Das Journal - Die Baronesse der Katzen-Musik

Pannonica de Koenigswarter, genannt Nica, gründete in den fünfziger Jahren ein Domizil für Jazz-Musiker – und knipste die Stars der Be-Bop-Szene

Als Pannonica de Koenigswarter den Pianisten Horace Silver irgendwann in den sech­ziger Jahren nach seinen drei Wünschen fragt, meint der: «1. Unsterblichkeit. 2. Reich zu sein. 3. Ein Baby!» Die Märchenfrage stellt die Baronesse noch rund 300 anderen Jazzmusikern, die bei ihr ein- und ausgehen. Die Antworten ähneln sich und offenbaren die Sorgen, mit denen sich die fast durchweg schwarzen Musiker herumschlagen müssen: Das Geld ist knapp, auch die Engagements sind nicht immer gesichert, die Gesundheit zuweilen angegriffen, das kriegführende Amerika macht Bauchgrimmen, und der Zweifel an den eigenen Fähigkeiten nagt an den Nerven.

Manchmal wird in den kurzen Repliken auch deutlich, dass der Jazz eben nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine soziale Praxis seiner Zeit ist: Sie hat mit Emanzipation und dem Einfordern von vorenthaltenen Rechten zu tun. «Ich wünschte mir», spricht Clark Terry aufs Tonband, «dass etwas mit jedermann passierte – DAMIT END­LICH SCHLUSS MIT DIESER ALTEN RAS­SISMUSSCHEISSE WÄRE!» Und der große Thelonious Monk möchte gern mit seiner Musik erfolgreich sein, eine glückliche Familie und eine «verrückte Freundin wie dich» haben. Worauf Pannonica wahrheitsgemäß erwidert: «Aber Thelonious, … das hast du doch alles schon.»

Vor allem eine verrückte Freundin wie Pannonica de Koenigswarter – kurz: Nica – zu haben, war für viele der Jazzmusiker jener Zeit ein Segen. Das «Cathouse» der Baronesse, die 1913 in London geboren wurde und dem englischen Zweig der Rothschilds entstammte, war ein Asyl sowohl für Katzen als auch für Jazz-Musiker, die sich unterei­nander zuweilen «cats» nannten. In Weehawken, zu New Jersey gehörig, stand dieses «Cathouse», das über hundert Katzen und im Lauf der Jahre mehrere hundert Musiker beherbergte. Wer dort ein- und ausging, gehörte zur Szene und verehrte die jazzliebende Baronesse.


Eine Exzentrikerin mit Vergangenheit

Kenny Dorham, Sonny Clark, Miles Davis, John Coltrane, Ornette Coleman, sie alle und etliche mehr wurden von Nica unterstützt, nicht wenige widmeten ihr Songs, lagen ihr zu Füßen, jammten in ihren vier Wänden, lebten für Tage bei ihr, einige – wie Thelonious Monk – für Jahre. Und sie ließen sich von ihr ablichten. Nica scheint die Polaroid-Kamera ständig griffbereit gehabt zu haben: Die in allen möglichen Alltags-Situationen spontan entstandenen Bilder sowie die Antworten auf die Frage nach den drei Wünschen der Jazzmusiker trug die Baronesse schließlich zusammen. Ein Buch aber wollte um 1970 niemand daraus machen. Erst knapp vierzig Jahre später haben ihre Nachkommen den historischen Schatz in einem alten Karton wiederentdeckt und nun herausgegeben.

Die Schnappschüsse sind von seltener Eindringlichkeit, eben weil sie nur beschränkt die herrschende Jazz-Ikonografie des cool auf der Bühne agierenden Hipsters fortschreiben. Vielmehr zeigen sie den entspannt herumsitzenden, liegenden, lachenden, üben­den, trinkenden, lesenden, redenden Musiker. Es sind Fotos eines Fans – und Nica war ein wirklicher Fan, eine exzentrische Dame mit Vergangenheit: Sie hatte in den frühen dreißiger Jahren in München Male­rei studiert, ein mondänes Leben in London geführt, den französischen Diplomaten Baron Jules de Koenigswarter geheiratet, im Zweiten Weltkrieg bei den Streitkräften des «Freien Frankreich» gewirkt, sie war Botschaftergattin und verabschiedete sich Anfang der fünfziger Jahre von ihrem Ehemann, um in New York einer Leidenschaft frönen zu können: der Musik.

Noch bevor Pannonica de Koenigswarter sich mit dem «Cathouse» ihr eigenes Jazz-Domizil schuf, waren ihre New Yorker Hotelzimmer beliebte Anlaufstationen für Musiker. In ihrer Suite im «Stanhope Hotel» starb 1955 Charlie Parker – ein Ereignis, das längst in den Mythenschatz des Jazz Eingang gefunden hat. Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet: Niemand sonst war so nahe dran an den Stars der damaligen Be-Bop-Szene, niemand anderer hat die Musiker so sehr verehrt wie sie. In Nicas Bildern sind diese Nähe und Verehrung zu spüren.

 

Baronesse Pannonica de Koenigswarter
Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche
Aus dem Französischen von Michael Müller.
Reclam, Stuttgart 2007. 312 S., 34,90 €

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