand "Gottes" 1986 im Spiel gegen England. So offensichtlich und nicht geahndet. Die waren not amused!
Es wäre sonst zu einer Neuauflagen im Endspiel zwischen Deutschland & England gekommen.
Die Antwort, welcher Fußballer der Beste war, hängt davon ab, welche Kriterien man anlegt. Und nicht zu vergessen, wem man eben mag-Sympathisch findet. Emotional also.
Alles Relativ.
Es ist nur der "schönste Zeitvertreib der Welt".
Salute

Stefan Bauer | Mi., 25. November 2020 - 20:31

... muss man wohl sein, um diese Geschichte "nett" zu finden.
Kicken konnte er einigermaßen, aber für mich war Maradonna immer schlechter als Pele oder Beckenbauer, dazu ein unbeherrschter, ungebildeter, aber zugleich arroganter Flegel - der dann nach seiner Karriere in Drogen und Freßsucht verfiel.
Ganz sicher kein Halbgott.

Werter Herr Bauer, ich kann mir diese Replik nicht verkneifen!

Bekanntlich ist NETT so aussagekräftig wie LECKER, was solls.

"dazu ein unbeherrschter, ungebildeter, aber zugleich arroganter Flegel - der dann nach seiner Karriere in Drogen und Freßsucht verfiel."
Das ist kein Alleinstellungsmerkmal von Maradona, q.e.d.

Don´t cry for me Argentina!
Evita Péron

Herr Bauer:
In Argentinien ist eine dreitägige Staatstrauer für diesen "Flegel" angeordnet und auch gewollt!

... und auf Wolke Nr. 10 gibt es einen Kicker!
"Hello Diego, nice to have you here!"

Es war aber dennoch ein Genuss ihm beim Spielen zuzusehen. Wenn er am Ball war wurde sein Name von den Sportreportern immer so ausgesprochen, als wenn jetzt etwas ganz Großes zu erwarten wäre.
Vielleicht suchte er nur Aufmerksamkeit. Auf dem Platz hat ihn das zu Höchstleistungen angetrieben, außerhalb des Platzes in den Ruin.

Werner Gottschämmer | Mi., 25. November 2020 - 20:57

. und wenn dann doch im Geheimen. Meine Gedanken zu Maradona sind schon sehr ambivalent muss ich sagen. Nein, kann viele große Fussballer nicht einfach vergessen. Messi spielt definitiv in der gleichen Liga, Ronaldo nicht viel weniger, obwohl der schon sehr speziel ist, und nicht absolut mein Fall. Hier wurden schon Beckenbauer, Cruyff und Pele erwähnt, alle dabei. Andere vielleicht auch noch. Aber sicher ist!! der
„ Hand Gottes“ ist für alle Zeit verziehen. Hat er nicht im gleichen Spiel gegen die Engländer dieses unfassbare Solo hingelegt? Top 3 aller Spielszenen? Bei mir schon!

helmut armbruster | Do., 26. November 2020 - 07:59

ein außergewöhnlicher, ein Jahrhundertfußballer, ja gewiß.
Und sonst? Nur Schwächen, Laster und Unfähigkeit.
Rechtfertigt das eine solche Bewunderung, eine Erhebung zum Halbgott.
Sollte man den Menschen nicht besser in seiner Gesamtheit sehen um ihn richtig beurteilen zu können?

. . . ja, Sie haben echt: In " der Gesamtheit sehen ... " ABER:
Ich habe 40 Jahre in der gehobeneren Hotelklasse gearbeitet. Dort erschienen ständig solche Leute in der hier genannten Größenordnung, und ich muß sagen, ich habe mir eine extreme Abneigung gegenüber solchen Leuten oder wie hier "Halbgöttern" angewöhnt. Das Verhalten dieser Menschen gegenüber Angestellten wie mich war schlicht ekelerregend, abstoßend und haarstäubend, und je später der Abend wurde und je mehr leere Gläser die Bar dekorierten, hinter der ich müde lächelnd stand, desto ordinärer wurden diese "Halbgötter" - die aber bei weitem nicht nur Spitzensportler waren, sondern auch darstellende Künstler, Sänger, Schauspieler usw.- Diese Leute hatten nicht nur viel Geld, nein, sie hatten auch viel Zeit, da sie am nächsten Tag ausschlafen konnten oder gar im Alkohol-Koma lagen - nein, mein Mitleid, meine Bewunderung hält sich in engen Grenzen; auch bin ich sehr froh, mich nicht zu dieser Klientel zählen zu müssen.